Kapitel 41

243 15 2
                                    

Die Jungs warteten schon unten in den weitläufigen Stallungen auf uns. Ich fand es äußerst faszinierend, dass sie hier unten auch Pferde hatten, wenn man diese Tiere denn so nennen wollte. 

Ihre Augen glühten warnend, als wir uns ihnen näherten. Ethan und Azriel ignorierten dass jedoch gekonnt und holten zwei große Rösser aus ihren Boxen. Ethan führte ein weißes hinter sich her, Azriel ein fuchsfarbenes. Sie sahen wahnsinnig majestätisch aus, nachdem unsere Dates sie getrenst hatten. Ihre orange- roten Mähnen züngelten wie Flammen durch die Luft, obwohl es vollkommen windstill war. 

Die beiden Männer trugen dunkle Anzüge, auf deren linken Oberarmen ebenfalls ein kleines Pentagramm eingestickt war. Darüber hatten sie lange Mäntel geworfen, die ihnen ungefähr bis zu den Kniekehlen gingen. Vor der Brust waren sie mit edlen Broschen verschlossen, die intensiv funkelten. Die eine scharlachrot, die andere tiefseeblau. 

Ihre schimmernden Masken hatten sie sich schon umgebunden, sie ließen sie wirken, wie mysteriöse Bodyguards, obwohl sie das ja auch ein Stück weit waren. Azriel half mir auf den hohen Rücken des Pferdes und schwang sich direkt hinter mich. Er griff um mich herum nach den Zügeln und wies mir an, mich an den langen Mähne festzuhalten, um Halt zu finden. 

Er wusste nicht, dass ich im Himmel die ein oder andere Reitstunde über mich ergehen lassen musste. Ebenso wie Tanzstunden, weshalb ich mir kaum Sorgen machte, dass heute Abend etwas schiefgehen konnte. auch wenn diese Schuhe ziemlich hoch waren, ich würde das schon hinbekommen. 

Nachdem auch Ruby und Ethan auf ihrem Reittier platzgenommen hatten, spürte ich, wie Azriel die Fersen seiner hohen Stiefel in den Bauch des Tieres rammte, woraufhin dieses kraftvoll angaloppierte und aus dem hohen Tor preschte, dich gefolgt von der Schimmelstute. 

Wir ritten durch die Hölle. 

Hier unten sah es nicht wirklich so aus, wie man es uns oben im Himmel erzählt hatte. Nirgends brannte es, keine Menschen schrien. Es war sogar ziemlich ruhig, wenn man die Kinderstimmen ignorierte, die hier und da aus den Häusern drangen. 

Kinder. Ich war fasziniert. 

Wir preschten über eine breit gepflasterte Straße, auf deren Seiten ältere Frauen gingen. Scheinbar konnten Dämonen wohl doch altern?!

Ich hatte schon öfter von den Geschichten gehört, in denen es hieß, dass nur die höchst gestellten übernatürlichen Wesen unsterblich waren. Wie zum Beispiel die Erzengel. Ich wusste nicht, wie viel an der Sache dran war, denn außer Erzengeln hatte ich bisher nicht viel gesehen, an dem ich abgleichen könnte, ob das Haar lichter oder die Falten unter den Augen mehr wurden. 

Im Himmel hatten sie mir jeglichen Kontakt zur Außenwelt verboten, mein Zimmer hatte ich so gut wie nie verlassen dürfen. 

Es war grauenvoll. 

Die Frauen und Kinder beobachteten uns interessiert, als wir über den Asphalt fetzten, ohne wirklich darauf zu achten, ob sich etwas in unserem weg befand. Mein Cape wehte weit hinter uns her und musste neben Azriels ein schönes Farbenspiel ergeben, wie das Blut unserer Gegner, in denen wir es getränkt hatten. 

Einige winkten uns kurz zu, als würden sie uns kennen, hin und wieder spürte ich, wie die Hunter diese Geste erwiderten. Mittlerweile fühlte ich die schwingenden Bewegungen des Pferdes durch meinen ganzen Körper zucken. Sie rissen mich mit und breiteten eine seltsame Freude in mir aus - ich schob sie auf das Adrenalin. 

Ich freute mich wirklich. Ich erhoffe mir, eine Feier zu erleben, die ich auf der Erde nicht hatte erleben können, weil man mich quasi gekidnappt hatte. Wir wurden etwas langsamer und Ethan überholte uns. Ruby saß hinter ihm und hatte sich um seine Taille geklammert. Ihr Kopf lag so auf seiner Schulter, dass sie das stolze Grinsen auf seinen Lippen nicht sehen konnte, dass man selbst von Weitem genau deuten konnte. 

"Komm schon, die holen wir ein!", rief Azriel. 

Damit meinte er wohl unsere Fuchstute, die augenblicklich noch etwas mehr zulegte. Ich wand den Kopf etwas und sah hinter uns, wo noch mehr Pferde zu kommen schienen. Ich entdeckte eine weitere Stute mit goldenem Fell, auf dem ein etwas älterer Hunter saß. Ich erkannte ihn an seinem silbergrauen Haar und der langen Narbe, die sich durch sein Auge zog, auch wenn sie größtenteils von einer braunen Maske bedeckt war. 

Doch der weiße Schleier in seinem Blick verriet ihn. 

Ich fühlte mich wahnsinnig frei, als wir durch einen dunklen Wald ritten, Azriels Hände schützend an meiner Hüfte, meine eigenen vor Freude ausgestreckt. Die Luft wurde kühler, je tiefer wir uns in die Schatten bewegten, doch es störte mich nicht. Mit einer knappen Geste schlang ich den Umhang etwas enger um meinen Körper.

Die Pferde begannen zu schwitzen und atmeten schwer, als wir langsamer wurden. Vor uns erstreckten sich unendlich hohe Türme aus dunklem Stein in den Nachthimmel, überzogen mit funkelnden Sternen. 

Die Hölle kam mir vor wie eine zweite Erde. Ich fand es hier nahezu idyllisch. 

Die Mauern des Schlosses waren gewaltig und wuchsen weiter, je näher wir ihnen kamen. Es erschien mir wie ein Traum, aus dem ich nicht fliehen konnte. Hier lebte Jael? 

Mich verwunderte seine hochnäsige Art für eine Sekunde kaum mehr. Er stand über dem kompletten Volk und hatte sich mit Sicherheit noch nie auf Wesen wie mich einlassen müssen. Blutige Anfänger, Engel. 

Er war ein Prinz, natürlich lag ihm jeder zu Füßen. 

Und wahrscheinlich wollte er auch, dass ich das tat. Aber darauf könnte er lange warten. Ich würde mich ihm nicht unterwerfen. Ich würde mich niemandem unterwerfen.

Vor den breiten Toren des Schlosses war wortwörtlich die Hölle los. Überall wurden Pferde umhergeführt und Damen aus Kutschen geholfen. Jedes einzelne der Gesichter war mit einer Maske verdeckt, sodass man nicht erkennen konnte, zu wem die schwarzen Augen dahinter gehörten. 

Azriel sprang vor mir ab und half mir zu Boden. Ich zupfte meinen Rock zurecht und stellte erleichtert fest, dass er nicht so durchsichtig war, dass man den Dolch erkennen konnte, der noch immer an meinem Oberschenkel steckte. 

Allerdings war er durchsichtig genug, dass man die Umrisse meiner langen Beine erahnen konnte, wie auch die Ränder des Stoffes an meinem Hintern. 

Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich für eine Sekunde, ehe Azriel meine Hand nahm und mich wie ein Gentleman weiterführte. Unsere Finger verflochten sich miteinander, als wären wir ein Pärchen. 

Ugh. 

War das seine Masche? Mit jedem zu flirten? Es wirkte ganz so, denn bisher hatte ich ihn nur so erlebt. Ob es an dem Hunterbund lag, dass er so an mir hing? 

Ich spürte Ethans Körperwärme auf der anderen Seite von mir. Ruby hatte sich bei ihm untergehakt, doch der skeptische Blick, den sie mir zugeworfen hatte, war mir nicht entgangen. 

"Deine Maske", zischte Ethan mir ins Ohr. 

Oh shit. 

Ich tastete meine Hüfte ab, ehe mir einfiel, dass meine Maske im Quartier lag. In dem Beutel, direkt neben der schweren Lederjacke. 

"Scheiße."

Ruby schien genau zu wissen, was ich dachte. Sie reichte mir hinter Ethans Rücken eine weitere Maske. Diese war ganz schwarz und von einem silbrigen Schimmer überzogen. Azriel nahm sie mir zart aus den Händen und band die feinen Fäden hinter meinem Kopf zu einer Schleife zusammen. 

"Danke", formte ich tonlos mit den Lippen. 

Azriels Atem jagte mir eine Gänsehaut über den Nacken und ich zog den Mantel noch enger. Ich wollte nicht, dass er bemerkte, was diese Nähe mit mir machte. 

Ich spürte seine Hand an meinem Rücken, eine Geste die nach außen hin sehr viel ausstrahlte, das wussten wir beide. 



HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt