In den sonnigen Straßen des Kapitols hört man fröhliche Gespräche und das Gelächter spielender Kinder, obwohl die Hitze bereits frühmorgens auf die Stadt drückt. Doch innerhalb des Hochhauses der Hungerspiele ist es dunkel. Getönte Fensterscheiben verdunkeln die Sicht nach draußen – und verbergen, vor allem was drinnen vor sich geht. Der zwölf Stockwerk hohe Bau über dem unterirdischen Trainingscenter erhebt sich zwar weithin sichtbar in der Mitte des Kapitols, aber das Leben innerhalb ist abgeschieden von der Außenwelt.
An allen Wänden des Raumes hängen übergroße Bildschirme, auf dem überwiegenden Teil wird aus verschiedenen Winkeln die Arena der Hungerspiele gezeigt. Auf den Übrigen werden diverse Vitalfunktionen und andere Daten aufgezeichnet. Ein kränklich blaues Licht das von den Bildschirmen ausgeht beherrscht den Raum und lässt die zwei davor sitzenden Mentoren umso ausgezehrter wirken.
Für einen Moment löst Finnick seine Augen von der Szenerie der Arena. Geistesabwesend reibt er sich über das Gesicht. Die letzten Tage sind besonders nervenaufreibend gewesen. So sehr, dass er nicht einmal mehr weiß, wann er zuletzt geschlafen hat. Mittlerweile sind es die siebten Hungerspiele für ihn als Mentor. Lediglich im ersten Jahr nach seinem Sieg hatte das Kapitol so etwas wie Gnade gekannt und ihn nicht verpflichtet. Doch seitdem saß er jedes Jahr wieder in dem Überwachungsraum, hilflos dabei zusehend, wie die Kinder aus den Distrikten für eine sinnlose Sache starben.
Wobei, gänzlich hilflos sind die Mentoren nicht, überlegt er bitter. Sie dürfen ihre Tribute für eine Woche ausbilden, um Sponsorengelder betteln und versuchen, Allianzen zu schmieden. Aber wenn er eines gelernt hat, dann, dass die Hungerspiele sich nie vorherbestimmen lassen. Wettkalkulationen im Fernsehen scheinen ein vergnüglicher Spaß für die breite Bevölkerung zu sein, doch nicht selten trotzt ein Tribut allen Erwartungen. Zuweilen fühlt er sich, als würde er Wasser treten, jeder Versuch, das Überleben ihrer Schützlinge zu sichern, zum Scheitern verdammt. Nur in einem Jahr hat er einen Sieg erlebt und der hat ihn fast alles gekostet.
Sein Blick schweift zu der dunklen Fensterfront. Es ist nur ein schmaler Streifen Blau, den er über den angrenzenden Prachtbauten erahnen kann, doch immerhin ist dies der einzige Ausblick auf etwas, das nichts mit den Hungerspielen zu tun hat. Unausweichlich gleiten seine Gedanken fort von dem stickigen Raum. Fort zum Meer, nach Distrikt Vier. In die idyllische kleine Siedlung der Sieger – zu Annie. Heute ist er seit 20 Tagen von Zuhause weg.
Wie immer wenn er an sie denkt, mischen sich Freude und Traurigkeit in seiner Brust. In all der Schrecklichkeit der Spiele ist sie sein heller Lichtblick, die Aussicht darauf, wieder an ihrer Seite sein zu können, gibt ihm die Kraft weiterzumachen. Doch jeden Tag, den die Spiele länger gehen, vermisst er sie mehr – hat er mehr Angst um sie, dass ihre Albträume sie wieder überwältigen könnten. Es ist ein schwacher Trost, dass er Isla an ihrer Seite weiß.
Doch solange bis es vorbei ist, ist er es den beiden Tributen aus Distrikt vier schuldig alles für sie zu geben. Es ist das Mindeste, was er für sie tun kann. Dieses Jahr haben es beide Tribute wie durch ein Wunder geschafft so lange zu überleben. Fast zwei Wochen sind um und nur noch vier Kandidaten im Ring. Dies ist seiner Empfindung nach eine besondere Form der Hölle. Sollten Riven und Eric sich unabhängig von einander durchgeschlagen haben, nur um jetzt im „Finale" einander gegenüberzustehen?
Sein Blick fällt auf die Kameraübertragung von Riven. Das zierliche Mädchen kauert in der Ruine eines verfallenen Hauses, die Hände dicht an ein schwelendes Feuer gestreckt. Dicke Schneeflocken fallen auf die zerbrochenen Balken des Hauses um sie herum. Ein paar tiefe Kratzer bedecken ihre Wange, doch ansonsten scheint sie wohlauf. In ihrem grimmigen Blick liegt der Wille, um jeden Preis zu überleben – zugleich mit einer tief verborgenen Reue sich jemals freiwillig gemeldet zu haben.
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Meeressturm | Annie Cresta
FanfictionDie Hungerspiele zu gewinnen ist erst der Anfang. Das weiß niemand besser als Annie Cresta, in ganz Panem nur ‚die Verrückte' genannt. Geplagt von den Geistern der Vergangenheit versteckt sie sich an der Seite von Finnick Odair vor der Welt, in der...