Kapitel 3

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Ich stöhnte. Meine Flügel schmerzten, mit Sicherheit hatte ich die Hälfte meiner Federn gebrochen, wenn sie mir bei meinem Aufprall nicht sogar ausgefallen waren. Erdiger Geschmack lag auf meiner Zunge, so intensiv, dass ich das Gesicht verzog.

Ich lag auch auf der Erde. Scharfkantige Steine bohrten sich in mein Fleisch, als ich mich bewegte. Ich zog scharf die Luft ein, als ich aufstand. Meine nackten Füße fühlten sich taub an, als ich versuchte, aus dem Loch herauszukrabbeln. Ich kam mir vor wie ein Kleinkind.

"Mist", murmelte ich, als ich an mir hinabsah.

Mein Kleid war verdreckt und hier und da zerschnitten. Es hatte mir sogar ziemlich gut gefallen, musste ich gestehen. Es erinnerte mich ein bisschen an die Kleider, die man im neunzehnten Jahrhundert getragen hatte, nur eben kürzer.

"Hallo?"

Niemand antwortete. Eigentlich hatte ich das schon erwartet, ich sah hier keine Menschenseele. Die Sonne begann schon unterzugehen und ich stand hier auf einer Wiese, mitten im Nirgendwo. Ich reckte den Hals, in der Hoffnung, irgendwo irgendwelche Lichter zu sehen. Von einer Stadt oder zumindest einem Auto. Hauptsache ich würde herausfinden, wo die Wohnung lag, die mir zugesichert worden war.

Verdammt Gabriel, wo bist du, wenn man dich braucht?

"Du brauchst mich?"

Ich fuhr herum. Tatsächlich stand Gabriel hinter mir, sein hellbraunes Haar hing ihm in die Stirn, ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen.

"Gabriel! Ich dachte ich würde dich nie wiedersehen!"

Ich rannte auf ihm zu und fiel ihm ungestüm um den Hals. Er erwiderte die Umarmung schweigend und begann erst wieder zu reden, als wieder ein gesunder Abstand zwischen uns entstanden war und ich ihn ansehen konnte.

"Keiner darf wissen, dass ich hier bin, okay? Die anderen denken ich bin bei Uriel..."

"Uriel? Eine bessere Ausrede ist dir nicht eingefallen?"

Er lachte leise.

"Hoffen wir, dass er mich nicht verrät, bis ich wieder zurück bin. Wir haben nicht viel Zeit..."

Er ließ seine Flügel zurückweichen und richtete sein weißes Gewand.

"Du siehst aus wie ein Pastor."

"Oh."

Er schnippte mit den Fingern und stand auf einmal in einer hellblauen Jeans und einem weißen Shirt vor mir.

"Besser?"

"Definitiv."

"Komm, ich zeige dir den Weg, ich denke nicht, dass du vor hast, heute Nacht hier draußen zu schlafen. Ach und mach deine Flügel weg, die sehen schlimm aus."

"Vielen Dank für deine Ehrlichkeit", knurrte ich sarkastisch.

Er lachte wieder.

Ich ließ meine Flügel verschwinden und folgte ihm. Er bog auf eine breite Landstraße ein, die uns in den Wald führte. Der Asphalt war kalt unter meinen Füßen, so kalt, dass es mir schon bald eine Gänsehaut die Waden hoch jagte.

"Können wir nicht doch fliegen?"

"Nein. Du bist auf der Erde. Hier kannst du nicht fliegen."

"Komm schon."

"Pardon, aber nein."

Ich stöhnte genervt auf. Gabriel mochte wirklich nett und hilfsbereit sein, aber wenn es darum ging, eine Regel zu brechen, wurde er zum Langweiler. Zum Spießer, fast schon.

Ich erinnerte mich an die Zeiten, in denen er noch nicht so gewesen war. Ob man es glauben wollte, oder nicht, mit Gabriel konnte man wirklich Spaß haben. Oder zumindest hatte man es gekonnt.
Er hatte auf mich aufpassen sollen, als ich Sechzehn gewesen war. Stattdessen hatte er eine Schachtel Zigaretten hervorgezogen, und sich mit mir auf den Balkon meines Apartments begeben. Die ganze Nacht lang, hatten wir uns unterhalten und unsere Lungen verpestet, bis Rehael zu uns herausgestürmt gekommen war, und seinem Namen alle Ehre gemacht hatte, indem er uns verpfiffen hatte. Engel der Gesundheit...
Irgendwie konnte ich nicht glauben, dass er selbst das Unschuldslamm war, dass er zu sein versuchte.
Wenn ich mich daran zurückerinnerte, kam mir sofort sein Blick wieder in den Sinn, mit dem er mich angesehen hatte, als er mir den glühenden Stummel abgenommen, und über das Geländer geworfen hatte. Gabriel hatte fürchterlichen Ärger bekommen. Seitdem wagte er nichtmehr, irgendetwas zu tun, dass auch nur im weitesten Sinne spaßig sein hätte können.

"Du bist langweilig."

"Danke."

Ich sah zu ihm herüber und musste mit Entsetzen feststellen, dass er dass tatsächlich als Kompliment gesehen hatte. Ich würde diesen Mann wohl nie verstehen.

"Da hinten ist die Stadt. Hier hast du die Adresse."

Er drückte mir einen kleinen Zettel Pergament in die Hand, auf den er tatsächlich eine Adresse gekritzelt hatte. Als ich mich zu ihm umdrehen wollte, war er verschwunden. Ich rollte mit den Augen, wand mich wieder der Straße zu und nahm Kurs auf die Lichter, die ich am ende der Straße mittlerweile erkannte.

Es sah alles sehr luxuriös aus. Auf eine altmodische Art und Weise.

Das hätte ich mir eigentlich denken können. Es war klar gewesen, dass Gabriel mich nicht ins Ghetto stecken würde, sondern in eine dieser Städte, die von Bildung überliefen. Widerwillig ging ich weiter, hangelte mich mit Hilfe der Straßenschilder durch die Gassen, bis ich schließlich vor einer Haustüre stehen blieb, neben der die Adresse stand, die auch auf meinem Zettel notiert war.

Das konnte nicht sein Ernst sein.

Er hatte mich in eine Villa eingemietet?

Villa, die eigentlich viel eher als Schloss bezeichnet werden hätte müssen. Eine Villa, die so riesig war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, allein dort zu leben.

Zaghaft ging ich die wenigen Stufen der Treppe hinauf, bis ich tatsächlich vor der hohen Pforte stehen blieb. Eine große prunkvolle Türklinke schmückte dessen linke Seite, mit einem großen Schloss darunter. Ich griff nach der Silberkette, legte sie mir ab, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum.

Es klickte.

Einmal.

Zweimal.

Dreimal.

Dann schwang die Tür mit einem leisen Knarren auf, mitsamt meiner Kinnlade.


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Wow... Die ersten drei Kapitel sind online ^^

Sie sind etwas kurz, I'm sorry...

Ich hoffe ihr könnt damit was anfangen. Auch wenn ich hier erst ganz am Anfang stehe - oder vielleicht auch gerade deshalb - fände ich es toll, mal von euch zu hören ^^ Gerne Kritik in den Kommentaren :) Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass ich weiß, wie sehr es nervt, die Autorenkommentare (wie dieses) lesen zu müssen, also halte ich mich erstmal zurück... Viel Spaß beim weiterlesen!

XOXO Tony

HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt