"Gute Nacht."
"Verdammt, Gabriel! Was soll das?"
"Das könnte ich dich fragen."
Der Erzengel erhob sich aus meiner Matratze und kam auf mich zu. In der Hand drehte er einen quadratischen, glänzenden Gegenstand. Als er näher kam erkannte ich, was es war.
"Das hatte ich vergessen zu geben. Ich werde in Zukunft wohl erstmal nicht mehr einfach hier auftauchen können, also dachte ich, dass wäre eine nette Art und Weise, mich auf dem laufenden zu halten, findest du nicht auch?"
Er gab mir ein Smartphone. Es sah nagelneu aus und war in eine schlichte schwarze Lederhülle gesteckt worden, um es vor Schlägen zu schützen.
"Auf dem laufenden?"
"Rose... Ich habe fünfzehn Jahre lang dabei zugeschaut, wie du aufgewachsen bist. Ich finde es ist fair, wenn ich dich nicht einfach so gehen lassen muss."
Ich nickte stumm. Es rührte mich, wie er sich um mich sorgte. Er war mein ganzes Leben lang mein bester Freund gewesen, wie ein Bruder, den ich einst gehabt und verloren hatte.
"Dankeschön", hauchte ich, mehr brachte ich gerade wirklich nicht heraus.
Ich war todmüde, der Tag hatte schlimmer an meinen Kräften gezehrt, als ich es erwartet hatte. Benommen ging ich zu meinem Bett hinüber, an Gabriel vorbei, und ließ mich in die Kissen fallen. Mir entfuhr ein sehnsüchtiger Seufzer, als ich die Augen schloss. Ich hörte nur noch, wie Gabriel leise murmelte:
"Schlaf gut, kleiner Engel."
Kleiner Engel. So hatte er mich früher immer genannt, als ich noch klein gewesen war und Abends nicht hatte einschlafen können. Damals war er neben meinem Bett gesessen und hatte mir stundenlang Lieder mit seiner unglaublich schönen Stimme vorgesungen, bis ich in meine Traumwelten verschwunden war.
Er strich mir ein letzte Mal über die Wange, und ich meinte das Lächeln in seiner Stimme hören zu können, als er sich verabschiedete.
"Bis bald..."
Als seine Hand von meiner Haut verschwand, verschwand jegliche Form von Energie mit ihr. Ohne mich nochmals zu bewegen, schlief ich ein.
Ich träumte seltsame Dinge.
Verdammt seltsame Dinge.
Ich träumte davon, wie ich mit Ana und Zac am Tisch saß, unten in unserer Küche. Gabriel saß auf dem vierten Stuhl und schien sich prächtig zu amüsieren. Er verstand sich unausgesprochen gut mir den Anderen, es schien sogar so, als würden sie sich aus alten Zeiten kennen.
"Ich habe das vermisst", hatte er gesagt, ehe er ein Glas Rotwein angesetzt und genüsslich daran genippt hatte. Wir lachten, offen und ehrlich, erzählten uns Geschichten aus unserer Kindheit.
Dabei fand ich heraus, dass Zac wohl schon immer einen Fabel für Wollsocken gehabt hatte, was mich sehr überraschte. Er erzählte uns von seiner Großmutter. Sie war menschlich gewesen und hatte sich doch wie ein Engel benommen. Sie hatte ein friedliches, reines Leben gelebt und eine glückliche Ehe geführt, in der sie sich nie gestritten hatte.
Als ich klein gewesen war, hatte ich selbst von so einer Zukunft geträumt. einer Zukunft, in der ich alt werden würde, mit Menschen an meiner Seite, die ich liebte, denen ich vertraute.
Je älter ich geworden war, desto sicherer war, dass ich nie die Chance bekommen würde, so eine Zukunft zu durchleben. Ich würde nicht alt und grau und glücklich werden. Ich würde allein bleiben, weil ich mich den Menschen nicht nähern konnte und durfte. Und selbst wenn ich jemanden finden würde, der war wie ich, ich würde ihm nie vertrauen können.
Ich würde ihn nie lieben können.
Mit dieser Erkenntnis wurde ich ruckartig aus meinen Träumen gerissen. Salzige Tränen rannen mir übers Gesicht, dass sich so heiß anfühlte, dass ich mir prüfend die Hand auf die Stirn legte. Meine Wangen glühten, mein Rücken und Handflächen waren schweißnass. Meine Atmung ging schnell und unkontrolliert, mein Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig.
Ich zwang mich dazu, rückwärts zu zählen. Ich hatte schon einmal davon gehört, dass Konzentration die Menschen aus Panikattaken retten konnte, aber nie wirklich daran geglaubt. Was für Menschen galt, war für Engel nie sicher.
Es half nichts. Im Gegenteil. Ich verzählte mich und geriet dadurch nur noch tiefer in meine rauschende Panik.
Dann musste ich es eben auf meine eigene Art und Weise probieren. Ich öffnete meine Hand vor meinen Augen und ließ kleine goldene Funken in ihr umhertanzen. Ich erlaubte es ihnen, sich zu einer kleinen Flamme zu verformen, die flackerte, und dabei aussah, als würde sie tanzen.
Ich hatte noch niemandem von dieser Form erzählt, die meine Magie annehmen konnte. Sie war durchaus sonderbar, normalerweise waren wir Engel eher auf psychische Kraft angewiesen, als auf physische. Es lag uns in den Genen, Menschen durch unsere Worte von ihrem Schmerz zu befreien oder ihnen die Trauer zu nehmen, dabei brauchten wir sicherlich keine Flammen in unseren Händen.
Ich war durchaus in der Lage, meine Magie zu nutzen, wie alle anderen jungen Engel in meinem Alter. Wenn ich mich sehr stark konzentrierte, würde ich es vielleicht sogar schaffen, Leben zu retten, wie ein richtiger Schutzengel.
Der Beruf des Schutzengels war im Himmel einer der höchst angesehenen Jobs überhaupt. Schutzengel waren viel unterwegs und mussten über große Magie verfügen, um ihrem Job gut machen zu können. Deshalb waren sie meist über zweihundert Jahre alt und ihre Magie so weit ausgereift, dass dies kein großes Problem mehr für sie darstellte, was man von mir mit meinen siebzehn Jahren allerdings nicht gerade behaupten konnte.
Und trotzdem war ich für meine Verhältnisse sehr stark.
Es war mir sogar schonmal gelungen ein junges Kaninchen aus dem Tod zurückzuholen. Jedoch hatte dieser Versuch mich so viel gekostet, dass ich danach drei Tage lang nicht richtig denken konnte und die meiste Zeit nur im Bett verbracht und geschlafen hatte.
Soweit ich wusste, war mein Dad früher ein Schutzengel gewesen.
Bevor er gestorben war.
Erneut sammelten sich die Tränen in meinen Augen, doch ich merkte, dass ich langsam ruhiger wurde. Ich pustete die kleine Flamme leise aus und ließ sich nicht wieder erscheinen. Ich wälzte mich herum und warf einen Blick auf das Handy, dass auf meinem Nachttisch lag.
In dieser Sekunde leuchtete der Bildschirm hell auf und ein Schriftzug zeigte sich mir.
Eine neue Nachricht.
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Holy
FantasyZwei Welten, denen ein Krieg droht. Ein Schicksal, das ein großes Opfer verlangt. Und eine Liebe, die alles verändert. Ein Kind aus verbotener Ehe. Das zweite seiner Art. Gefangen zwischen zwei Welten, vereint im eigenen Körper. Unfähig zu vertrauen...