Kapitel 49

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Meine Lippen brannten  und mein Herz pochte so laut, dass ich meinte es würde in meiner Brust zerspringen und meine Haut in tausend stücke reißen. Das wäre mir gerade recht, überlegte ich, als ich mich aus meinem Kleid schälte. Jael hatte ich dazu gezwungen hinter dem hohen Regal stehen zu bleiben. Ich hatte ihm damit gedroht, ihm die Gurgel zu zerschneiden, würde er kucken. 

Er hatte nur genickt und mich mit einem verstohlenen Blick gehen lassen. 

Ich war überfordert. Das gerade hätte nicht geschehen dürfen. Ich hatte ihn zuvor schon einmal geküsst - auf dem Trainingsplatz der Hunter - und meine Gedanken wanderten sofort zurück zu dem Gefühl seiner Lippen auf meinen. Ich verbannte sie aus meinem Kopf und schnürte die pastellblaue Korsage enger um meinen Oberkörper. Das Kleid hatte Ärmel und einen hohen Kragen aus schimmernden Stoff. Die Schuhe drückten, aber ich hatte Hoffnung, sie nur kurzzeitig tragen zu müssen. Ich steckte mein Haar mit langen Nadeln nach oben und zog die Perücke über. 

"Blond steht dir nicht", hörte ich es von Jael trocken. 

"Danke. Sag doch gleich, dass du es scheußlich findest." 

"Ich finde es scheußlich."

Ich sah seinen Kopf neben den staubigen Büchern auftauchen. Die Krone saß schief auf seinem zerzausten Haar. Das gab ihm etwas verwegenes, aber dass würde ich ihm nie sagen.

"Die Frage ist nur, seit wann interessiert mich deine Meinung? Zumal ich mir ziemlich sicher bin, dass du derjenige warst, der dieses Ding ausgesucht hat."

"Wenn dich meine Meinung nicht interessiert", knurrte er leise, als er auf mich zukam und sich eine Spur zu dicht vor mich stellte. "warum bist du dann jetzt so schlecht gelaunt? Ich sehe keinen Grund dazu."

"Vielleicht liegt es ja dran, dass du ein miserabler Küsser bist", sagte ich achselzuckend, mir sehr wohl bewusst, wie gefährlich dieser Satz war. Das ließ er nicht auf sich sitzen.

Natürlich. 

"Das schließe ich kategorisch aus", murmelte er, ließ von mir ab und strich über ein paar Briefe auf dem alten Schreibtisch neben mir. Er öffnete einen der blassen Umschläge und zog ein sorgsam gefaltetes Stück Pergament heraus. Er las es durch und steckte es zurück. 

"Bist du fertig?"

Ein forschender Blick gab ihm offensichtlich Antwort genug. Er zerzauste mir im Vorbeigehen die Haare und richtete seine eigenen. Er erwog kurz mir meinen Lippenstift zu verwischen, aber dass schien nicht mehr nötig zu sein. Als er mir den Arm anbot, zog ich mir die goldene Maske vor die Stirn und hakte mich bei ihm ein. 

"Was sagen wir ihnen, wenn sie fragen, was wir hier gemacht haben?"

"Die Wahrheit", sagte er und grinste spitzbübisch. Ich verdrehte die Augen. 

"Das du mich aus meiner Zelle geholt und mir andere Kleider vor die Füße geworfen hast, damit ich nicht auffalle, wenn du mich unbemerkt hier rausbefördern willst? Gerne! Das halte ich für eine sehr sinnvolle Idee!"

Jetzt war er es, der die Augen verdrehte. 

"Ernsthaft? Nimmst du es mir so übel, dass ich dich in eine Zelle hab stecken lassen?"

Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. War das sein Ernst?

"Nein, du küsst einfach scheiße."

Ich schmunzelte heimtückisch und wollte die Türklinke vor uns ergreifen, als ich ihn leise schnurren hörte. 

"Ist das so?", hauchte er in meinen Nacken, sodass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren konnte.

"Natürlich, eure Hoheit", entgegnete ich und ließ ihn hinter mir im Zimmer stehen. Sein zorniges Schnauben ignorierte ich und ging unbeirrt weiter. Er sollte sich ruhig aufregen. Vielleicht würde er dann vergessen, was nur wenige Minuten zuvor zwischen uns passiert war...

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