Kapitel 47

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-Jael- 


Mein Schwerz schlug schwer an meine Hüfte, als ich schnell aber bestimmt die schmalen Treppen zu den Gefängniszellen hinunterging. Ich hatte es geschafft, den schichthaltenden Wachen die Schlüssel abzuschwatzen und sie dazu zu bringen die Festlichkeiten oben im Ballsaal wenigstens näherungsweise zu genießen.

Es machte mich unglaublich wütend zu wissen, was Rose heute alles gesehen hatte. Das hätte sie niemals sollen. Ich wollte nicht, dass irgendwer - schon garnicht sie - davon erfuhr, was in unserer Familie passierte. Es würde alles nur schlimmer machen. 

Die Gänge waren dunkel und stanken unangenehm nach Verwesung. Erinnerungen flammten in mir auf, als ich als kleiner Junge hier unten eingesperrt worden war, wenn ich mich nicht benommen hatte. Stunden- manchmal sogar tagelang hatte ich schmerzerfüllten Schreien lauschen und abgemagerten Gefangenen beim Leiden zusehen müssen. Es war grausam gewesen, doch ich musste lernen damit umzugehen. Das war der Sinn dahinter gewesen. Und es hatte funktioniert, dass war das Schlimmste daran. 

Sie hatten sie in eine der hinteren Zellen gesperrt, dicht neben der, in der ich immer gesessen war. Als ich an den dicken Eisenstäben vorbeiging sah ich sie wieder, die Bilder die ich mit einem spitzen Stein in die glitschigen Wände geritzt hatte. Sie waren unverkennbar. 

Ein Mann, groß und hager mit ledrigen Flügeln auf dem Rücken. In seinem Arm eine Frau, kleiner als er und wohl geformt. Ihr langes Haar hing ihr in Fransen in die Stirn und fiel üppig über die schmalen Schultern. Vor ihnen zwei Kinder. Ein Mädchen und ein Junge. Der Junge hatte ebenfalls Flügel, wie sein Vater. Das Mädchen nicht. Ihre schmale Figur wurde von einem knielangen Kleid umstrichen, ihr Rücken war blank und schön. 

Das hatte ich mir immer gewünscht, als ich klein gewesen war. Ein Bild einer perfekten Familie. 


Meine Tattoos kribbelten. Ich hatte sie zurückgerufen, als ich den Ballsaal verlassen hatte - für den Fall der Fälle, dass man mich dort brauchte. Auch wenn ich genau wusste, dass Ruby mich nicht rufen würde, wenn es etwas wichtiges gäbe. Wahrscheinlich wollte sie einfach wissen, wo ich steckte. Bei Hunterangelegenheiten durfte und konnte ich ihr heute Abend sowieso nicht helfen. 

Rose lag am Boden, eng zusammengekauert. Sie mussten ihr Gift eingeflößt haben - oder heiliges Wasser, auch wenn das bei ihr nicht wirkte. Das wusste nur eben keiner. Ihr schwarzes Kleid bedeckte ihre Beine, doch ich konnte ihn deutlich erkennen, den schönen spitzen Dolch, mit der tödlichen Silberklinge. 

Aber das wusste sie nicht. 

Sie konnte nicht wissen, was sie da für eine Waffe bei sich trug. Sie hatte ihre Mutter nie kennengelernt und ich war mir sicher, dass die Engel ihr nichts gesagt hatten. Aber sie war ein Erbstück und sie gehörte zu ihr. 

Ich hatte nur hoffen können, dass sie sie nicht gegen mich wenden würde...


-Rose- 


Schritte ließen den Boden erzittern. Ich wagte nicht den Kopf zu heben. Gabriel war hoffentlich verschwunden, sonst würden ihn die Wachen jetzt an Ort und Stelle in tausend Stücke teilen und sie auf ihre Rüstungen nähen. Ich wollte nicht wirken, als wäre ich wieder auf den Beinen, sonst würden sie mich vielleicht wieder schwächen. Wie auch immer. 

Aber selbst durch meine halb geschlossenen Lider konnte ich sie erkennen. Die albernen silbernen Stiefelspitzen, die auf Hochglanz poliert waren und nur zu einem gehören konnten. 

Ernsthaft? 

Was sollte das jetzt? Noch vor wenigen Stunden - oder Minuten? Mich hatte definitiv das Zeitgefühl verlassen! - hatte er mich bloßgestellt und verraten. Er hatte es aussehen lassen, als hätte ich einen Mordanschlag auf ihn geplant gehabt, dass konnte er doch niemals schon vergessen haben?

"Steh auf", zischte er leise. Seine Stimme zu hören löste etwas in mir aus, was ich nicht spüren wollte. Ich wollte es verjagen, das Kribbeln in meinem Bauch. Verscheuchen für immer. 

"Wieso sollte ich das tun?"

Jael schnaubte leise. 

"Weil ich es dir sage."

"Ich denke nicht, dass ich es nötig  habe, auf dich zu hören, nicht wahr? Wo ich doch gerade vorhatte, dich umzubringen", giftete ich zurück. Es war mir egal, was er jetzt von mir dachte. Je mehr er mich verabscheute, desto besser. 

"Hör auf dich wie ein Kleinkind zu benehmen und tu was ich dir sage."

"Nein."

Ich hörte mich wirklich etwas trotzig an, aber das scherte mich gerade nicht im Geringsten. 

"Rose", knurrte er wütend. Sein Gesicht lag im Schatten, sodass ich seinen Ausdruck nicht sehen konnte, aber ich konnte mir problemlos vorstellen, wie er gerade dreinblicken musste. 

"Vergiss es."

Ich kniff die Augen zu. Sollte er doch verschwinden und mich hier verrotten lassen. Langsam fand ich Gefallen daran, hier unten zu sterben. Wenigstens würde ich hier meine Ruhe haben - vor den Dämonen und vor den Engeln. 

"Selbst schuld."

Ich spürte wie mich zwei Hände um die Hüfte packten und ich hochgehoben wurde. Wie eine Irre trat ich aus, in der Hoffnung Jael zu treffen. Aber ich erwischte ihn nicht. Hier unten war es so dunkel, dass ich beinahe nicht erkannt hätte, dass mich ein breiter Wachmann über die Schulter geworfen hatte. Jael stand hinter ihm und grinste heimtückisch. 

Ich verspürte den wahnsinnigen Drang ihm dieses Grinsen vom Gesicht zu prügeln, bis es nie wieder dort auftauchen würde. 

"Du bist ein Miststück!"

"Ich bin ein Prachtstück", antwortete er lachend. Sein Lachen hallte durch die leeren Gänge und ging durch Mark und Bein. Irgendwo tropfte Wasser von der Decke. Oder war es Blut? Ich wollte es lieber garnicht wissen... 

"Das ist wohl Ansichtssache."

Er lachte wieder, aber diesmal war es offensichtlich, wie gestellt es war. Ob er oft so falsch lachen musste? Ob das Lächeln, welches den ganzen Abend lang starr auf seinem Gesicht gelegen hatte wie eine Maske, auch so falsch gewesen war? Mit Sicherheit. 

"Findest du?"

"Du bist ein Monster."

Ich spuckte ihm vor die Füße und war enttäuscht, nicht auf seine Stiefel getroffen zu haben. Selbst unter seiner Maske erkannte ich, wie seine Wangen vor Zorn zu glühen begannen. 

Ich bemerkte, dass ich aufgrund meiner Position auf ihn herabsehen konnte. Wenn auch nicht viel, aber mein Gesicht war höher als das Seine, dass mir gerade unheimlich nahe kam, als er näher auf mich zuging. 

"Weißt du, wen du vor dir hast?"

"Aber natürlich."

"Sag es."

Jetzt war ich diejenige, die laut auflachte. 

"Was?"

"Sag es. Sag wer ich bin."

Ich prustete, so sehr belustigte mich diese Aussage. Meine er das Ernst? Das konnte er doch garnicht ernst meinen, oder?

"Du bist ein widerlicher Bastard", antwortete ich mit dem süßesten Lächeln, welches ich produzieren konnte. 

"Ein widerlicher, eingebildeter, falscher Bastard."


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