Kapitel 33

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Es waren Wochen vergangen, seit meiner letzten Begegnung mit Jael. Er hatte sich noch ein paar Mal im Quartier blicken lassen, doch mich gekonnt ignoriert. Ich hatte sein Spiel mitgespielt, warum sollte ich mich auf jemanden wie ihn einlassen? Offensichtlich wollte er mich loswerden. Das sollte eigentlich Grund genug für mich sein, um ihn nichtmal mehr anzusehen. Nur war das eben nicht so einfach, wenn er in seinem engen Shirt durch die Gänge ging, wie ein Kriegspferd auf dem Weg an die Front. Ich hatte Ehrfurcht vor ihm, aber meine Angst war vergangen. Ich war nichtmal sicher, ob ich noch Respekt für ihn aufbringen konnte.

Jedes Mal, wenn ich sah, war er allein. Ruby schien ebenfalls ein wenig genervt, fast schon angepisst, wenn man sich mal so ausdrücken wollte. 

Azriel durfte schon lange wieder trainieren und kostete auch jede freie Minute aus, indem er lief oder junge Hunter von der Kampfbühne in den Graben stieß, die es nicht mit ihm aufnehmen konnten. Ich hielt mich auch an mein Training, mittlerweile hatte ich sicherlich schon jede Waffe in der Hand gehabt. Tatsächlich war mir der Bogen am liebsten, wenn ich den Nahkampf außen vor ließ. 

Das lag mir noch am Besten. Ich fand mittlerweile sogar gefallen daran, mich mit Schwertern zu verteidigen oder durch Parcoure zu sprinten. 

Ich sah durch mein Fenster hindurch, wie die Jungs unten trainierten. Die Jungs. So nannte ich sie mittlerweile, ich wusste selbst nicht genau, warum. Ich hatte niemanden sonst. Mit Gabriel hatte ich nicht mehr telefoniert, immer hatte ich ihn weggedrückt, wenn er sich gemeldet hatte. Auch jetzt, als mein Handy mal wieder vibrierte drückte ich auf das rote Hörersymbol und steckte es zurück in die Tasche seitlich an meinem Oberschenkel. 

Ich hatte nun endlich eine richtige Uniform bekommen. Für die wenigen Frauen im Quartier, bestand jene aus einer schwarzen Leggins, schweren Kampfstiefeln mit hohen Absätzen, schwarzen Tops und Lederjacken. Zumindest war das das Ziviloutfit, dass sie trugen, wenn sie auf der Erde wandelten. 

Von Genderrollen schienen sie hier wenig zu halten. 

Sehr wenig. 

Aber das störte mich nicht wirklich. Ich mochte es mittlerweile sogar, meine Kurven und die langen Beine zu zeigen, die ich mir antrainiert hatte. Es gab mir ein gewisses Gefühl von Stärke, wenn ich durch die Gänge stolzierte und die Blicke der anderen Hunter auf mir spürte. Auch wenn sie Regionen betraten, die mir nicht ganz so recht waren. 

Ich wusste zwar, dass es noch eine richtige Uniform gab, die wir eigentlich tragen mussten, wenn wir ernst kämpften, aber das beachtete kaum jemand von uns. Sie war schwer, auch wenn sie nicht so aussah. Da Cole heute aber bei unserem Training zusehen wollte, musste ich darüber hinweg sehen und tiefer in den Welten meines  Schrankes wühlen. Ich griff nach den hohen Stiefel, die weit über meine Knie hinausgingen und in spitz zulaufend endeten. Sie hatten nicht so hohe Absätze wie meine Zivilboots, aber das war sowieso praktischer wenn man flüchten musste. 

Ich zwang mich in die enganliegende hellgraue Hose und schnallte die Lederriemen um meine Oberschenkel, als Halterung für Dolche oder Revolver, auch wenn ich diese heute nicht brauchen würde. Einen Dolch hatte ich dennoch immer dabei, aus Sicherheitsgründen. Man konnte ja nie wissen. 

Nachdem ich das langärmlige Shirt übergestreift hatte - Ton in Ton mit meiner Hose - warf ich die Lederweste über, die gerade einmal meine Rippen bedecken konnte. Die breiten Schulterposter legten sie mit einem leisen Knirschen über die etwas längeren Polster meines Shirts, wo sie einen doppelschaligen Panzer bildeten. Mit einem weitern Lederriemen befestigte ich sie unter meiner Brust, dass sie nicht verrutschen konnte. 

Ich band den oberen Teil meines Haares hinter dem Kopf zu einem lockeren Knoten, von einem Pferdeschwanz bekam ich nach einer Weile immer Kopfschmerzen. 

Als letztes packte ich meinen richtigen Gürtel und zurrte ihn um meine Taille. Das lange Schert zu meiner rechten schlug gegen mein Knie, als ich mich vor den Spiegel stellte und begutachtete. Ich sah aus wie eine Kriegerin, die einem Geschichtsfilm entflohen war. Aber das gefiel mir. Ich beobachtete mich dabei, wie ein feines diabolisches Lächeln auf meinen Lippen ausbrach. 

Verdammt, würden mich meine dunklen Augen nicht verraten könnte ich glatt als Ruby durchgehen. Obwohl sie kleiner und kurviger war als ich, ihre Art konnte ich locker aufnehmen, wenn nicht sogar toppen. 

Ich steckte den Dolch in die Laschen an meinem Oberschenkel und verließ meinen Raum. Mit schnellen Schritten ging ich durch den Gang und rannte dabei beinahe Ethan über den Haufen, der mir von den Treppen aus entgegenkam. Ich nahm schon seit Wochen Reißaus vor dem Aufzug, diese engen Dinger waren mir einfach suspekt. 

Als Ethans Blick deutlich an meinem Körper auf und abwanderte, wurde mir heiß und kalt zugleich. Er machte sich nichts daraus, wie offensichtlich es war, was er da tat. Er nickte abschätzend, bis sein Blick nach einer gefühlten Ewigkeit wieder zu meinem Gesicht hinaufwanderte. 

"Bist du bereit?"

Ich nickte selbstbewusst.

"Gib mir eine Minute. Ich gable noch schnell meine Waffen auf und dann können wir gehen..." 

Er eilte mit einem enormen Tempo an mir vorbei auf sein Zimmer zu. Es dauerte keine dreißig Sekunden bis er - beladen mit allen Möglichen Dingen - zurückkam. Er reichte mir drei Wurfsterne, die ich kommentarlos in die passenden Schlaufen an meinen Oberarmen steckte. Ich hoffte nicht, dass Cole mich so herausfordern würde, dass ich diese Dinger benutzen müssen würde. So wenig Wunden ich ihm zufügte, umso besser. Ich konnte nur hoffen, dass er auch so dachte. 

"Bist du nervös?", fragte Ethan sanft. 

"Nerven sind was für Amateure", konterte ich aalglatt. 

"Und was bist du?", forderte er mich neckend heraus. 

"Ich bin ein Profi." 

Mit diesen Worten eilte ich die Stufen hinunter. Ich konnte hören, dass er noch kurz stehen blieb, ehe er sich aus seiner Starre riss und mir folgte. 

"Wir haben nicht mehr viel Zeit", hörte ich eine bekannte Stimme schon von weitem, die mir seit Wochen nicht zu Ohren gekommen war. 

"Bist du dir sicher?", hakte Cole nach. 

"Vater hält sich nicht mehr lange zurück. Ich bin mir sicher, dass sie es bald beenden wollen."

"Was wollen sie beenden?"

Meine Stimme bohrte sich durch die Luft, sie ließ keine Widerrede zu. Keine Ausreden. Aber Cole blieb Stur. Der Blick aus seinem einen Auge schien wahrlich dämonisch und überkam mich mit einem unheimlichen Schauer. 

"Den Krieg, der uns bevor steht, obwohl er eigentlich schon längst begonnen hat. Vor siebzehn Jahren, als du geboren wurdest." 

Ich musste schlucken. 

Scheiße.

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