Kapitel 36

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-Rose- 


Ich fühlte mich so unglaublich dumm, wie ich hier stand, mit meinen Dolch in der Hand und auf Jael heruntersah, der noch immer mit leicht geschwollenen Lippen auf den breiten Planken kniete. Sein Gesicht war so hart und kalt, dass ich es bereute, den ersten Kuss meines Lebens an einen Idioten wie ihn zu verschwenden. Aber ich hatte diesen Kampf gewonnen, das sollte es mir wert sein. 

Nicht einmal der Applaus meiner Mitbewohner änderte etwas an diesem seltsamen Gefühl, dass von Minute zu Minute langsam verebbte. Natürlich hatte ich gewusst, dass ich keine Chance gegen diesen Mann gehabt hatte. Er war tausende von Jahren älter und hatte deutlich mehr Erfahrung als ich. Wahrscheinlich machte er diesen Job schon seit ein paar hundert Jahren, wie sollte ich ihn dann besiegen, wenn ich nicht ein bisschen gegen die Regeln verstoß? Nie hatte jemand gesagt, dass es nicht erlaubt war, seine Gegner zu täuschen und sie hinterlistig zu Fall zu bringen. 

Je länger ich in die kalten Augen von Cole sah, desto mehr wurde mir bewusst, dass es ihn auch nicht zu stören schien. Im Gegenteil. Er wirkte ausgesprochen zufrieden über meine Taktik und es sah nicht so aus, als würde er sich darüber lustig machen wollen. 

Was man von Ethan und Azriel nicht so ganz behaupten konnte.

Ihre Wangen wurden von einem zarten Rosa eingefärbt und man merkte genau, wie sie sich ihr kindisches Gekicher verkneifen mussten. Wurden diese Typen eigentlich jemals erwachsen? Ich war mir ziemlich sicher, dass sie schön deutlich mehr Erfahrung in dieser Sparte hatten, als ich, wobei ich froh war, dass sie davon nichts wussten. Dieses Thema musste besser nicht aufkommen. 

"Das war... badass", gurrte Azriel leise, als er auf mich zukam. 

Auch er trug seine Uniform und war mehr als genug bewaffnet. In den letzten Wochen hatte er sich stark verändert. Er hatte zugenommen und unnatürlich viel Muskelmasse aufgebaut. Es war sehr offensichtlich, wie trainiert er war. Unter seinem engen Shirt zeichneten sich seine Bauchmuskeln deutlich ab, doch ich zwang mich, nicht hinzustarren. Diese Aktion die ich gerade abgezogen hatte, war schon genug für mein Ego. 

"Findest du?"

"Mhm... Du weißt nicht, wie genial das aussah."

"Nope, aber es freut mich zu hören, dass wenigstens ihr euren Spaß hattet."

Ich hörte, wie Jael hinter mir mehr als ruckartig aufstand. Dieses Kommentar passte ihm ganz und garnicht, aber das war mir egal. Dieser Junge war so eingebildet, da konnten ein oder zwei Dämpfer sicherlich nicht schaden. 

Azriel lachte leise auf, während er nach dem schweren Schlagstock griff, den auch er um den breiten Rücken geschnallt hatte. Sein braunes Haar war geschnitten und trotzdem sah es unordentlich aus. Aber wenn ich genauer darüber nachdachte, scherte es zumindest die männlichen Wesen in diesem Quartier nicht wirklich, wie ihr Haar saß. Sie waren alle viel zu fokussiert auf ihre Arbeit. 

"Was haltet ihr von einem zwei gegen zwei?", rief er jetzt lauter. 

Ich riss schockiert die Augen auf und sah ihn an. Meinte er das ernst? Ich hatte gerade zwei Kämpfe hintereinander geführt, die mir alles abverlangt hatten. Ich keuchte noch immer wie ein Fisch auf dem Trockenen. 

Ethan nickte eine Spur zu motiviert, von Jael hörte ich nur ein leises Grummeln, was Azriel jedoch ganz selbstverständlich als Einwilligung deutete. 

Toll. Jetzt sollte ich auch noch gegen drei Typen kämpfen?

"Ich kämpfe mit Rose. Playboy, du nimmst Ethan."

Playboy. 

Das meinte er jetzt aber nicht ernst, oder?

Ich rollte genervt mit den Augen, in der Hoffnung, Azriel könnte es bemerken. Stattdessen wand dieser sich jedoch nur seinen Waffen zu und ignorierte mich gekonnt. 

"Das ist nicht fair", jammerte Ethan, doch Jael unterbrach ihn. 

"Das ist nicht fair für mich, weil ich dank dir verlieren werde. Wag es nicht nochmal, dich zu beschweren, sonst muss ich leider deine Lippen vernähen", zischte er trocken. Er wirkte so unausstehlich Arrogant, wie er so da stand und abwertend auf Ethan hinuntersah, dass ich meinte, spüren zu können, wie mir pure Galle den Hals hochkroch. Ich schluckte das Gefühl runter und nahm meine Position neben Azriel ein. 

Es verschaffte uns einen großen Vorteil, dass er noch nicht kämpfen hatte müssen. Folglich hatte er viel mehr Kraft als wir alle, ausgenommen Jael, der sich noch immer bewegte, als wäre er gerade erst beim aufwärmen. 

Er ignorierte Azriel vollkommen und konzentrierte sich nur darauf, mich zu treffen. Hart, so schmerzhaft wie möglich. Er wollte mich zu Boden ringen, ich sah es in seinen Augen. 

Und dennoch standen wir noch alle auf den Beinen, als Cole uns zurief, dass wir aufhören sollten. In diesem Moment taumelte ich rückwärts, getroffen von einem letzten Angriff durch Jaels Schlagstock, der mir direkt in den Magen gezischt war. Starke Arme fingen mich ab. 

Eine seltsames Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Meine Haut fühlte sich an, als würde sie glühen. Ich wusste nicht genau, ob mich das beunruhigen oder faszinieren sollte. 

Azriel schien es auch zu spüren, abrupt ließ er mich los. 

"Was zur Hölle..." 

Cole klatschte amüsiert in die Hände, als er auf uns zukam. Ein heimtückisches Grinsen zierte seine schmalen, spröden Lippen. Es wirkte nicht, als würde er sich sonderlich um sein aussehen scheren. Ein silbergrauer Drei-Tage-Bart überzog seine Kiefer, der im Licht schimmerte, als er sprach. 

"Wow, Azriel. Ich dachte dieser Moment würde niemals kommen. Und ich durfte ihn sogar miterleben...", murmelte er gedankenverloren. 

"Bitte?", hakten wir beide im Chor nach. 

"Sollte ich mich geehrt fühlen?", raunte Cole weiter. 

Jael schien ein Licht aufzugehen, denn ich sah im Augenwinkel, wie ihm die Kinnlade herunterfiel - wenn auch kaum merklich. 

"Ladys and Gentleman, wir haben eine Wiedervereinigung zu feiern!"

Er hob die Hände, als würde er zu einer unbeschreiblich großen Gruppe Menschen sprechen. Oder Dämonen - wie auch immer. 

Ich war nicht die Einzige, die bei diesen Worten die Stirn in die Falten legte. Als ich einen fragenden Blick mit Azriel wechselte, merkte ich, dass auch er verwirrt war. 

"Verdammt, stellt euch doch nicht so blöd! Ich spüre hier einen glasklaren Hunterbund!"

"Einen was?", fragte ich. Cole sah mich an, als wäre ich ein Alien, das gerade aus einem Hühnerei geschlüpft war, dass er zum Frühstück hatte verschlingen wollen. 

"Shit", murmelte Azriel hinter mir. 

"Leute?", hauchte ich leise. "Was geht hier ab?"

"Hast du noch nichts davon gehört, dass jeder Hunter - oder jede Huntress, versteht sich - einen Partner hat, mit dem er oder sie auf Streifzüge geht? Nun, Azriel hatte nie einen, das Schicksal hat es nicht gut mit ihm gemeint. Bis jetzt."

"Das heißt-"

"Er ist dein Partner, ja."

Oh shit.

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