Kapitel 7

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"Durch ihr Verhalten hatte sie nicht nur die Menschen misstrauisch gemacht. Sie wandeln unter uns. Geschützt, in der Gestalt eines Menschen, wie wir auch, Rose. Sie sind gefährlicher, als alles, vor dem du dich je gefürchtet hast. Sie sind kalt. Sie tun verbotene Dinge, ohne mit der Wimper zu zucken, töten unschuldige Menschen und lachen dabei. Man sagt sogar, sie seien nicht einmal in der Lage, Gefühle zu empfinden.

Nur Hass.

Hass gegenüber uns.

Hass gegenüber Engeln."


Zacharias Worte hatten sich in meinen Gedanken eingebrannt und verfolgten mich noch immer, obwohl ich seit zwei Stunden in meinem Bett lag, und zu Schlafen versuchte. Er hatte recht, ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas so böses existieren sollte. Ich konnte nicht verstehen, warum jemand sündigte, um uns eins auszuwischen, unschuldige Menschen in den Wahnsinn trieb, weil es ihm Spaß machte...

Ich rollte mich in meinen Decken umher. Eines der Fenster stand offen und ließ eine angenehm kühle Briese herein, die mir eine Gänsehaut über die Arme jagte.

Schon zum wiederholten Mal an diesem Abend fragte ich mich, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, den Himmel zu verlassen. Einmal gegangen, nie wieder Willkommen. Unausgesprochene Worte, die jedoch voll und ganz der Wahrheit entsprachen. Wenn man sich dazu entschieden hatte, auf der Erde zu Leben, wurde man auf einmal aus allem herausgehalten. Niemand redete mehr mit dir, niemand wagte es, dich auch nur anzusehen. Über Nacht wurde man wortwörtlich zum schwarzen Schaf. Ich hatte das Glück gehabt, dass es mir sowieso nie erlaubt gewesen war, das Schloss zu verlassen. Es war so groß gewesen, dass es mich nie wirklich gestört hatte. Ich hatte es einfach nicht anders gekannt.

Wenn ich jetzt darüber nachdachte, welche Möglichkeiten mir hier offen standen, begann es tief in mir freudig zu kribbeln. Ich konnte überall hingehen, wo ich wollte. Gut, zugegeben, ich konnte meine Kräfte nicht nutzen. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Aber damit würde ich ja wohl klarkommen...

Irgendwo draußen knackte und raschelte es. Ich stand auf und schloss mein Fenster leise, da ich sowieso nicht schlafen konnte. Ich bemerkte wie trocken meine Kehle war, seufzte genervt und schlich mich auf leisen Sohlen auf die Gänge hinaus. Ich huschte die Treppen hinunter und bemerkte verwundert, dass in der Küche Licht brannte.

Ich hielt einen Moment inne und lauschte. Ich wusste nicht, ob das für Engel üblich war, denn mein Gehör war ungewöhnlich gut. Ich konnte genau hören, dass gute zehn Meter vor mir jemand hin und her ging. Er bemühte sich, leise zu sein, doch es gelang ihm nicht. Instinktiv ballte ich meine Hände zu Fäusten. Ich hatte noch nie jemanden geschlagen, schon garnicht gewollt. Wer auch immer dort zugange war, er wollte nicht erwischt werden.

Ich spürte, wie meine Schultern sich anspannten.

Eine männliche Stimme begann leise ein Lied vor sich hin zu summen. Es erinnerte mich stark an die Musik die im Himmel immer gespielt worden war. Die Orchester dort bestanden fast nur aus Streichern oder Orgeln.

Die Stimme kam mir bekannt vor.

Aber klar doch... Wie hatte ich so dumm sein können? Ich hatte gedacht, Zac wäre schon vor Stunden verschwunden. Ganz offensichtlich nicht.

Ich atmete aus und lockerte meine Muskeln, als ich die letzte Stufen hinunter schlich. Ich gab mir keine Mühe mehr, leise zu bleiben, damit er sich nicht zu Tode erschreckte. Er bemerkte mich und wand sich mir zu.

"Oh mein Gott."

Ich bedeckte meine Augen mit einer Hand, die andere ließ ich am Geländer, damit ich nicht hinfiel.

"Rose!"

Nein, nein, nein.

"Was soll das? Du hast mich erschrocken!"

Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich wollte nicht sehen, wie er seine Hand gespielt enttäuscht auf seine Brust über sein Herzen legte. Auf nackte Haut.

"Oh."

Langsam schien es ihm zu dämmern.

"Rose, nimm die Hand da weg."

Ich schüttelte energisch den Kopf. Ich durfte das nicht sehen. Und warum zur Hölle stand er hier überhaupt ohne Shirt?

"Rose!"

Ich ließ meine Hand sinken, presste die Augenlider allerdings so fest zusammen, dass ich begann, kleine Sterne vor mir kreisen zu sehen.

"Rose, stell dich nicht so an!"

"Das geht nicht!"

"Natürlich geht das, verdammt, du willst mir doch nicht sagen das du noch nie-"

Er brach ab. Doch, genau das wollte ich ihm sagen. An was auch immer er gerade genau dachte, er hatte recht. Ich hatte noch nie einen halb nackten Mann gesehen, und wollte das auch nicht. Schon garnicht so!

"Rose. Es ist okay. Du kannst die Augen auf machen."

Zaghaft öffnete ich eines meiner Augen einen Spalt breit. Er hatte sich ein helles Hemd übergeworfen und einige Knöpfe hastig geschlossen.

"Danke."

Sein Haar war zerzaust und seine Wangen von einem zarten Rosa besessen. Mir kam in den Sinn, weshalb er noch hier war. Und weshalb er so aussah.

"Oh Gott...", murmelte ich leise und versuchte krampfhaft diesen Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.

"Sie waren da oben ganz schön streng mit dir, oder?"

Ich nickte beschämt. In diesem Moment würde ich nichts lieber tun, als mich umzudrehen und zurück in mein Zimmer zu stürmen, die Tür hinter mir zu zuknallen und so tun, als wäre das hier alles nicht passiert.

"Das müssen wir dringend ändern..."

„Bitte was?", rief ich eine Spur zu laut und hysterisch. Zac dagegen begann nur kehlig zu lachen.

„Für das, dass du nichtmal meinen Anblick erträgst, denkst du eine Spur zu weit!", sagte er. Ich hätte schwören können, dass ein Funken Empörung in seiner Stimme mitschwang.

Ich errötete schon wieder. Konnte diese Situation überhaupt noch unangenehmer werden? Nein, definitiv nicht.

„Ein Kumpel von mir schmeißt am Wochenende eine Party. Ich denke da könnten wir dich ein bisschen auflockern", murmelte er mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen.

Wir?"

Ana stimme ich schon noch um..."

Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit den Augen zu rollen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Ana nichts von seiner Schnapsidee halten würde, egal was sie für ein Verhältnis zu ihm pflegte, wobei ich sagen musste, dass sie mich durchaus ansprach. Es würde mir sicher guttun, ein wenig in die Gesellschaft einzuwachsen, neue Leute kennenzulernen und herauszufinden, was man hier unten üblicherweise so tat.

Ich zuckte die Schultern und wollte gehen, als er mir leise hinterherrief:

„Ich denke ihr Mädels solltet vorher nochmal in die City gehen und euren Kleiderschrank aufrüsten... Ich wage zu bezweifeln, dass du angemessene Klamotten da hast."

Er grinste noch immer frech, nahezu provokant. Ich zog die Augenbrauen nach oben und entgegnete genervt:

„Weiß Ana was man bei sowas anzieht?"

„Ich denke schon, wobei, vielleicht schickt ihr mir einfach Fotos, dann helfe ich euch aus..."

Ich streckte ihm die Zunge heraus. Dazu würde es mit Sicherheit nicht kommen, und wenn ich eigenständig dafür sorgen musste.

Er machte eine Geste, als würde er mir einen Luftkuss zuwerfen. Ich schüttelte den Kopf, wand mich ab und ignorierte die Tatsache, dass ich wegen etwas ganz Anderem hierher gekommen war. Ich hatte sowieso keinen Durst mehr.

Als ich meine Zimmertür leise aufzog, musste ich mir einen spitzen Angstschrei verkneifen. Die Umrisse einer Gestalt zeichneten sich in den Schatten meines Bettes wieder...

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