11// Riesenbaby.

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Leicht angetrunken wandte ich mich zu Anton um, der neben mir an der Bar saß. Doch er war nicht ansatzweise so blau wie ich. Ich hatte dummerweise gedacht, ich würde das Gefühl vergessen, wie es ich angefühlt hatte.
Dann hatte ich geglaubt ich würde ihr Gesicht vergessen. Den Ausdruck auf ihrem schönen Gesicht. Aber Pustekuchen. Er war in mein inneres Augen eingebrannt. 
Dann hatte ich geglaubt, dass ich, wenn ich nur genügend Alkohol in mich hineinkippen würde, diesen Tag vergessen konnte und doch war er noch immer in meinem Kopf.
Anton hatte mich in eine kleine, dunkle Kneipe gebracht. Obwohl sie von außen aussah, wie eine dieser total heruntergekommenen Bruchbuden, doch hier drin, war sie gemütlich. Irgendwie hatte sie diesen alten Südstaatencharme. Ich fühlte mich seltsam wohl. Vielleicht, nur vielleicht lag das auch an den vier Bier und den drei Whiskeys die ich an dieser Theke schon getrunken hatte. Ich hätte nach dem Spiel echt was essen sollen.
Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und jeder freier Zentimeter war mit Fotos, Bildern, Flaggen und anderem Ramsch verhängt. In der hinteren Ecke, neben den Toiletten stand eine alte Jukebox, die leise irgendeinen Song der Neunziger leierte und kaum bis zur Tür beschallte. 
An den Wänden waren kleine Sitznischen, vor dem Ausgang standen ein paar Stehtische und in dem größeren hinteren Bereich gab es einen Pooltisch. 
Doch das Herzstück des Ladens war die fünf Meter lange Bar. Aus altem, dunklem Holz. An einigen Stellen gab es schon Ränder die aussahen, als wäre sie älter als ich. Wenn ich mir den gestandenen Kerl hinter der Theke sah, war ich mir ziemlich sicher, dass es so war. Er hätte mein Vater sein können, doch er wirkte entspannt und blickte durch den Raum. Er hatte alle im Blick. Die zwei Kerle die schon seit über zwei Stunden Billiard spielten, der Kerl in einer der Nischen, der seit wir hier saßen noch immer an einem Glas hing und uns. 
Er selbst hatte alle Hände voll zu tun die Gläser zu polieren. Und wenn er fertig war, dann fing er von vorne an. Ab und an wischte er über den Tresen, doch er nahm nie die Augen vom Gastraum. Er schien ziemlich genau zu wissen, was hier abging und ich fand das irgendwie beruhigend. 
"Ich versteh es einfach nicht." Jammerte ich genervt und ließ mein Kinn auf meinen Arm fallen, der auf der Theke lag. "Ich meine sie hat den Kuss erwidert. Und zwar wirklich heftig." Erklärte ich ihm nachdrücklich. Genau konnte ich nicht sagen, wie oft ich es ihm heute schon gesagt hatte. Vielleicht so ein Dutzend mal. Nicht mehr. Denke ich jedenfalls. Der Alkohol verwandelte mich in ein riesiges Baby. Ein jammerndes Riesenbaby.
"Alter. Du verstehst es wirklich nicht, oder?" Sagte Anton mit einem tiefen Seufzen. Er drehte sich zu mir und schlug mir auf den Rücken. Mein Blick flog zu seinem Gesicht. Ich konnte kaum glauben, dass er es geschafft hatte der Verantwortungsbewusste erwachsene in dieser eigenartigen Partnerschaft zu sein.
"Überleg doch mal was in ihrem Leben gerade abgeht." Fing er an. "Sie steht kurz vor ihrem Abschluss, den sie verschieben musste, um nach Hause zu kommen, weil sie fucking Krebs hat." Ich nickte. Das verstand ich. Jedenfalls in der Theorie.
"Aber nur eine Operation, dann ist alles wieder in Ordnung. Und selbst wenn..." Er unterbrach mich genervt. "Maggie hat mir gesagt, dass die Ärzte bei ihrer Mom auch meinten es sei nicht so schlimm. Tod ist sie trotzdem.  Denkst du nicht, dass Lucy sich gerade in die Hose macht deswegen." Ich nickte. Auch das verstand ich. 
Das Problem war, dass ich darüber nicht nachdenken wollte. Ich wollte es ignorieren. Ich wollte so tun, als wäre das kein Thema. Auch wenn es natürlich nicht so war. Denn das war keine Erkältung. Das war eine potentiell lebensbedrohliche Gefahr und ich wollte einfach nicht darüber nachdenken, was passierte wenn das zu real wurde. Das böse K- Wort schob ich jedes Mal wenn es in meinen Kopf flog weg. Denn ich war noch nicht bereit mich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht war es aber genau das. Sie hatte nicht wirklich eine Wahl. Ich schon.
"Aber was hat das ganze mit mir zu tun?" Wollte ich wissen. Ich zuckte zusammen, denn ich klang wie ein egoistisches Arschloch. 
Anton hatte Recht ich verstand es nicht. Ich wollte für Lucy da sein und ihr da durch helfen. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut war. Und ich wollte sie küssen. Aber ich wollte nicht jedes Mal diesen traurigen Ausdruck sehen. Ich wollte nicht das sie vor mir davonrannte. 
"Wenn du das nicht weißt, dann kann ich dir auch nicht helfen." Erklärte Anton und nahm einen Schluck von seinem Bier. Ich holte tief Luft. 
"Was soll ich denn machen? Ich meine ich habe sie geküsst." Erklärte ich und setzte mich auf. Unterdrückte den leichten Schwindel. "Sie weiß jetzt was ich von ihr will." Er lachte auf. "Weil du sie geküsst hast, glaubst du sie weiß das du absolut..." Er schloss die Augen und schnaubte. Dann öffnete er sie wieder und sah mich an. "...nervig, wie ein Teenager in sie verknallt bist?" Er lachte auf. Dann schüttelte er wieder den Kopf. 
"Sie war verknallt in dich als sie Vierzehn war und wie ich das verstehe, hat sie dir das gerade gesagt. Das sind Frauen, Chief." Ich nickte, doch ich konnte seinen Gedankengängen nicht folgen. "Sie könnte denken du hast sie geküsst, weil sie dir gesagt hat das sie in dich verknallt war." Führte er aus. "Vielleicht glaubt sie auch du hast sie geküsst, damit sie den Mund hält. Oder damit sie nicht abhaut." Er schnaufte. "Frauen denken über alles nach. Dauernd. Ständig. Glaub mir. Und im Moment könnte es Milliarden Gründe geben, was sie denkt, warum du sie geküsst hast." Ich rieb mir über die Augen. Zu viele Wörter für meinen betrunkenen Verstand.
"Und warum sollte sie nicht denken, dass ich sie mag?" Fragte ich Mr. Oberschlau. Er lachte wieder. Dann schlug er mir auf die Schulter, trank den letzten großen Schluck aus seinem Bier und ließ sich von seinem Hocker rutschen.
"Weil Frauen nie das denken, was wir wollen, was sie denken."

Ein Cavalier hin und wegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt