Schweigend stand ich an der Spüle und wusch den gröbsten Schmutz von den Tellern, bevor ich sie in die Spülmaschine stellte. Maggie und Pippa waren mit Mike ins Wohnzimmer gegangen und Anton räumte den Tisch ab.
Immer wieder blickte ich zu Lucy hinüber, die das Essen einpackte und in den Kühlschrank stellte. Es wäre der perfekte Augenblick sie anzusprechen. Doch jedes Mal wenn ich Luft holte, um etwas zu sagen, atmete ich nur aus.
Genervt von mir selber schüttelte ich den Kopf. Das konnte doch nicht so schwer sein. Ich musste ja nur fragen, ob ich mit ihr sprechen konnte. Musste ja nur fragen, ob wir kurz mal miteinander reden könnte. Musste sie nur fragen, ob sie nicht vielleicht mal mit mir ausgehen wollte. Easy peasy!
Und doch kam kein einziges Wort über meine Lippen. Anton kam zu mir, stellte mir das letzte Geschirr vor die Nase und stieß mich mit dem Ellenbogen an. Fragend hob er eine Braue und blickte zu Lucy. Er hielt das auch für den besten Moment. Ich nickte. Konnte kaum damit aufhören. Denn ich musste mich erst selbst überzeugen.
Tief holte ich Luft, stellte den letzten Teller in die Maschine, trocknete meine Hände an einem Geschirrtuch und wandte mich um. Lucy stand mit dem Rücken zu mir am Kühlschrank und verstaute gerade das Esse. Als sie die Tür schloss, stieß ich mich vom Tresen ab und ging ein paar Schritte auf sie zu.
"Können wir zwei kurz reden, Lucy?" Fragte ich schnell. Meine Rote klangen wie die Schüsse eines Maschinengewehrs. Und sie blickte mich auch an, als hätte ich auf sie geschossen. Sie hob den Blick und starrte mich, regelrecht, panisch an. Dann, kaum merklich, nickte sie verlegen. Ich hätte es beinahe nicht mitbekommen. Doch sie hatte zugestimmt.
"Lass uns rüber gehen." Ich nickte, auch wenn ich nicht genau wusste, was sie mit rüber meinte. Lucy strich sich nervös über die Jeans und ging dann durch den kleinen Gang hinüber ins Esszimmer. Ich hatte nie verstanden, warum sie eigentlich zwei davon hatten. Das hier grenzte an den Flur und an die Küche und lag der Terrasse direkt gegenüber. Als ich hinter ihr den Raum betreten hatte, schloss ich die Tür.
Doch anstatt mich anzusehen, sah sie aus dem Fenster in den Garten. Dabei wollte ich das sie mich ansah. Aber vielleicht machte es keinen Unterschied. Denn ich wusste so oder so nicht, was ich sagen sollte.
Für eine gefühlte Ewigkeit schwiegen wir beide und endlich - ENDLICH! - drehte Lucy sich zu mir um. "Was wolltest du mit mir besprechen?" Fragte sie und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust.
"Ich wollte mich entschuldigen." Begann ich. Nicht für den Kuss, sondern dafür sie so überrumpelt zu haben. Ich hätte mir unseren ersten Kuss anders vorgestellt. Romantischer. Doch sie schnappte nach Luft und ihre Brauen zogen sich zusammen. Moment, war sie wirklich sauer auf mich?
"Ich hab dich überrumpelt und das tut mir leid." Führte ich weiter aus. Wollte mich erklären, bevor sie mich ganz abschrieb. "Ich habe nur an mich gedacht und nicht darüber, wie du dich gerade fühlst." Erklärte ich weiter. Doch Lucy schnaubte nur.
"Wie ich mich gerade fühle?" Wiederholte sie meine Worte lahm. Ich nickte. "Wie ich mich gerade fühle?" Fragte sie wieder und verengte ihre Augen zu schlitzen. Scheiße, sie war wütend auf mich und meine Entschuldigung hatte es nur schlimmer gemacht.
Ich sollte offen sein. Ihr alles vor den Kopf knallen. Ihr sagen, dass ich sie nicht mehr aus dem Kopf bekam und ich mehr wollte. Das ich ein Date wollte und danach noch eins und noch eins. Das ich mir sicher war, dass sie die Richtige war. Doch stattdessen sagte ich nur: "Ich bin nicht besonders gut in sowas."
Wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war mit Gefühlen nicht besonders gut. Also mit echten, intimen, romantischen Gefühlen. Mit Gefühlen die größer waren, als ich. Die größer waren als alles was ich kannte. Mit Gefühlen, die mir Angst machten. Doch das konnte ich ihr nicht sagen.
"Ich weiß doch selbst nicht was ich fühle. Aber das spielt auch keine Rolle mehr. Am Dienstag ist die Operation."
Ich erstarrte. Die Operation. Maggie hatte mir erzählt, dass sie demnächst wäre. Doch am Dienstag? Das war in zwei Tagen. Und auch wenn ich wusste, dass es nur ein kleiner Eingriff war, so beschleunigte sich mein Puls. Ich wollte nicht das sie das tun musste. Aber auch das konnte ich ihr nicht sagen.
"Ich..." Begann ich, doch brach ab. Mir gingen die Worte aus. Dabei waren in meinem Kopf so viele davon. Aber keins kam mir über die Lippen.
"Ist schon in Ordnung, Dean. Es war nur ein Kuss. Vergessen wir es einfach. Ich bin die kleine Schwester von Maggie." Sie zuckte mit den Achseln, als wäre das ein vernünftiger Grund. Aber ich wollte diesen Kuss nicht vergessen. Ich wollte ihn wiederholen.
"Ich will ihn nicht vergessen." Gab ich leise zu. "Und ich weiß das du die kleine Schwester von Maggie bist. Das macht die Sache ein wenig kompliziert." Erklärte ich ihr und sie nickte. "Ich werde ihr nichts sagen. Von mir erfährt sie nichts. Versprochen!" Ich blickte sie an. Sie dachte es wäre mir unangenehm vor Maggie? Nun sie hatte nicht unrecht, aber nur weil ich nicht wollte, dass Maggie etwas falsches dachte.
"Darum geht es mir gar nicht." Brachte ich raus und sah sie an. Noch immer blickte sie mir nicht in die Augen. Sie sah in den Garten, auf ihre Nägel, an die Wand. Überall sah Lucy hin, nur nicht in mein Gesicht.
"Ach nicht?" Fragte sie und ich schüttelte den Kopf. "Es geht darum, das ich dich geküsst habe und du davongerannt bist." Stellte ich klar. Ruckartig hob sie den Kopf. "Hast du erwartet ich würde neben dir stehen bleiben?" Fragte sie, aufrichtig überrascht. Nein, das hatte ich nicht erwartet. Doch... Nun was hatte ich genau erwartet?
"Nein." Gab ich zu. Überlegte aber, was genau ich von ihr gewollt hatte. Ich hätte mir gewünscht, dass sie anders auf den Kuss reagiert hätte.
"Ich dachte nicht, dass ein einfacher Kuss von mir dich in die Flucht schlagen würde. Wenn ich das gewusst hätte, dann..."
![](https://img.wattpad.com/cover/257802724-288-k777371.jpg)
DU LIEST GERADE
Ein Cavalier hin und weg
RomanceDer zweite Teil der Cavalier- Reihe. (Teil 1: Ein Cavalier zum Frühstück) "Ich sollte gehen. Tut mir leid." Erklärte sie mit gesenktem Blick und steuerte die Tür an. Sie sollte nicht gehen. Nicht so. Ruckartig griff ich nach ihrem Arm. Ich hatte n...