Kapitel 23

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-Rose- 


Die Luft zwischen uns brannte förmlich. Jaels Augen funkelten gefährlich, doch ich hielt seinem Blick stand. Diese Situation war seltsam. Mehr als das. Aber ich konnte nicht beschreiben, was gerade in mir vorging. 

Ich glaubte ihm nicht, dass er gefährlich war, auch wenn es vielleicht stimmen mochte. Vielleicht wollte ich es ihm auch einfach nicht glauben. 

Der Regen wollte einfach nicht aufhören. Allerdings begann die Sonne langsam, sich hinter dem Horizont zu verziehen. Mit ihr wich die letzte Wärme und das herbstliche Licht der golden-hour dahin und ließ uns in der Dunkelheit stehen. Jael spielte mit seinem Handy herum und schien vollkommen in Gedanken versunken zu sein. Bis ihn ein heller Klingelton dazu zwang, aufzuwachen und den Anruf entgegenzunehmen, der das Smartphone schier zum explodieren brachte. 

Genervt sah er mich an, rollte die Augen und nickte mit dem Kopf um mir zu signalisieren, dass ich hier warten sollte. Ich nickte ebenfalls und sah wieder zu Boden. Meine Füße schmerzten und ich fragte mich, warum ich diese Mordwaffen überhaupt noch trug. Ich beschloss, sie auszuziehen und in den Fußraum des Beifahrersitzes zu werfen. Eine angenehme Befreiung überströmte mich, als ich die Tannennadeln spürte, die meine Fußsohlen zerstachen. 

Das Unterholz knackte unter jedem meiner Schritte, die ich mich weiter ins Dickicht zurückzog. Ich hörte Jaels stimme in der Ferne, leise und gedämpft. Er schien aufgebracht, er redete schnell, ehe er wieder eine weile schwieg. Ein leises "Mhm" drang zu mir hindurch, dann piepte es leise und ich konnte hören, wie er zurückkam. 

Das Shirt klebte an seiner Haut, Wasser tropfte von seiner Nasenspitze, sammelte sich an seinen Wimpern. Ein Donner erschütterte den Himmel, Blitze durchschnitten die eisige Nachtluft. Er musterte mich einmal, wobei ich deutlich sah, dass sein Blick einen Moment länger an meinen nackten Füßen hängen blieb, als er sollte. Doch er überspielte seine Gedanken gekonnt. 

"Wir müssen weiter", raunte er mir zu, ehe er sich abwand und zum Auto zurückstapfte. 

Einen Moment blieb ich an Ort und Stelle stehen. Eigentlich wäre das meine Möglichkeit abzuhauen. Wahrscheinlich würde er mich nichtmal aufhalten. Ob er mich brauchte oder nicht, er wusste, dass ich gegen ihn wahrscheinlich nicht viel ausrichten konnte. Und er wusste auch, dass mir das bewusst war. Und das ich genau deshalb nicht fliehen würde. Mal davon abgesehen befanden wir uns hier Mitten im Nirgendwo und es würde Stunden dauern, bis ich das nächste Ort erreicht haben würde. Wahrscheinlich wäre ich nichtmal in der Lage solange zu laufen. 

Die Scheinwerfer des alten Cabrios blendeten mich so, dass ich die Augen mit meinen Händen abschirmen musste, um nicht gnadenlos gegen irgendeinen Baum zu rennen. 

"Kommst du jetzt, oder was?"

"Geduld lernt man wohl nicht in der Hölle, was?"

"Braucht man nicht, wenn man der Kronprinz ist."

Jael lächelte knapp, startete den Motor und wartete bis ich auf meinem Sitz saß, ehe er das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Wir fuhren tiefer in den Wald hinein. Ich bemerkte, dass Jael neben mir den Blick fast durchgehend auf die Umgebung gerichtet hatte, als würde er etwas suchen. Er fuhr auch langsamer, als zuvor. Langsam genug, dass man den Wald mit Blicken durchsuchen konnte. 

"Was tust du da?"

"Wir haben ein gewaltiges Problem."


-Jael- 


"Wie, wir haben ein gewaltiges Problem?"

Verdammt. Ich konnte ihr jetzt schlecht erklären, dass unser bester Hunter seit mehreren Tagen von seiner dreiwöchigen Mission zurück sein sollte, dies aber nicht eingetreten war, und nun die halbe Hölle auf der Suche nach ihm war. 

Cole, der Leiter unseres Reviers hatte mich gerade angerufen. In seiner sonst so ruhigen Stimme, war ein Hauch Verunsicherung gelegen, was mir Sorgen bereitete. Cole war einer der Dämonen, der eigentlich garnicht wissen sollte, was Angst bedeutete. In seinem Leben hatte er es schon mit unzähligen Monstern zutun gehabt, dass bewiesen die Narben, die seinen ganzen Körper überzogen. Er trug seine Narben wie Tattoos, mit einer solchen Menge an Stolz, dass man ihn dafür nur bewundern konnte. 

Als ich jünger gewesen war, hatte ich immer werden wollen wie Cole. Als Hunter war man unabhängig, beinahe frei. Man konnte sich entscheiden, ob man den Anweisungen des Herrschers folgen wollte, oder sich einer Gemeinschaft anschloss. Einer Gemeinschaft wie unserer. 

Er vermutete, dass sie Azriel auf der Erde gefangen hielten. Eine Information, die er bisher nur mir weitergeleitet hatte. Er wusste, dass Azriel und ich uns sehr gut verstanden, auch wenn wir keine Partner waren. Soweit ich wusste, hatte Azriel noch immer keinen Mate gefunden, der mit ihm auf Jagten ging. Im Gegensatz zu mir. Kurz nach meiner Ausbildung hatte man mir Ruby vorgestellt. Sie war ein paar wenige Jahre jünger als ich, brachte aber deutlich mehr Erfahrung mit sich. Auch wen ich ganz klar der Stärkere von uns beiden war, war ich froh, sie zu haben. Ohne sie hätte ich Rose nie gefunden. 

Ich hörte etwas. Neben dem Heulen des Motors und meinem rhythmischen Herzschlag, war da noch etwas in der Ferne, dass mir ganz und garnicht gefiel. Ich trat auf die Bremse und parkte mein Auto am Straßenrand. Rose fragenden Blick ignorierte ich. 

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich Azriel hier finden würde. Doch ich muste gestehen, dass mir das heute garnicht in den Kram passte. Rose hatte wahrscheinlich soviel Erfahrung im Umgang mit Waffen, wie ein Kaninchen beim Jagen. 

Als ich um den Wagen herumging und den Kofferraum öffnete, spürte ich ihre Wärme neben mir. Sie sah mir über die Schulter und ich war froh, dass ich ihren Blick in diesem Moment nicht sehen musste. Vor uns lagen unzählige Waffen, denen man deutlich ansah, dass sie nicht von dieser Welt stammten. Instinktiv griff ich nach meinem Dolch - meiner liebsten Waffe, die ich eigentlich immer bei mir trug - und einem Revolver. Schusseisen wie diese hatte ich nur auf der Erde bei mir, unten in der Hölle kannte man so etwas nicht. Dort war es hingegen üblich, dass man mit Pfeil und Bogen bewaffnet durch die Straßen ging. 

"Was bekomme ich?"

Ich dachte ich hätte mich verhört. War das gerade ihr ernst gewesen? Ein Engel fragte mich nach einer Waffe?

"Was du willst", entgegnete ich schockiert. Sie schien meine Stimmlage richtig gedeutet zu haben. 

"Was? Darf man sich als Engel nicht verteidigen? Du bist doch derjenige, der mir weiß machen will, dass ich kein Engel bin!" 

"Touché..."

Sie griff nach einer Pistolenarmbrust, geladen mit Silberpfeilen. Es war sicherlich nur ein Zufall gewesen, sie konnte nicht gewusst haben, wie stark diese Waffe war. 

Probeweise hielt sie das Gerät nach oben, in eine Haltung, von der sie wohl dachte, sie wäre richtig. Ein leichtes Schmunzeln huschte über meine Lippen, als ich sie beobachtete. Das was sie da tat, sah ulkig aus. Es wirkte, als hätte man ein Kindergartenkind an einen Schießstand gelassen. 

Einfach falsch. 

Ich ging zu ihr herüber, nahm sachte ihre Arme in meine Hände und hielt sie höher. Ich schob ihr eines Bein ein wenig nach hinten, bis ihre Position halbwegs akzeptabel aussah. Dann begutachtete ich mein Werk wieder und nickte zufrieden. Rose verdrehte nur die Augen und ließ die Waffe sinken. 

Mein verdammtes Herz, irgendwann würde ich es mir ausreißen. 

"Würdest du mir jetzt vielleicht erklären, was du vorhast?"

"Wir holen jemanden."

"Und dafür brauchen wir Waffen?"

"So wie wir das machen sehr wohl, ja."



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