22// Krankenbesuche.

102 15 0
                                    

Gutgelaunt betrat ich das weiße Gebäude. Das Gefühl das ich sonst in Krankenhäuser hatte, war verschwunden. Denn alles ging in meiner Vorfreude unter. Ich hatte wirklich gute Laune. Obwohl es erst kurz nach neun Uhr war.
Zielstrebig ging ich, an dem ersten Tresen vorbei, zu den Aufzügen. Oben begrüßte ich die Schwester freundlich und steuerte Lucys Zimmer an. Ich hatte wirklich - wirklich! - gute Laune.
Vorsichtig klopfte ich an die Tür, dann drückte ich sanft die Klinke runter und betrat den Raum. Lucy saß schon in ihrem Bett und sah mich an. 
"Dean?" Fragte sie mich und ich lachte leise. "Ich hab doch gesagt wir sehen uns morgen früh." Erklärte ich und sie nickte abwesend. "Ja, schon. Aber ich habe das nicht wörtlich genommen." Sagte sie leise und musterte mich mit diesen strahlenden Augen. 
Ihr Blick glitt an mir auf und ab und wieder auf, bevor sie sich etwas entspannte. Langsam ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und sah mich abwartend an. 
Mit leisen Schritten ging ich zum Fenster, öffnete die Vorhänge etwas, damit mehr Licht hineinfiel und wandte mich dann zum Bett um. Noch immer stand der Stuhl direkt neben ihrem Bett und ich ließ mich darauf nieder. Lehnte mich zurück und verschränkte die Arme hinterm Kopf. "Du kannst jedes meiner Worte wörtlich nehmen, Luce." Erklärte ich mit einem verschmitzten Lächeln. Und es wurde noch breiter, als ihre Wangen sich röteten. Sachte senkte sie den Blick. Doch ich war nicht hier, um sie erröten zu sehen. Nicht nur jedenfalls.
"Wie geht es dir?" Fragte ich also nach einer Weile, in der ich sie einfach nur angestarrt hatte. Sie hatte heute deutlich mehr Farbe im Gesicht als gestern. Ihre Haare glänzten seidig und ihre Augen strahlten. Sie sah gut aus, nur etwas müde. 
"Mir geht es gut." Sagte sie knapp. Als wäre das die Antwort, die sie schon so vorbereitet hatte. Ich runzelte die Stirn. Musterte sie lange und fragte mich, ob sie einfach allen sagte, die sie fragten, dass es ihr gut ginge.
"Wirklich? Denn es klingt als würdest du mir das sagen, was du glaubst, dass ich hören will." Sie hob den Blick. Ich wusste, dass ich sie ertappt hatte. Leise seufzte sie. Irgendwie erleichtert, als habe sie nur darauf gewartet, das es jemand merkte. 
"Die Nähte tun weh, wenn ich mich bewege. Aber ich will keine Medikamente und mir ist schlecht. Mir ist die ganze Zeit richtig übel." Erklärte sie leise, flüsterte es fast. Als wäre es eine Schande zugeben zu müssen, dass es ihr nicht gut ging.
"Hast du das deinem Arzt schon gesagt?" Wollte ich wissen und sie schüttelte den Kopf. "Als du reingekommen bist dachte ich er wäre es." Erklärte sie leise und lächelte entschuldigend. 
"Wenn du willst gehe ich nach vorn und frage mal nach?" Fragte ich sie und erwiderte ihr müdes Lächeln. "Ich will niemanden stören..." Schnell unterbrach ich sie. "Wenn niemand weiß was los ist kann dir niemand helfen." Lucy nickte geschlagen. 
"Wenn der Arzt kommt werde ich mit ihm darüber sprechen." Sagte sie leise und blickte auf ihre Finger. Ich war nicht hier, um mich mit ihr zu streiten. Ich war hier um bei ihr zu sein und... Ja was eigentlich? 
"Wie läuft es im Training?" Wechselte Lucy plötzlich das Thema. Es war ihr unangenehm über sich selbst zu sprechen. Das war einerseits süß, andererseits fand ich es absolut nervig. Denn am liebsten wollte ich ihr den ganzen Tag dabei zuhören, wie sie über sich sprach. Wie sie über ihre Familie sprach. Über ihr Studium. Sie redete nie von Phoenix. Gefiel ihr das Leben da? Konnte sie sich vorstellen nach LA zu gehen? Mit mir?
Ich lächelte sie an. "Das Training läuft. Dan ist ein wahrer Sklaventreiber. Samstagstraining, neue Pläne. Doppelte Ausdauer, dreifacher Muskelaufbau." Ich lachte auf. "Alkoholverbot." Fügte ich hinzu. Auch sie lachte leise. "Nun das sollte doch nicht so schwer sein?" Ich schnaubte. Man mochte das meinen aber man merkte manchmal gar nicht, wie oft man was trank. Nach dem Training ein Bier mit den Jungs? Fiel aus. Mal ein Glas Wein mit der Frau? Auch das: Fiel aus. 
"Mir persönlich fällt das nicht so schwer. Aber ich trinke auch nicht oft. Aber naja mal auszugehen und ein Bier zu trinken fehlt einem schon ab und an." Lucy lachte. Ein sanftes, zärtliches Lachen. Dann aber verzog sie schmerzvoll das Gesicht. Alarmiert sah ich sie an und wollte, schon zur Tür, doch sie hielt mich auf. "Es tut nur weh weil ich lache. Das ist deine Schuld." Erklärte sie mit einem breiten Grinsen. Verwirrt hob ich die Augenbrauen.  "Dabei habe ich nicht mal einen Witz gemacht." Wieder lachte sie. Leise räusperte sie sich. "Brauchst du was zu trinken?" Fragte ich, stand aber schon auf um zu ihrem Nachtisch zu gehen, wo eine Flasche und ein Becher standen. Verlegen lächelte sie. 
Ich goss ihr ein, aber erst nachdem ich die Blumen und die Schokolade weggeräumt hatte. Für zwei Tage war schon eine Menge Plunder gekommen. "Deine sind wirklich schön." Erklärte sie, als ich ihr endlich das Glas reichte. "Danke." Sagte ich und warf einen Blick zum Fensterbank, wo der Strauß stand, den ich ihr mitgebracht hatte. Mit einem Lächeln nahm sie das Glas entgegen und trank einen gierigen Schluck. "Aber wie gesagt, das wäre nicht nötig gewesen." Ich verdrehte die Augen. Dieses Gespräch kam mir bekannt vor.
Gerade als ich die Flasche zurückstellte und mich entfernte, um auf ihre Worte wieder einmal einzugehen, riss ich einen Stapel mit Magazinen und Blättern herunter, die über den Boden segelten und im halben Raum verteilt waren. Lucy sah mich an. "Lass ruhig liegen." Erklärte sie eilig und ich schnaubte. "Ich habe Dreck gemacht, also räume ich auf." War alles was ich sagte und bückte mich um die Magazine vor meinen Füßen aufzusammeln. "Nein wirklich, das ist nicht nötig." Ihre Stimme klang irgendwie gehetzt. Irritiert musterte ich sie, hob aber die einzelnen Zettel auf. 
Ich stapelte sie alle auf die Magazine und versuchte nicht auf die Wörter zu achten. Das ging mich immerhin nichts an. Auch wenn ich gerne wollte, dass mich alles von ihr anging. 
Doch als ich um das Bett herumgegangen war und das letzte Blatt Papier aufhob stutzte ich. Es war eine handgeschriebene Liste. Langsam blickte ich zu Lucy, wieder auf den Zettel in meinen Händen und zurück. Jetzt wusste ich, das sie nicht wollte, das ich die Zettel aufhob, weil sie nicht wollte, das ich das sah. Und in ihrem Gesicht konnte ich lesen, dass ich recht hatte. 


Ein Cavalier hin und wegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt