-Jael-
Der Schmerz fraß sich wie Messerschneiden durch meine Haut. Tief und innig überflutete er mich, doch ich konnte mich ihm nicht widersetzen. Je mehr ich es versuchen würde, desto schlimmer würde es werden...
-Rose-
Auch wenn ich Jael noch vor wenigen Minuten hatte schlagen wollen, gerade tat er mir wahnsinnig leid. Er hatte das nicht verdient, ich wusste nicht einmal, warum er das angetan bekam.
"Wieso gerade sie? Der Saal ist voll hübscher Mädchen und du packst dir den Skandal des Abends?"
Gingen meine Gefühle gerade mit mir durch oder redeten sie über mich? Er konnte unmöglich wissen, das ich hier war.
"Seit wann schert mich dein ohnehin schon mehr als verkorkster Ruf, hm?"
Ein weiterer Schlag ließ die Luft erzittern.
"Es hat dich verdammt nochmal zu scheren Sohn, weil ich es dir so auftrage. Du hast zu tun, was ich von dir verlange, hast du das verstanden?"
Jael rührte sich nicht.
"Denkst du ich habe nicht gemerkt, dass sie anders ist?"
Ich erzitterte und rollte mich noch enger zusammen, um den unaushaltbaren Impuls haltlos drauf los zuschreien zu bekämpfen.
Auch Jael schien für eine Sekunde zu zögern. Ein kaum merkliches Zucken durchlief seinen Körper, als würde er dasselbe denken.
"Ich bin nicht blind. Natürlich ist sie eine von deinen Freizeitbeschäftigungen. Aber du kannst das nicht machen, du weißt, nach welchen Standards du dich messen musst. Ich will es heute Abend kein zweites Mal zu so einer Konversation kommen lassen, klar?"
Heute Abend? Kam das öfter vor? Es hörte sich beinahe so an, als wären solche Situationen Normalität. Grausame Normalität.
"Ich werde mich hüten, Vater. Aber du weißt, dass sie diesen Abend an meiner Seite verbringen werden wird, ob ich es nun möchte, oder nicht. So will es die Tradition."
Etwas trotziges schwang in seiner ruhigen Stimme mit, als er auf eine der Bemerkungen anspielte, die vorhin gefallen waren.
"Nicht, wenn du sie nicht mehr zum tanzen aufforderst", kam es zurück.
Lucifer klang nahezu schnippisch, als er aussprach, was er nicht zurückhalten wollte.
"Aber würde ich das tun, wäre dass dann nicht auch einer dieser dunklen Flecken auf deinem Bild? Du weißt schon, der ungezogene Sohn, der es sich verweigert zu tanzen und lieber trinkt, bis er nicht mehr gehen kann? Wobei ich gestehen muss, das mir diese Rolle auch lieber wäre..."
Ich wusste, dass diese Worte ein Fehler gewesen waren.
Wieder knallte es - das Geräusch von Leder auf blanker, nackter Haut. Wieder zuckte ich zusammen, wieder konnte ich nicht hinsehen, aber ich wollte es auch nicht verpassen, was da vor meinen Augen geschah.
"Ich warne dich. Du rührst sie nicht mehr an, verstanden? So soll es mir gleich sein, wie du aus der Nummer wieder rauskommst, schließlich hast du dich selbst hineingeritten. Aber dieses Mädchen will ich nicht mehr an deiner Seite sehen. Apropos, wo steckt sie überhaupt?"
"Ich weiß es nicht, Vater."
"Na siehst du." Lucifers Stimme klang für einen Moment wahnsinnig sanft, doch diese Tarnung hielt nicht lange an. "Wahrscheinlich hat sie dich eh schon betrogen, oder ist gerade dabei. Seh es endlich ein, Alex, du bedeutest ihr nichts. Du bedeutest Niemandem etwas."
"Nenn mich bei meinem Namen", forderte er ruhig.
"Das ist dein Name."
Mit diesen Worten wand er sich zum gehen, schnappte dem Diener seinen Gürtel aus der Hand und verließ mit ihm das Zimmer. Ich zitterte noch immer und wagte mich nicht, aus meinem Versteck hervorzukommen, bis ich nicht eindeutig dazu aufgefordert geworden war.
Also musste ich dabei zusehen, wie Jael keuchend aufstand und sein dunkelblaues Hemd vom Boden aufhob, es sich über die Schultern warf und langsam zuknöpfte. Als auch der dunkle Lederwams wieder an Ort und stelle saß, packte er zu guter Letzt noch den Umhang aus schwarzem Samt und zog ihn an. Dabei bemerkte ich die filigrane - doch zeitgleich auch sehr pompös wirkende - Brosche, mit der er verschlossen wurde. Sie war verziert mit mehreren hell leuchtenden Diamanten und Zeichen, die ich nicht kannte.
"Komm da raus", knurrte er und sah mich dabei nicht an.
Ich tat wie mir geheißen und kroch unter dem Sessel hervor um mir den Staub vom Rock zu klopfen. Er war ein wenig zerknittert, doch wenn man nicht darauf achtete, bemerkte man es wahrscheinlich garnicht.
"Ich... äh-"
"Spar dir deine Worte und komm mit. Noch einen letzten Tanz damit wir ihnen ein neues Gerücht zum diskutieren geben können, und dann verschwinden wir."
"Wie stellst du dir das vor?"
"So, wie ich es gesagt habe."
Da war er wieder, dieser arrogante Ausdruck auf seinem Gesicht, der schnippische Ton in seiner Stimme. Er verschloss sich mir, versteckte sich wieder hinter seiner Maske, die er die ganze Zeit über wacker aufbehalten haben musste.
Grob packte er mich am Arm und führte mich zurück in den Ballsaal. Sobald das Licht der prachtvollen Kronleuchter wieder über uns hereinbrach, begann er zu lächeln, als wäre all das gerade nie passiert. Sein Lächeln war freundlich und wirkte so ehrlich, das niemand es jemals gewagt hätte, an seiner Qualität zu zweifeln.
Ich lächelte auch - was blieb mir denn auch anderes übrig?
Ich war nicht scharf darauf, so eine Situation nochmal zu erleben, auch wenn ich Jael nicht ausstehen konnte, für das, was er da tat. Als er meine Hand nahm, entdeckte ich Ethan und Ruby nicht weit von uns entfernt. Sie hielten sich mit einer Menge Wein bei Laune und schienen trotzdem recht überrascht über meine Rückkehr.
Mir war zuvor garnicht aufgefallen, das Ethan sein haar geschnitten hatte. Wahrscheinlich war das unmittelbar vor dem Ball geschehen, denn vorhin hatte die tiefblaue Kapuze seine Stirn verborgen. Das kurze Haar und das verwuschelte Pony standen ihm und gaben ihm etwas verwegenes, auch wenn ich das niemals zugeben würde.
Irgendetwas war anders an diesem Tanz, dass spürte ich schon in der Sekunde, in welcher die Musik ansetzte. Die ganze Zeit über starrte der Prinz an meiner Seite mir so tief in die Augen, dass ich befürchtete, er könnte meine Gedanken lesen. Nicht einmal, als wir uns drehten und wendeten, ließ er den Blick von mir schweifen.
Er zog mich an sich und ich entdeckte das fiese Grinsen auf seinen Lippen. Ehe ich mich fragen konnte, was es zu bedeuten hatte, sah ich en Dolch in seiner Hand, der bis gerade eben noch fest an meinem Oberschenkel gehangen hatte.
Wie war er da dran gekommen und vor allem, was wollte er damit?
Das Grinsen wurde beinahe süffisant und ich spürte, wie sich mir ein flaues Gefühl in der Magengrube breit machte. Das hier gefiel mir ganz und garnicht und es wurde immer schlimmer, als ich spürte, wie die Klinge meiner eigenen Waffe unterhalb meines Kinns in meine Haut stach.
"Wenn du versuchst mich umzubringen, musst du dir etwas besseres einfallen lassen."
Ich schnaubte leise und verängstigt, aber das ließ ich mir nicht anmerken. Sie sollten denken, dass Prinz Jael recht hatte und das wirklich meine Intuition gewesen war. Denn ich war mir sicher, dass das zu seinem Plan gehörte.
"Eins sage ich dir, ich werde es dir nicht leicht machen."
Mittlerweile sah uns die gesamte Gefolgschaft der Hölle zu. Selbst Ruby, Ethan und Azriel schauten zu mir herüber, was mein Gefühl nicht verbesserte. Denn in Azriels Blick flammte Wut - pure Wut.
Und in Rubys las ich Enttäuschung. Enttäuschung gegenüber mir. So etwas hatte sie nicht von mir erwartet. Denn sie glaubten unserem Schauspiel.
"Wachen!"
Ich konnte nur beten, dass es ein Schauspiel war.
DU LIEST GERADE
Holy
FantasyZwei Welten, denen ein Krieg droht. Ein Schicksal, das ein großes Opfer verlangt. Und eine Liebe, die alles verändert. Ein Kind aus verbotener Ehe. Das zweite seiner Art. Gefangen zwischen zwei Welten, vereint im eigenen Körper. Unfähig zu vertrauen...