Kapitel 22

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-Jael- 


Mir gefiel es, wie sie sich sträubte. Sie wollte es sich nicht eingestehen, dass die dankbar war, für meine Geste, gegen die sie sich nicht hatte wehren können. Es erfüllte mich mit einer seltsamen Zufriedenheit, zu sehen, wie sie schmollte, teils beschämt, teils entstellt. 

Mir war nicht kalt, auch wenn ich im Shirt hier draußen stand, mitten im September. Rose schien das zu faszinieren. 

Frauen waren doch alle irgendwo gleich...

Obwohl es so offensichtlich war, dass sie nicht war, wie alle anderen. Sie war besonders. Und damit meinte ich nicht ihre Rasse, sondern irgendetwas an ihrer Art. Ihr Wesen war so dämonisch und gleichzeitig doch so engelsgleich. 

Verdammt was war bloß mit mir los?

Bloß weil sie jetzt in meiner Obhut stand, erlaubte mir das nicht, so über sie zu denken. Ich würde sie trainieren müssen, bis ihre Fingerknöchel bluten würden. Sie würde rennen müssen, bis sie nicht mehr laufen konnte. Kämpfen, bis sie kaum mehr zu Atmen vermochte. 

Ich konnte kein Mitleid mit ihr haben. Ich sollte es nicht, es würde mir nur noch zum Verhängnis werden. Am besten wäre es wohl, ich würde mich soweit von ihr entfernen, wie möglich. 

Rose scharrte mit den Absätzen ihrer Schuhe in dem bemoosten Boden und schob die alten Tannennadeln zu einem kleinen Häufchen zusammen, um dann hineinzustechen und es wieder zu zerstören. 

Als sie bemerkt hatte, dass ich sie beobachtete, sah sie mich aus runden Augen an. Wie ein Welpe, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte. Unschuldig und deprimiert. Ein kurzes Schmunzeln huschte mir über die Lippen, die Unschuld wandelte sich zu einem intensiven Funkeln. 

Mir war nie aufgefallen, wie schön ihre Augen eigentlich waren. Man könnte eigentlich meinen, dass braune Augen gewöhnlich - wenn nicht sogar langweilig aussahen. Doch dieser Behauptung musste ich ausnahmsweise Mal widersprechen. 

Azriel hatte auch so schöne Augen. Ich hatte es ihm einmal gesagt und prompt eine Ohrfeige kassiert, mit dem Kommentar: 

"Ich bin nich gay, sorry man."

Das war mir damals unfassbar peinlich gewesen. Normalerweise war es Azriel, der mit allem flirtete, was zwei Beine hatte. Ich hielt mich aus diesen Spielchen meistens heraus, ich hatte mit Sicherheit keine Zeit für solche Dinge. Ich hatte dank meines Namens schon genug zu tun. 

Kronprinz der Unterwelt riefen sie mich. Ich hasste es, wenn mich jemand so nannte. Ich würde den Thron nie besteigen müssen, und war dessen auch ganz froh. Das regieren lag mir einfach nicht. Ich wollte meine freien Zeiten lieber damit ausfüllen, durch die Welten zu streifen, statt mit einer Krone - die zudem auch noch verdammt schwer war - auf dem Kopf, irgendwelche Reden zu halten. Das war einfach nicht das Leben, dass zu mir passte. 

Als Kronprinz hingegen, konnte man tun, was man wollte. Wenn man nicht gerade der ungewollte Sohn des Teufels war. Unten in der Hölle war die Zeit noch im Mittelalter stehen geblieben. Die Bevölkerung kleidete sich wie im neunzehnten Jahrhundert, wobei ich mir sicher war, dass das der Himmel nicht groß anders handhabte. 

Rose räusperte sich neben mir. 

"Jael?"

"Hm?"

Mir war nicht danach, ihr richtig zu antworten. Ich hatte ihr schon viel über mein Leben erzählt, wahrscheinlich sogar viel zu viel. Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sie ausfragte, über ihr Leben. So wie ich es schon lange tun hatte sollen. 

"Wo bringst du mich hin?" 

"Zu uns."

"Oh."

Sie schien kurz zu überlegen. 

"In die Hölle?"

Ich nickte. Für einen kurzen Moment meinte ich, wieder Tränen in ihren Augen glitzern zu sehen. Diesmal kam es mir aber so vor, als würde sie die Maske, die sie permanent aufrecht hielt, fallen lassen, und mir wenigstens für einen kurzen Moment einen Blick auf ihr wahres Ich gewähren. Ein Ich, dass verletzlich war, auch wenn es das nicht zugeben wollte. 

"Rose? Ich denke jetzt darf ich dich mal was fragen."

Sie nickte und murmelte leise: 

"Nur zu."

"Welche Erinnerungen hast du noch an deine Familie? Wie... du weißt schon... wie bist du in den Himmel gekommen?"

Sie seufzte leise. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie geahnt hatte, dass diese Frage kommen würde. Dennoch antwortete sie mir darauf, auch wenn es wirkte, als würde sie lieber sterben, als darüber reden zu müssen. 

"Als ich drei Jahre alt war, wurden sie ermordet. Ich weiß bis heute nicht genau von wem, wenn ich danach gefragt hatte, wurde mir gesagt es wären... Dämonen gewesen."

Ich konnte nicht widerstehen und unterbrach sie. 

"Dir ist hoffentlich selbst bewusst, dass das keinerlei Sinn macht, oder?"

"Jetzt, ja." 

Mir war es lieb, dass ihr ihr nicht erklären musste, dass Dämonen keine Schuldgefühle hatten. Es störte sie nicht, dass sie Regeln brachen, im Gegenteil, manche genossen es sogar. Auch wenn ich gestehen musste, dass ich diesen schrägen Drang zu illegalen Handlungen nur zu gut kannte. Er überrollte mich immer in den unpassendsten Situationen, auch wenn ich das Glück hatte, dass ich flink und schlau war. Ich ließ mich nicht erwischen. 

"Er hat sie getötet und mich mitgenommen. Ich war damals viel zu klein, als das ich mich hätte wehren können. Er hat mich im Himmel ausgeliefert, dort wurde Gabriel zu meinem Schutz ausgewiesen, seitdem musste er sich mit mir abgeben. Er war alles für mich."

Irgendwo in meiner Brust spürte ich, wie etwas gegen die Wand meines Herzens boxte. Es schmerzte, doch ich zwang mich dazu, es zu ignorieren. 

"Ich könnte dir zwar beschreiben, wie meine Eltern aussahen, aber das bringt uns beide nicht weiter. Sie sind tot. Beide. Und das weißt du."

Ihre letzten Sätze sprach sie mit so viel Abneigung mir gegenüber in der Stimme, dass es wirkte, als wolle sie mir die Kehle durchtrennen. 

"Ja, das weiß ich."

"Warum tust du dir das an? Warum hörst du auf deinen Vater, wenn es euch im Blut liegt, nicht zu gehorchen?"

"Du kennst meinen Vater nicht. Du weißt nicht, wie viel Macht er hat."

"Was willst du mir damit sagen? Das du genauso viel Macht hast und ich Angst vor dir haben soll?"

"Du solltest Angst vor mir haben. Aber nicht, wegen meiner Abstammung oder meiner Macht, sondern weil ich gefährlich bin."

"Gefährlich?"

Sie klang nahezu, als würde sie mich verspotten wollen. Prompt war sie wieder da. Die knisternde Anspannung zwischen uns, die Ladung, die in der Luft lag. 

Das Prickeln unter der Haut. 

HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt