Kapitel 51

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"Was soll das alles hier?"

Meine Stimme hörte sich kratzig an und war schrecklich schrill. Ich zitterte vor Angst und vielleicht auch Schock, ich war mir nicht sicher. Michael war hier und er war nicht alleine gekommen. Hinter ihm traten weiterte Gestalten aus den Schatten, die mir schmerzhafterweise viel zu bekannt vorkamen. 

Ich entdeckte Zac, Ana und ganz hinten in einen langen Mantel gehüllt- 

Gabriel. 

Wie hatten sie mich nur so verraten können? Ich spürte einen eisigen Stich an der Stelle, wo mein Herz wohl sitzen mochte. Ich hatte mich keiner der beiden Seiten zugeschrieben, die sich hier gegenüberstanden. Es war alles viel zu tiefgründig für mich, um es noch zu verstehen. Jael hatte meine Eltern gekannt. Sie alle hatten meine Eltern gekannt. Sie hatten ihre Namen genannt. 

Roxana & Raphael. 

Beim bloßen Gedanken an ihre verschwommenen Gesichter in meinen Erinnerungsfetzen gefror mir das Blut in den Adern. Mein Vater, mit dem blonden Schopf und den bernsteinfarbenen Augen, die ich von ihm geerbt haben musste. Meine Mutter, mit der langen dunklen Lockenmähne, von der so wenig bei mir übriggeblieben war. Ich trug sie in mir und es fühlte sich an, als würden sie mir über die Schulter sehen und mir Kraft spenden. Als ginge das Kribbeln in meinen Fingerspitzen aus ihren Seelen hervor, die sich in den Schatten versteckten und mich hüteten - mich, das einzige Überbleibsel ihrer Gene. 

Ich sah Jaels feurigen Blick auf Gabriel und beobachtete den Erzengel dabei, wie er ebenso geladen zurückblitzte. Es wirkte als gäbe es zwischen den beiden noch um einiges mehr, hinter das ich noch nicht gekommen war. Der Prinz der Hölle. Er wirkte angespannt. Ich konnte die Muskeln seines vernarbten Rückens unter seinem Umhang tanzen sehen, als er sein Schwert langsam aus der gusseisernen Scheide zog, die noch immer an seiner Hüfte baumelte. 

"Lucifer. Du hast dich verändert."

Michaels Worte klangen wie eine Feststellung. Eine Feststellung mit einem schleimig weichen Unterton, der nichts Gutes zu verheißen hatte. Diesen Ton hatte ich einst gehört, bevor er zu brüllen begonnen hatte, wie ein Irrer, weil ich mich nachts aus meinem Zimmer geschlichen hatte, um in der Küche einen Barren Marzipan zu stehlen. Ich hatte die Wachen ausgetrickst und mich als schäbiges Dienstmädchen verkleidet, doch sie hatten wohl begriffen, was ich im Schilde geführt hatte und mich gnadenlos verpfiffen. 

"Du dich auch Bruder."

Eiserne Hände packten mich wieder. Diesmal gehörten sie zu einem Hunter, ich sah das eingestickte Pentagramm auf seinem wehend roten Mantel. 

Azriel. 

Er zog mich zurück, in sicheren Abstand zu den hitzigen Geschehen vor uns. Ich spürte, dass er mir nicht wehtun wollte. Sein Griff war stark und so fest, dass ich mich ihm nicht entreißen konnte. Aber dennoch schmerzte er nicht halb so sehr, wie alles andere, was ich diesen Abend schon ertragen musste. 

"Shhh. Ich bin da", murmelte er an meinen Hals. 

"Das hilft mir gerade reichlich wenig. Lass mich los, verdammt!", fuhr ich ihn an. Die Angst und das Adrenalin verliehen mir eine gewissen Stärke. Ich wollte endlich Klarheit. Klarheit über mein verdammtes Leben. 

Ich trat ihm mit meinen Absätzen auf den Fuß. Hätte er seine Uniform mit den stahlverstärkten Kappen an den Stiefeln getragen, hätte dieser Move vermutlich garnichts gebracht. So jedoch zog er scharf die Luft ein und ließ von mir ab, als er sich vor Schmerz zusammenkrümmte. 

"Entschuldige", murmelte ich, als ich ihn sitzen ließ und mich wieder in den Kampf einschaltete, der eigentlich garkeiner war. Noch nicht. 

"Rose!"

Ana schoss auf mich zu und fiel mir um den Hals. Ich hätte sie gerne in den Arm genommen und gesagt, dass alles gut werden würde, als ich heiße Tränen auf meiner Schulter spürte, aber ich konnte es nicht. All der Schmerz und die Wut die ich empfunden hatte, als ich herausgefunden hatte, dass sie mich allesamt aufgegeben hatten und für eine Verräterin hielten kamen wieder in mir auf und brachten mich dazu, sie von mir wegzustoßen. 

Sie sah mich aus glasigen - vor Überraschung geweiteten - Augen an, doch das ließ mich erstaunlich kalt. Wenn ich es genau nahm, kannte ich sie ja nicht einmal. Die Dämonen waren in den wenigen Wochen mehr für mich dagewesen, als sie alle zusammen. Sogar Gabriel hatte mich zutiefst enttäuscht. Gerade er, dem ich mein Leben in die Hände gelegt hätte, wäre es darauf angekommen. 

Er hatte gedacht ich sei zu einem Monster geworden. Und wenn ich so näher darüber nachdachte, würde ich eine solche Äußerung wahrscheinlich nicht einmal mehr leugnen. Aber nicht, weil man mich dazu gemacht hatte. Ich hatte diese Seite schon immer in mir getragen. Sie war mir ausgetrieben worden, mit aller Macht und den grässlichsten Strafen hatten sie versucht mich zu etwas zu machen was ich niemals hätte werden können. 

Ich hatte dämonische Züge und sie tobten gerade in meiner Brust, bereit endlich vollkommen nach draußen gelassen zu werden. Es war schön ein Engel zu sein. Sie wurden von ihren Taten erfüllt und erhellt. Ich hatte so etwas nie gefühlt. Es hatte mich nie erfreut, mich nach allen Regeln der Kunst vorbildlich zu benehmen. Schon immer hatte es mich in den Fingern gejuckt, mich gegen die Regeln zu richten, sie gnadenlos und sogar beabsichtigt zu brechen. Vielleicht hatte es mich nur deshalb auf die Erde gezogen. Dort hätte es niemanden mehr geschert, wenn ich getan hätte, was man eigentlich nicht von mir wollte. Ich hätte ich selbst sein können. 

Hätte & können. 

Die beiden Worte die mich über die Klippe stießen. 

"Was wollt ihr hier? Ertragt ihr es nicht, dass eure süße kleine Rose ein eigenes Leben hat, in dem ihr nichts mehr zu sagen habt?"

"Das ist es nicht", warf Gabriel ein. "Wir sind hier um dir zu helfen. Verstehst du nicht?"

"Nein, ich verstehe garnichts, weil es nichts zu verstehen gibt!", schrie ich ihm entgegen. Ich wurde laut, aber das kratzte mich reichlich wenig. "Ihr denkt nicht daran, dass das hier vielleicht das ist, was ich verdammt nochmal will!"

In Jaels Augen blitzte etwas verräterisch auf. 

"Ihr wusstet es. Ihr wusstet die ganze Zeit über, dass ich es irgendwann herausfinden würde oder? Aber ihr habt es nicht für wahr gehalten. Und jetzt bekommt ihr Panik, weil ihr denkt ich wende mich gegen euch und bringe euer Reich zum Fall."

"Nein."

Das erste Mal sah Michael mich an. Sein rechter Flügel zuckte leicht, als er weitersprach. 

"Wir denken nicht, dass du dich gegen uns wendest. Es ist lange geschehen."

"Wann sollte das geschehen sein?", warf ich ihm entgegen. 

Er kam auf mich zu, beängstigend langsam hob er die Hände und legte sie auf meine Schultern. Mit einer einzigen flüssigen Handbewegung fuhr er über den zartrosa Stoff meines Kleides und schnitt ihn entzwei. Der Tüll fiel zu einem Haufen auf dem Boden zusammen und ich stand - nur in Unterwäsche gewandet - vor den wohl wichtigsten Mitgliedern des übernatürlichen Adels und meinen Freunden - oder, wie man sie auch immer nennen wollte. 

Doch ich reckte das Kinn und starrte stur in seine kalten Augen, die schon so vielen Menschen Zuversicht gespendet haben sollten. Doch ich erkannte in ihnen keinen einzigen Hoffnungsschimmer. 

Jemand würde heute sterben.

 Und es würde mich nicht wundern, wenn das meine Wenigkeit wäre. 


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Hey, ich melde mich auch mal wieder... Und ja, ich lebe noch XD

Eigentlich wollte ich mich für die 350 reads bedanken und jetzt sind wir einfach schon fast 550! Ihr seid der Wahnsinn ^^ 

Was denkt ihr? Wie wird es wohl weitergehen? Aus welcher Sicht sollen die nächsten Szenen geschrieben sein? 

XOXO Tony

HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt