"Fuck, fuck, fuck."
Ruby ging in ihrem Zimmer auf und ab und wand dabei nervös das fein beschriebene Pergament zwischen ihren Fingern. Ich saß schweigend auf ihrer Bettkante und beobachtete sie dabei, wie sie immer tiefer in die Verzweiflung zu fallen drohte.
"Ich kann es nicht fassen. Warum hat er uns nichts erzählt?"
Mit wutverzerrtem Gesicht sah sie mich an, doch ich zuckte nur die Schultern.
"Mich scheint er eh nicht besonders zu mögen."
Das das Ganze auf Gegenseitigkeit beruhte, ließ ich an dieser Stelle allerdings aus. Ich wusste wie nahe sich die Beiden stehen mussten, da wollte ich kein Keil dazwischen treiben.
"Erzähl keinen Mist! Azriel hat mir erzählt, wie du ihn wortwörtlich umgelegt hast!"
"Nicht sonderlich bemerkenswert, wenn man mich fragt", argumentierte ich stupf.
Es war mir unangenehm, dass sie mit diesem Thema anfing. Die Stimmung im Quartier war deutlich aufgeheizt, seitdem die Einladungen hier angekommen waren. Tatsächlich hatte ich meine noch nicht einmal aufgemacht, denn die Nachricht über den Inhalt hatte sich wie ein Lauffeuer in den Gängen verbreitet. Jeder wusste Bescheid, wer eingeladen worden war und wer nicht. Tatsächlich schien an der Sache, dass nur Hunterpaare eingeladen wurden, etwas dran zu sein.
Offiziell waren wir nämlich nur für den Schutz dort, und da brachten wir in Teams eben deutlich mehr.
Doch zu meiner Überraschung war garnicht die Tatsache, dass ihr Partner nirgends aufzufinden war, das, was Ruby beunruhigte. So weit ich es aus ihren Gesten lesen konnte, machte sie sich gerade reine Panik um die Kleiderwahl, da sie ihrer Meinung nach nichts im Schrank hatte.
An dieser Stelle musste man wohl anmerken, dass ihr Schrank vor Klamotten beinahe zu platzen schien, was man von meinem nun nicht gerade behaupten konnte.
Gedankenverloren strich ich über die Löcher in meiner Jeans, die mir eigentlich viel zu weit war. An den Knien und Oberschenkeln war sie tief ausgefranst, dass man die Schrammen auf meiner Haut deutlich erkennen konnte, auch wenn sie fast verheilt waren. Bis zum Ball würde man davon garnichts mehr sehen können.
Jedenfalls hoffte ich das.
"Ich habs!", rief Ruby und schnippte mit den Fingern, wobei sie mich augenblicklich an Wickie von "Wickie und die starken Männer" erinnerte. Diese Serie hatte ich in meiner Kindheit quasi durchgehend geschaut. Denn ja, sogar im Himmel gab es Empfang!
"Was?", grummelte ich leise und befürchtete in der nächsten Sekunde, dass sie mir mein Desinteresse angehört hatte, da ich sah, wie eine ihrer dünnen Augenbrauen nach oben wanderte.
"Wir gehen zu Jessica!"
"Wer ist das jetzt schon wieder?"
"Man Rose! Das ist unsere Schneiderin! Los, wahrscheinlich bekommt sie gerade die Bude eingerannt! Hoffentlich hat sie uns den guten Stoff reserviert!"
Wenn man nicht wusste, von was Ruby sprach, hätte man auch meinen können, es ging um Drogen. Sie wirkte tatsächlich ein bisschen wie eine Abhängige, auf dem Weg zu einer neuen High-Erfahrung. Ich schüttelte mich verstört und ließ die Bilder vor meinem inneren Auge verschwinden.
Seit dem Telefonat mit den Engeln kreisten meine Gedanken ständig um irgendwelche seltsamen Fantasien. Ich konnte mich kaum mehr konzentrieren, nichtmal, wenn ich mit Azriel trainierte. Und besonders das schien er mir sehr übel zu nehmen.
Ruby riss mich aus meiner Starre, indem sie mich am Arm packte und nach draußen zog. In meinem weiten schwarzen Shirt und der grauen Hose fühlte ich mich nicht besonders wohl, bei dem Gedanken, von irgendjemandem gesehen zu werden. Neben Ruby in ihrem kurzen roten Overall wirkte ich wie ein Kartoffelsack.
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Holy
FantasyZwei Welten, denen ein Krieg droht. Ein Schicksal, das ein großes Opfer verlangt. Und eine Liebe, die alles verändert. Ein Kind aus verbotener Ehe. Das zweite seiner Art. Gefangen zwischen zwei Welten, vereint im eigenen Körper. Unfähig zu vertrauen...