Kapitel 21

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"Wie, genau wie ich?"

"Genau wie du. Ich sage das so, wie ich es meine. Du kennst deine Eltern nicht, oder?"

Nein, ich kannte sie nicht. Aber das hatte ja bei weitem noch nichts zu heißen. Sie waren ermordet worden, als ich drei Jahre alt gewesen war. Ich hatte kaum mehr Erinnerung an sie, trotzdem konnte ich ihm nicht glauben.

"Ich kannte deine Mutter. Sie war eine recht enge vertraute zu meinem Vater, bis sie deinen Dad kennenlernte. Wenn es um deinen Dad geht, würde ich mal Gabriel fragen. Er kannte ihn gut."

"Warte, warte... Gabriel kannte meinen Dad, aber woher kennst du Gabriel?"

"Ich bin ein halber Engel. Da weiß nur so gut wie keiner. Gabriel wusste es mal, bis sie ihm das Hirn gewaschen haben. Er hatte damals Mitleid mit mir, weil ein unschuldiges Kind wie ich in der Hölle leben musste. Ich war damals sechzehn. Meine Kräfte hatten begonnen zu erwachen, ich war von allem und jedem genervt. Also habe ich ihm im Schlaf die Flügel versengt und bin dann abgehauen."

Ich sah, wie er schmunzelte. Ein Hauch von Stolz lag auf seinem Gesicht, von dem ich nicht wusste, ob er mich schocken oder faszinieren sollte.

"Meinem Vater habe ich davon logischerweise nie etwas erzählt. Er hätte mich umgebracht. Oder es zumindest versucht."

"Und was hat das jetzt mit mir zutun?"

"Verstehst du es denn nicht? Deine Mutter war eine Dämonin, dein Vater ein Engel. Dein Bruder, Dave hieß er, nicht? Er hatte das Pech, dass er garnichts von ihnen geerbt hat. Weder noch. Du hingegen hast gleich beide Seiten in dir vereint. Er war ein Mensch. Du bist..."

Er bracht ab. Was wollte er mir sagen? Was war ich? Eine Missgeburt? Ein Wunder?

"Was bin ich?"

"Du bist zwar noch jung. Aber du bist mächtig und gefährlich. Du bist eine Waffe für sie."

"Für wen?"

"Für die Engel, verdammt. Beide Seiten wollen dich für sich allein haben, weil sie dich brauchen werden. Sobald deine Magie voll ausgereift ist, könntest du sie alle in den Sand stecken. Ohne dich nur zu bemühen."

Ich wusste, auf was er hinaus wollte. Ich war schließlich nicht dumm und konnte eins und eins zusammenzählen.

"Das heißt du bist beauftragt worden, mich mit in die Hölle zu nehmen, damit sie mich umbauen und als Waffe gegen meine Freunde benutzen können?"

Er antwortete mir nicht. Das sagte schon genug.

Genug um zu wissen, dass ich recht hatte.

"Also doch. Nur das du weißt, dass lasse ich sicherlich nicht mit mir machen. Ich bin auf die Erde gekommen, weil ich ein normales Leben führen wollte. Nicht, um mich gleich danach in die Hölle schleppen zu lassen."

Er durchbohrte mich mit seinem Blick. Er wirkte aufgewühlt.

"Denkst du ich will das hier? Ich würde mich auch lieber auf Partys betrinken und Frauen angeln aber so ist das Leben eben nicht. Man kann nicht an die Zukunft denken, ohne das hier und jetzt zu vergessen. Es gibt eben Dinge, die getan werden müssen. Und damit meine ich nicht, dich meinem Vater auszuliefern."

Ich spürte, wie mir salzige Tränen in die Augen stiegen. Sie sammelten sich dort, bis ich nicht mehr klar sehen konnte und rannen dann meine Wagen herunter. Ich ließ sie laufen.

Ich weinte nicht, weil ich Angst hatte oder besorgt war.

Ich weinte vor Wut. Vor Wut über Gabriel, weil er nicht besser auf mich aufgepasst hatte und vor Wut über mich selbst, weil ich es nicht zugelassen hatte, dass er auf mich aufpasste. Ich hätte nie auf diese verdammte Erde kommen sollen. Ich hätte ein Schutzengel werden sollen, wie mein Dad und ein verflucht glückliches Leben leben.

Jael hatte bemerkt, dass ich weinte.

Über uns raunte der Himmel auf. Die Wolken öffneten sich wie Tore und ließen Ströme des kühlen Regens auf uns nieder, bis wir komplett durchnässt waren.

"Bloody hell...", kam es von Jael.

Er fuhr an den Straßenrand. Vor uns befand sich eine kleine Ansammlung hoher Bäume, die den Regen wenigstens halbwegs abhielten. Sobald das Auto stand, riss ich die Tür auf und sprintete auf das rettende Trockengebiet zu.

Jael stapfte genervt um seinen Wagen herum und schloss die Tür, die ich offen gelassen hatte. Sein Haar war ebenso durchnässt wie meines, es hing ihm tropfend in die Stirn. Den Kragen der Lederjacke hatte er weit nach oben gezogen, dass ihn der Wind nicht so erwischte. Die Schnallen seiner Boots klimperten bei jedem seiner Schritte, die er sich mir näherte, leise weiter.

Er lehnte sich neben mir an einen Baum und strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Irgendwo tief in mir kam Enttäuschung auf.

Verdammt.

Er musterte mich aufmerksam.

Ich war ebenso nass, wie er. Eigentlich mochte ich Regen, im Himmel hatte man davon eben nie viel gespürt. Hier unten allerdings, waren Stürme anscheinend eine ganz andere Nummer.

Als der Wind mich erfasste, stellten sich die Haare auf meinen nackten Armen. Ich strich über meine Haut, in der Hoffnung die Gänsehaut würde verschwinden.

Schön wärs gewesen.

Ich hörte, wie Jael neben mir aufseufzte, sich von dem Baum löste und aus seiner Jacke schälte. Sie war zwar nass, aber durch ihr Material innen trocken.

Oh nein, dass konnte er nicht machen.

Er hielt mir den schweren Stoff hin und schien darauf zu warten, dass ich ihn annahm. Wenn er das dachte, musste er wirklich blöd sein.

Als ich nicht reagierte, hob sich eine seiner Brauen. Fragend und herausfordernd.

"Vergiss es", nuschelte ich leise hinter zusammengepressten Zähnen hervor.

Er grinste breit. Er wusste genau, wie sehr ich mich sträubte. Aber er würde mir das nicht durchgehen lassen. Das sah ich in seinen Augen.

Als ich wieder stur den Kopf schüttelte, ließ er den Arm senken. Ich wollte schon in inneren Jubel ausbrechen - da ich diesen Kampf offensichtlich gewonnen hatte - als ich sah, dass er auf mich zukam.

Ich wand mich - genervt schnaubend - von ihm ab. Ich wollte ihn nicht ansehen.

Ich spürte Stoff auf meiner Haut. Noch warm von seinem vorherigen Träger. Meine Gänsehaut intensivierte sich. Nicht mehr, weil mir kalt war. Jael bewegte sich langsam, als er mir das Kleidungsstück um die Schultern legte. Er griff sachte nach meinen Armen und führte sie in die Ärmel, die so viel weiter und länger waren, als die meiner eigenen Klamotten.

Ich konnte seinen heißen Atem in meiner Halsbeuge spüren.

"Bilde dir bloß nicht ein, dass das etwas zu bedeuten hat..."

HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt