54// Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

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"Shit." Meine Stimme klang als wäre sie weit weg. Als hätte man mich in Polsterfolie eingewickelt. "Shit." Wiederholte ich. Lief wild umher  und fuhr mir durchs Haar. "Shit. Shit. Shit!" 
Wenn ich daran gedacht hatte Lucy oder irgendeiner Frau einen Antrag zu machen, dann waren immer Blumen und große Gesten involviert. Nie, aber auch nie, hatte ich es einfach so gesagt. Nüchtern und einfach aus dem Bauch heraus. 
Das Ding aber war, dass ich es dadurch nicht weniger Ernst gemeint hatte. Denn das hatte ich. Was mich selbst schockierte. Aber ich meinte es ernst. Ich wollte Lucy heiraten. Nicht nur in einer abstrakten Zukunft. Nein. Ich wollte sie heiraten. Ganz konkret und in naher Zukunft. Ich wollte das volle Programm nicht in einer entfernten Zukunft. Ich wollte damit jetzt anfangen. 
Und ich wollte, dass sie ja sagte. Dass ich sie fragte und sie ja sagte. 
Ich hatte damit gerechnet, dass ich fragte und sie rannte weg. Ich kannte sie und wusste, dass sie Angst davor hatte. Dass sie wirklich glaubte, dass sie irgendwann einfach alle verließen und dass es immer einfacher war der Verlassende zu sein, als der Verlassene. 
Warum also hatte ich die Wort ausgesprochen und war in Panik geraten? Warum war ich abgehauen? Ich hatte sie angestarrt, wie sie mich angestarrt hatte und war abgehauen. Hatte sie in meiner Wohnung mit meiner Antwort stehen lassen. 
Erst bei Maggie wurde mir klar, dass es dumm war ausgerechnet dorthin zu fahren, wo Lucy wohnte. Vor allem, weil Maggie nicht mal hier war. Mir war auch klar geworden, dass ich nicht vor Lucy weggelaufen war, sondern vor ihrer Antwort. 
Das hier war Schrödingers Antwort. Solange ihr ihr Nein noch nicht gehört hatte, konnte ich noch immer glauben, es wäre ein Ja. 
Dabei war ich mir nicht mal sicher, warum ich es gesagt hatte. Warum ich es auch so meinte. Ich hatte keine leeren Phrasen benutzt. Ich hatte es gesagt und wollte hören, dass auch Lucy es wollte. Aber mir war klar, dass es viel zu früh war. 
"Dean?" Erschrocken wandte ich mich um. Seit einer halben Stunde lief ich vor Maggies Tür auf uns ab. Hoffte, dass ich Lucy nicht treffen würde. Zu meinem Glück war es nur Mike, der vor mir auftauchte. 
Er kam wohl gerade vom Golf. Jedenfalls ging ich stark davon aus, bei dem Outfit. Beinahe hätte ich gelacht. Doch in meinem Kopf waren gerade andere Dinge.
"Ist alles in Ordnung?" Fragte er, als er mein Gesicht sah und für eine Sekunde überlegte ich, ob ich nicht einfach abhaute. Doch ein väterlicher Rat würde mir wirklich helfen. "Geht es um den Artikel?" Der Scheiß-Artikel war so weit weg, dass es beinahe komisch war. Es fühlte sich an, als wären Jahre vergangen und doch war das keine fünf Stunden her, seit ich von Pippa den Einlauf bekommen hatte. 
"Ich habe Scheiße gebaut." Erklärte ich. "Denke ich jedenfalls." Mike hob die Brauen und nickte. Dann ging er zum Haus, öffnete die Tür und bat mich herein. Ohne zögern führte er mich durch den Flur. 
Ich war nur zwei Mal in meinem Leben in dem kleinen Arbeitszimmer gewesen und beide male hatte ich totalen Mist gebaut. Da ließ sich wohl ein Muster ablesen. 
Er bedeutete mir mich zu setzen, ging selbst hinüber zu einer Kommode und öffnete einen Dekanter. Erst goss er ein Glas für mich und dann für sich ein. Einen Drink konnte ich wirklich gut gebrauchen. Und einen Vater auch.
Als hätte er alle Zeit der Welt ging er zum Tisch hinüber und ließ sich mir gegenüber in einem Ledersessel sinken. Er schlug die Beine übereinander und sah mich abwartend an. Doch wo sollte ich anfangen? Wusste er von Lucy und mir? Und wie zum Teufel sollte ich es ihm erklären? Es ging um seine Tochter. Hätte ich nicht ihn erst um Erlaubnis bitten sollen? 
Aber was würde mir ein Rat bringen, wenn ich ihm nicht alles erzählte? Wenn ich nicht ehrlich war? Im Endeffekt würde er es erfahren, wenn alles so lief, wie ich es mir wünschte. 
"Ich habe Lucy gefragt, ob sie mich heiraten will." Platze ich heraus. Länger hätte ich es auch kaum noch ertragen. Mike hob die Brauen. "Meiner Lucy?" Hakte er nach und ich nickte. "Hme." Machte er, als wäre das eine neue Information, aber nicht wirklich überraschend. 
"Ich liebe sie und ich... wir sind irgendwie zusammen." Erklärte ich mich und er nickte wieder. "Und sie hat Nein gesagt?" Wollte er wissen, schien die Neuigkeit nicht halb so skandalös zu finden, wie ich. "Nein." Sagte ich leise. "Sondern, ja?" Versuchte er mich zu verstehen. "Nein." Verwirrt runzelte er dir Stirn. "Ich bin abgehauen." Gab ich zerknirscht zu und entlockte ihm ein lachen. "Du fragst also meine Tochter, ob sie dich heiraten will und wartest nicht mal die Antwort ab? Meintest du es nicht ernst? War das nur ein Witz?" Fragte er mich und ich wollte lachen. Und weinen. Gleichzeitig. 
"Zur Hölle, nein! Ich meinte jedes Wort ernst. Aber..." Über Mikes Gesicht huschte ein verstehender Ausdruck. "Du hast Angst ihre Antwort zu hören." Jetzt verstand er es. "Was wenn es nicht die Antwort ist, die ich hören will?" Mike lachte auf und sah mich abwartend an.
Ihm war klar, dass ich mich albern verhielt. Immerhin konnte nichts besser werden, wenn ich nicht mit Lucy sprach. Nur konnte eben auch nichts schlechter werden, wenn ich nicht mit Lucy sprach. Jetzt musste ich nur abwägen, was wichtiger war. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. So hieß es doch, richtig?
Irgendwann nahm er einen großen Schluck aus dem Glas und sagte nur: "Was wenn es genau die Antwort ist, die du hören willst?" 

Ein Cavalier hin und wegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt