Der Geruch von Alkohol und teurem Parfum war mittlerweile sehr dominant und ich musste mir ein husten unterdrücken, als ich mich zum zweiten mal heute Abend in die Höhle des Löwen begab. Wir ernteten einige Blicke, ich und der Prinz neben mir, der eine Hand schützend auf meinen Rücken gelegt hatte. Ich konnte mir nicht erklären, was in ihn gefahren war. Vor wenigen Stunden hatte er mich töten wollen, was hatte seinen Sinneswandel verursacht?
"Lächeln und Winken", flüsterte er in mein Ohr.
"Damit kennst du dich ja bestens aus", gab ich zurück. Ich spürte wie sich seine Hand verkrampfte und musste schmunzeln. Lächeln und Winken.
"Schau dir den an. Kaum ist die eine weg, krallt er sich eine neue um sie durchzuvögeln. Schau dir mal an, wie sie aussieht", hörte ich das Gespräch zweier älterer Damen in Kleidern, die eigentlich viel zu aufreizend für ihre Altersgruppe waren. Die Ausschnitte waren entsetzlich tief und zeigten ihre runzligen Dekoltées in jedem Detail, doch außer mir schien das niemanden sonst zu stören. Wut kochte in meiner Brust und brodelte in meiner Kehle, aber ich behielt es weiter bei, das dämliche Grinsen auf meinen Lippen und denn offenen Ausdruck in meinen Augen.
"Eine Neue krallt er sich, der notgeile Bastard von Kronprinz und verschwindet mit ihr, um sie durchzuvögeln."
Jael lachte leise hinter mir, als er die Beleidigungen der beiden Dämoninnen widerholte. Ich hätte ihn in diesem Moment gerne geschlagen, aber dass würde jetzt vermutlich ziemlich blöd aussehen, also ließ ich es bleiben.
"So denken sie von uns, hast du gehört?"
"So denken sie von dir!", zischte ich zurück.
Ein Grollen drang aus seiner Kehle und ich schmunzelte triumphierend. Er konnte es nicht leiden, wenn ich zurückschoss und gerade das war es, was es mir so schmackhaft machte. Es erfüllte mich mit einer schrägen Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er sich aufregte.
"Kommt, wir müssen hier raus."
"Ach ja und wie stellst du dir das vor? Willst du vielleicht wieder so tun als würde ich dich umbringen wollen? Oder lieber so als wäre ich dein neues Spielzeug? Oh warte! So lässt du mich ja die ganze Zeit dastehen!"
Ohne auf meinen Vorwurf einzugehen schnurrte er leise in mein Ohr und kam mir dabei so nahe, dass ich seinen heißen Atem im Nacken spüren konnte. Augenblicklich breitete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus.
"Ich denke ich nehme Letzteres."
Ohne Vorwarnung wirbelte er mich herum und drückte seine Lippen fordernd auf meine. Seine Hand ruhte noch immer fest und bestimmt auf meinem Rücken auf der engen Schnürung meiner Korsage und presste mich enger an ihn. Ich musste so tun als würde mir gefallen was er da tat - und zu meiner Überraschung fiel mir das garnicht allzu schwer.
Diesmal hielt er sich zurück, nicht so wie vorher, in der kleinen Kammer. Sein Kuss war voller Kraft und Ausdruck, aber dennoch zärtlich und sanft. Das Feuer in seinen Bewegungen war erloschen, als wäre es nie dagewesen.
Als er von mir abließ schmunzelte er verschwörerisch und ich spürte, wie seine Hand auf meiner Taille ruhte und mich noch näher an ihn zog. Er verneigte sich noch einmal leicht vor seinem Vater - der unter seiner Maske zu kochen schien - und zog mich hinter ihm aus dem Saal.
"Ernsthaft? Ich glaub es hackt bei dir im Oberstübchen!", fuhr ich ihn an, sobald wir außer Hörweite der Gäste waren. "Ich möchte hier weg. Jetzt sofort."
"Hör zu. Denk ja nicht, ich wollte das eben. Ich habe ernsthafte Gründe dafür, dich hier hergeholt zu haben." Jaels Finger bohrten sich in meinen Arm, doch ich konnte mich seinem Griff nicht entreißen. "Sie wollen kämpfen, Rose. Heute Nacht, wenn die Gefolgschaft betrunken ist wird es stattfinden. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Du musst verschwinden. Geh auf die Erde zurück und bau dir da ein neues menschliches Leben auf. Verschwinde von hier, solange du noch kannst."
"Bitte was?"
"Ich meine es ernst."
Natürlich tat er das, doch trotzdem schallten seine Worte nur wie leere Hüllen durch meinen Kopf, leer und bedeutungslos, auch wenn ich genau verstand, was sie mir zeigen wollten.
"Sie wollen kämpfen? Heute Nacht? Wo?"
"Hier, denke ich. Ich hab keine Ahnung. Fakt ist nur, dass du verschwinden solltest bevor-"
Jemand packte mich am Arm und ich erblickte Jael, dem ein Dolch an die Kehle gehalten wurde. Er riss sich aus dem Griff des breiten Wachmanns, der ihn bedroht hatte und zischte ihn an.
"Lass gefälligst die Finger von mir, Bastard!"
Sein Tonfall war schneidend, aber kam nicht an den heran, der mir gerade durch den Kopf hallte. Er stand hinter mir, auch durch seine Maske konnte ich ihn erkennen. Das blonde Haar und die fälschlich blauen Augen verrieten ihn.
"Sohn. Verschwinde."
"Vergiss es, Vater, lass sie los. Sie hat damit nichts zu tun."
"Findest du? Ich persönlich bin der Meinung, dass sie sehr viel damit zu tun hat. Wären Roxana und Raphael nicht gewesen, hätten wir diese Probleme jetzt nicht."
"Lass Roxana und Raphael aus dem Spiel, Lucifer."
Ein Schock fuhr durch meine Knochen und hüllte mich in eine eisige Starre. Roxana und Raphael. Das waren die Namen meiner Eltern? Jael hatte sie gekannt?
Heiße Tränen brannten in meinen Augen und verschwammen mir die Sicht.
"Wieso? Ich würde Lügen, würde ich sagen, dass all das hier nicht ihre Schuld ist. Die Schuld ihrer dämlichen Liebe."
"Ich denke Lügen sind nichts seltenes in dieser Familie, oder Onkel?"
Der König der Hölle ließ mich ruckartig los, als er diese Worte aus dem Mund seines Sohnes hörte, und ich stolperte und fiel zu Boden. Michael trat aus den Schatten eines weiteren Ganges, der im Freien endete. Sein widerlich perfektes Gesicht war schmerzverzerrt, aber trotzdem wirkte er erstaunlich gefasst. Er hatte Schmerzen. Schmerzen die jeder Engel hatte, der die Hölle betrat.
Die smaragtgrünen Federn seiner perfekten Schwingen waren hier und da geknickt oder rußbeschmutzt. Sein weißes Gewand hatte Flecken und sah aus, als hätte er es zwei Wochen lang nicht abgelegt. Das blonde Haar fiel ihm um das spitze Kinn, gewellt wie das eines Gottes.
Verdammt.
Jael hatte nicht gelogen.
Sie wollten kämpfen. Hier und jetzt, sonst wäre er nicht hergekommen.
DU LIEST GERADE
Holy
FantasyZwei Welten, denen ein Krieg droht. Ein Schicksal, das ein großes Opfer verlangt. Und eine Liebe, die alles verändert. Ein Kind aus verbotener Ehe. Das zweite seiner Art. Gefangen zwischen zwei Welten, vereint im eigenen Körper. Unfähig zu vertrauen...