Kapitel 42

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Weiche Klänge eines Streichquartetts drangen an meine Ohren, als wir durch die breiten Gänge tigerten. Azriels Schritte waren groß und anmutig, als wollte er sich von seiner besten Seite zeigen - aber das konnte man ihm nicht übel nehmen.

Er zog mich hinter sich her, immer weiter auf die Quelle der Musik zu, an Wachen und unzähligen Türen vorbei. Er schien sich hier unheimlich gut auszukennen.

Ob er schon oft hier gewesen war? Schließlich war er mit Jael befreundet, oder?

"Falls du ihn siehst", Ohne das er es aussprach, wusste ich genau, wen er meinte. "Sprich ihn nicht an, es sei denn er tut es."

"Warum nicht?"

Er musterte mich schräg, als wäre ich schwer von Begriff, oder ein kleines, dummes Kind, dass nicht hören wollte.

"Er ist der Kronprinz. Das reicht als Erklärung."

"Wenn du meinst..."

"Du wirst gleich sehen, was ich meine."

Wir bogen um eine Ecke und verließen das schauerliche Licht der Fackeln. Vor uns lag ein gewaltiger Ballsaal voller edel gekleideter Leute. Die Damen trugen weit ausgestellte Kleider aus unzähligen Tülllagen, meist in hellen Farben wie Koralle oder Mint, ihre Begleitungen passende Zwei- oder Dreiteiler.

In Azriels Arm fühlte ich mich halbwegs behütet, auch als ich meinen langen Umhang ablegte und ihn einem der Diener reichte, der neben mir aufgetaucht war und jedem meine nackten Schultern entblößte, was mir einige verwunderte Blicke bescherte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass alle anwesenden Jäckchen oder Ärmel trugen - nur ich nicht. Azriel sah mich kurz durchdringend an, dann stierte er wieder stur geradeaus und lächelte steif.

"Ist was?"

"Was ist das für ein Kleid?", zischte er leise, ohne eine Miene zu verziehen.

"Jessica hat es genäht. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich austoben. Was ist so schlimm daran?", stellte ich ihm eine Gegenfrage.

Er räusperte sich.

"Es entspricht nicht ganz dem dress-code, wenn man es nett ausdrücken will. Aber es ist heiß."

Er grinste spitzbübisch.

Ich kniff ihm in die Seite, schmiegte mich jedoch gleichzeitig an ihn, damit es nicht so auffiel. Sollte ruhig jeder denken, dass wir etwas miteinander hatten, dann würde ich meine Ruhe haben.

Hoffentlich.

"Willst du was trinken?", flüsterte er in mein Ohr, natürlich nicht ohne mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen.

"Sehr gerne", antwortete ich ihm und ließ ihn ohne einen weiteren Kommentar stehen, um mich auf die Suche nach Ruby zu machen. Ich fand sie weiter hinten - mittlerweile ohne Ethan - an der Wand lehnen und mit einem anderen Mädchen reden. Sie war etwa so groß wie ich und hatte rabenschwarzes Haar wie Ruby. Es war hüftlang und gewellt, wie meins.

Als sie mich kommen hörte, drehte sie sich mir zu und durchbohrte mich mit einem Blick aus klaren, eisblauen Augen, durch ihre bronzene Maske hindurch.

Nein.

Niemals nicht.

Um Himmels Willen.

Diese Augen würde ich überall wieder erkennen. So kalt und abstoßend, tiefgründig und verschlüsselt. Das funkelnde Diadem auf dem Haupt des Mädchens gab mir die Antwort, die ich gesucht hatte.

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