Kapitel 55

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Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich eingeschlafen war. Erst, als ich in einem festen Griff wieder zu mir kam, wurde mir so einiges klar. 

Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden. Und was beinahe noch schlimmer war, ich wusste nicht, was in der Zwischenzeit in der Hölle geschehen war. Vielleicht - ich wollte garnicht daran denken - waren sie alle tot. Vielleicht kämpften sie noch immer oder waren auf der Suche nach mir - nach uns. 

Ich versuchte mich aufzusetzen, doch der Arm, der schützend um meine Taille lag drückte mich zurück in das kalte Gras auf dem wir geschlafen hatten. Das Feuer war ausgegangen und hatte einen rußigen Fleck auf kahlem Boden zurückgelassen. Jaels Hände waren wie heiße Kohlen auf meiner bitterkalten Haut, doch ich wollte in diesem Moment nicht daran denken, was das Gefühl seiner Haut auf meiner in mir auslöste. Ich wollte wissen, was in der Hölle vor sich ging. Wissen, ob vielleicht schon alles zu spät war. 

"Jael?"

Der Arm regte sich etwas und sein Besitzer antwortete mit einem bestätigenden Brummen. 

"Bist du wach?"

"Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan."

"Oh."

Mit einem kraftvollen Ruck richtete Jael sich auf und ließ mich allein auf dem Boden hocken. Er hatte die Flügel eng hinter dem Rücken gefaltet, als er um die erloschene Feuerstelle herumtigerte. Den Schatten nach zu Folge, die tief unter seinen Augen lagen, hatte er wirklich nicht geschlafen. Nicht mal annähernd. Sein Blick wirkte gehetzt, als er sich aufmerksam in der Umgebung umsah.

"Weshalb... hast du nicht geschlafen?" 

Und was eigentlich noch viel schlimmer war... Wieso hatte er zugelassen, dass ich schlief, während in seiner Heimat vermutlich gerade ein Krieg wütete?

"Du weißt nicht, wo wir uns hier befinden, oder? Das hier ist... eine Art surreale Zwischenwelt. Solange wir hier sind, läuft die Zeit nicht weiter. Da wo wir herstammen. Zumindest nicht richtig."

Ich musste schlucken. In der Hölle war keine Zeit vergangen? Ein beunruhigendes Kribbeln nahm meinen Körper in Besitz, als mir klar wurde, was das bedeutete. Wenn wir zurückkehren würden, würde alles so sein wie zuvor. 

Schneller als mir lieb war, machte sich ein anderer Gedanke in meinem Kopf breit. Wenn wir hierblieben würden... Wenn wir hierblieben würden, müssten wir uns den Problemen die wir zurückgelassen hatten vielleicht niemals stellen. Niemand müsste unseretwegen sterben.

"Aber diese Zwischenwelten sind gefährlich. Gefährlicher vielleicht, als die Hölle es jemals sein könnte. Hier lauern Wesen die sich nichts daraus machen, dass wir... Das ich ein Sohn des Höllenfürsten bin. Hier hausen Kreaturen die Magie nicht fürchten. Sie fürchten garnichts, weil sie im Vergleich zu uns, nicht sterben können."

Oh. Das war... mir neu.

Jael schien sich etwas zu entspannen, denn als er näher kam und sich vor mir ins Gras sinken ließ, raschelten seine Schwingen leise, als er aufseufzte. Ich wusste, wie er sich fühlte. Es lag ganz allein an uns, wie diese Sache ausgehen würde. 


- Jael - 


Der Blick, mit dem Rose mich beobachtete, brachte mich fast um. Sie hatte begriffen, dass wir nicht ewig hierbleiben konnten, auch wenn es uns das Leben um ein vielfaches erleichtern könnte. Es durfte nicht so enden. 

Ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass ich mehr als nur eine Minute dieser Nacht damit zugebracht hatte, darüber nachzudenken, wie unser Leben hätte enden können, als ich die zarten Federn Rose' Schwingen auf meiner Wange gespürt hatte. 

Wir hassten uns - wir hassten uns so sehr, dass wir es ohne einander nicht aushielten. Vielleicht war es Hass, weshalb es mich so sehr traf, sie so zu sehen. Vielleicht auch etwas anderes - ich wagte es nicht, näher darüber nachzudenken. Ich konnte nicht zulassen, dass sie getötet wurde. Früher hätte ich vermutlich gesagt, dass ich derjenige sein wollte, der ihr mit dem Schwert den Todesstoß versetzte, doch heute wusste ich, dass eine Welt ohne sie nur eine halbe Welt für mich wäre. 

"Du bist schwach. Vielleicht sollten wir noch warten, bis wir zurückgehen...", setzte sie an, doch ich unterbrach sie. 

"Ich bin niemals schwach."

Ich versuchte, meine Stimme möglichst empört klingen zu lassen, aber sie durchschaute mich. Als ihr Blick weich wurde und die dunklen Augen verräterisch zu schimmern begannen, hätte es mich beinahe zerrissen. Ich hätte geschworen, dass ihre Stimme zitterte, als sie sagte:

"Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Auch wenn ich es hasse, das es so ist." 

Ich musste lächeln. Ich kam einfach nicht dahinter, welchen miesen Streich man mir hatte spielen wollen, als man dieses Mädchen in meine Leben gelassen hatte. Sie hatte alles durcheinandergebracht und so viel zerstört, dass ich ihr eigentlich wirklich böse sein müsste. Aber alles was ich zustande brachte, wenn sie mich so ansah, war ein Lächeln. 

Ein verdammtes Lächeln. Vom Prinz der Hölle. 

Na ganz toll. 


Rose Finger zitterten, als sie sich mit meinen verflochten. Ihr Gesicht war blass und eiskalter Schweiß glitzerte auf ihrem Hals, als sie sich an mich drückte. Sie hatte Angst vor dem, was uns erwartete. Ich würde lügen, würde ich sagen, dass mir nicht auch mindestens etwas unwohl war. 

Ich strich ihr übers Haar - ich fühlte mich so nutzlos wie noch nie, als ich mir überlegte, wie es mir gelingen könnte, sie etwas aufzumuntern. Doch als die Dunkelheit uns einhüllte, die als Vorbote unser bevorstehenden Reise zurück in die Realität über uns hereinbrach, fiel mir nichts weiter ein, als ihr leise und mit gesenkter Stimme zuzureden.

"Tu mir einen Gefallen, Rose Celeste. Versuche, heute Abend nicht zu sterben. Du bist die verdammte Prinzessin des Himmels. Meine verdammte Prinzessin. Ich will nicht dabei zusehen müssen, wie das Leben aus deinem Körper kriecht, verstanden?" 

Als sie nickte spürte ich, wie eine einzige salzige Träne von meinem Hemd aufgefangen wurde. 

Mein Herz zerfiel in tausend Scherben, als ihre Schwingen zuckten und unsere Körper zu einem wurden, ehe uns die Finsternis verschluckte und unsere Seelen ins Nichts schickte. 



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Ich weiß, dieses Kapitel kommt mit einiger Verspätung, aber ich werde versuchen, diese Story jetzt zügig zu beenden und euch nicht nochmal so lange warten zu lassen...

Seid auf das große Finale gespannt. Ich hoffe ich kann es so in Worte fassen, wie ich es mir vorgenommen habe... :)

Ich überlege zurzeit, der Story einen neuen Namen zu geben. Findet ihr, dass Holy ein passender Titel ist, oder sollte ich ihn ändern?

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