Kapitel 6

322 17 0
                                    

"Ich bin Zacharias."


"Guten Abend, ähm, ja genau, Rose ist richtig."

Ich war außerordentlich froh darüber, dass die Küche nur sehr schwach beleuchtet war. Vermutlich hätte man sonst sehr deutlich gesehen, wie ich errötet war, vor lauter Scham über den Verlust meiner Sprache. Der Ausdruck, der Zacharias Lippen umspielte zeigte mir aber, dass das gedimmte Licht mir rein garnichts gebracht hatte. Diese Erkenntnis machte es nicht besser. Im Gegenteil. 

Peinlich berührt entzog ich ihm meine Hand und wand den Blick ab, hinüber zu Ana, die gerade ebenfalls mit einem roten Kopf den Raum betrat. Vermutlich hatte dies bei ihr aber andere Ursachen. 

"Rose, es tut mir leid... Ich hatte ihn eigentlich gebeten uns wenigstens heute in Frieden zu lassen..." 

Sie betonte ihre Wörter sorgsam und verlieh ihnen durch ein genervtes Augenrollen noch mehr Ausdruck. Bei diesem Anblick musste ich mir ein Lachen unterdrücken. Zacharias sah sie nicht an, und dennoch konnte man ihm deutlich ansehen, dass er nicht begeistert von dem war, was Ana gerade ausgesprochen hatte. Er hatte die Lippen zusammengepresst, dass sie wirkten, wie schmale Striche, ehe er sich wieder sammelte und ein ironisches Lächeln aufsetzte. 

"Belle, ich hab dich vermisst, weißt du?" 

Ein merkwürdiges Funkeln betrat ihre Augen, als er sie mit diesem Spitznamen ansprach. Ich konnte nicht ganz beurteilen, ob sie ihn mochte, oder das genaue Gegenteil der Fall war, und sie ihm am Liebsten den Kopf von den Schultern reißen wollte. Je länger ich sie mir ansah, desto sicherer wurde ich. 

Letzteres. 

"Wenn ich schonmal da bin, könnte ich doch sicher mit euch zu Abend essen, nicht?"

Er ließ einen Blick über unsere Teller schweifen, bei dem das Grinsen auf seinen Lippen immer weiter erlosch. Als er die schwarze Kartoffelscheibe entdeckte, murmelte er leise:

"Oder vielleicht besser nicht."

Ana schnaubte empört und gab ihrem Kumpel einen Klaps auf den Hinterkopf. Die beiden so zu sehen, war äußerst amüsant. 

Zacharias setzte sich neben mich auf einen der freien Stühle und bat Ana mit einer kleinen Handbewegung, ebenfalls wieder Platz zu nehmen. Sie schnaubte erneut und nahm ihrem Platz wieder ein. 

"Also, Rose. Erzähl mir etwas über dich. Ich bin ganz Ohr!" 

"Also, Zacharias. Ich denke das ist nicht nötig."

Ich betonte seinen Namen auf dieselbe schräge Weise, wie er es bei mir getan hatte. Als das Lächeln auf seinen Lippen erlosch und er sie zu einem deprimierten Schmollmund verzog, musste ich schmunzeln. 

"Ich bitte dich. Zac reicht vollkommen aus." 

"Na dann..."

Ich stocherte ein wenig in meinem Teller herum und vermied es, ihn anzusehen. Von Fragen über meine Vergangenheit hatte ich für heute mehr als genug. Ich fand sowieso, dass es viel relevanter war, mal etwas über die Welt herauszufinden, in der ich fortan leben sollte. Über das Leben, dass ich gewählt hatte.

"Wieso seid ihr auf die Erde gekommen?"

Zac schien zu überlegen, während ich bemerkte, dass Ana mir diese Frage mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht beantworten würde. Ihre Nase zuckte, ihr Blick lag abwesend in den Kerzenflammen, die in unserer Mitte leise züngelten.

"Mir war der Himmel zu langweilig. Dieses ganze Gerede über Sünden und Schandtaten ging mir auf den Geist. Ich wollte etwas erleben, und damit meine ich nicht, mich den ganzen Tag von irgendwelchen Besserwissen belehren zu lassen, was ich alles nicht tun darf. Ich wollte Spaß haben, ein bisschen Leben, aber, wenn es einem sogar verboten ist, ein hübsches Mädchen zu küssen, hat das Leben doch wahrlich keinen Sinn mehr. 

Ana rutschte neben ihm nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, unterließ sie es. Ein zartes Rosa stieg auf ihren Wangen auf. 

"Ich kam hier runter, als ich - lass mich überlegen - ich glaube, 173 war. Ziemlich spät, ich weiß. Aber ich wollte es ausnutzen, dass ich nicht mehr altern konnte, ich meine, es hätte mich schlimmer erwischen können, wenn du verstehst."

Natürlich verstand ich. Zac war verdammt selbstverliebt. 

"Wie lange bist du schon hier?"

"Mindestens genauso lange, wie ich oben war..."

"Wann sind deine Kräfte erwacht?"

Ich war mir nicht sicher, ob es richtig gewesen war, diese Frage zu stellen. Für viele Engel, war dass Thema der Verwandlungszeit ein Wunder Punkt, mit dem man vorsichtig umgehen musste. Ab diesem Zeitpunkt setzte auch die Unendlichkeit ein, jedenfalls veränderte man sich optisch nicht mehr. Meistens geschah dies irgendwann zwischen dem sechzehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Bei mir war das lustiger Weise an meinem siebzehnten Geburtstag geschehen. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ich mit grausigen Schmerzen am Rücken aufgewacht war, was unmittelbar daran gelegen hatte, dass mir über Nacht gewaltige Schwingen gewachsen waren. 

Ich wusste noch, wie ich sie am nächsten Tag stolz meiner ehemaligen besten Freundin präsentiert hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren Summer und ich noch gut miteinander ausgekommen. Das war gewesen, bevor ich ihr mitgeteilt hatte, dass ich den Himmel verlassen würde, und sie mich daraufhin als Schande für unser Reich angesehen hatte. Damals hatte mich ihre Worte mehr verletzt, als alles Andere, dass je zu mir gesagt wurde. Von diesem Zeitpunkt an, war mir nur noch Gabriel geblieben. 

Der beschäftigte Erzengel und nebenbei mein Bodyguard. 

"Ich war zweiundzwanzig."

Zac wirkte ein wenig beschämt, als er mir antwortete. Aus Anas Blick schloss ich, dass sie ihn wohl noch nicht oft so gesehen hatte, was mir abrupt ein schlechtes Gewissen verpasste. Aber ich hatte mit so einer Antwort gerechnet. Er sah deutlich älter aus als ich, er musste später verwandelt worden sein. 

"Ein Freund von mir war drei Jahre älter", log ich, damit er sich besser fühlte. Mein Plan ging auf, er hob den Blick wieder und gewann das freche Grinsen zurück.

"Ich weiß, dass du lügst." 

Okay, vielleicht auch nicht.


Ana war in eins der Badezimmer verschwunden und hatte mich mit Zacharias allein gelassen. Uns war der Gesprächsstoff ausgegangen, weswegen eine peinliche Stille den Raum beherrschte. Ich wusste genau, wie dumm meine Frage war, aber würde er noch länger schweigen, befürchtete ich, vor Unwohlsein zu platzen.

"Wie habt ihr euch kennengelernt, du und Ana?"

Er sah auf, der Blick aus seinen dunklen Augen war klar und ehrlich.

"Tatsächlich erst hier unten. Ana war gerade frisch angereist und hatte herzlich wenig Ahnung davon, wie man sich unauffällig zu benehmen hatte. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wolle garnicht unerkannt bleiben. Es war eher so, als würde sie nach Aufmerksamkeit suchen, die Leute dazu auffordern, sie skeptisch anzusehen. Das war einer der größten Fehler in ihrem Leben. Sie wusste nicht, dass es auch Wesen außerhalb unserer Welt, und der der Menschen gab. Es war ihr nicht bewusst, dass irgendwo Monster lauerten, die nur darauf warteten, uns die Flügel abzusäbeln und sie sich an die Wand zu hängen..."

"Dämonen?", fragte ich zögerlich. Auch ich hatte schonmal von Schattenwesen gehört, die in der Hölle hausen mussten, um über all die Sünder zu wachen, die dort schmorten. Für Gewöhnlich hatte ich sie immer für einen Spuk gehalten - ein Märchen, dass den Kindern erzählt wurde, um ihnen Angst zu machen. Damit sie nicht sündigten.

"Genau, Dämonen."

HolyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt