Die Spielmacher kennen kein Erbarmen. Sie hetzen die Wolfsmutationen auf Catos Fersen, immer nur eine Wolfslänge hinter ihm. Es erinnert mich an die großen Schleppnetze, mit denen auf der See ganze Fischschwärme zusammengetrieben wurden, wie wir in der Schule gelernt haben. Früher, bevor die Katastrophen kamen und die Meere beinahe verkümmerten.
Wie die Fische windet Cato sich, springt über Wurzeln und Erdlöcher; versucht, dem Pack zu entkommen. Und wie die Fische geradewegs im Netz enden, läuft auch er in die Falle – auf Katniss und Peeta zu. Die Spielmacher haben ihn genau da, wo sie ihn haben wollen.Haymitch ballt die Hände zu Fäusten. „Komm schon, Kleine, lauf weiter", flüstert er immer wieder. „Andere Richtung, verdammt!"
Aber seine beiden Tribute warten lieber im offenen Grün zwischen Waldrand und Füllhorn, ungeschützt. Nervös gleiten ihre Blicke über die dichten Bäume. Bestimmt rechnen sie damit, dass Cato sich anschleicht, doch sie sind das Versteckspiel leid. Sie wollen mindestens genauso sehr wie ich, dass es endet.Sein Mentorentablet ignoriert Haymitch. In dieser Situation ist es ohnehin zu nichts mehr zunutze. Nur die Tribute können noch über ihr Schicksal entscheiden. Das scheint auch Effie Trinket zu wissen, denn selbst sie hat ihre Hände wenig grazil ineinander verkrampft und ihre violetten Lippen beten pausenlos ein ähnliches Mantra wie das Haymitchs herunter, nur dass sie Peeta anfleht, seine Liebste zu beschützen.
Schließlich werden wir Zeugen, wie Cato die letzte Baumgrenze durchbricht. Panisch keuchend prescht er nur eine Armlänge entfernt an Katniss und Peeta vorbei – und ignoriert sie komplett. Für einen Sekundenbruchteil scheinen die Mutationen langsamer zu werden und wie in Zeitlupe zeigen die Kameras Katniss' und Peetas Verwirrung, gefolgt von Schock und Panik, sobald die ersten Bestien aus dem Wald hervorspringen.
Sie rennen, rennen so schnell wie mein eigener Atem in der Brust rast. Zum Füllhorn, dem Ort, wo alles beginnt und endet.
„Ich bin nicht in den Spielen, ich bin nicht in den Spielen", stolpern mir die Worte hilflos aus dem Mund. „Ich muss nicht rennen, ich bin sicher. Ich bin sicher."Meine Lungen kämpfen wie damals, nachdem die Bäume in der Arena zum Leben erwachten und drohten, mich zu verschlingen; sie versuchen viel zu schnell, sämtliche Luft der Welt in sich einzusaugen. Aber kein Luftzug schafft es gegen die Enge in meiner Brust an. Hektisch atme ich ein und aus, doch es ist, als wäre aller Sauerstoff aus dem Raum gewichen. Panisch greife ich mir an den Hals. Erst mein rasender Puls erinnert mich daran, dass ich lebe und nicht etwa qualvoll in der Arena ersticke.
„Annie, wir sind in Sicherheit. Die Mutationen sind nicht hier", flüstert Amber neben mir. „Alles wird gut."
Ich zwinge mich, die Augen zu schließen, und gleite zurück in die viel zu weichen Sofakissen. Über das Keuchen meines eigenen Atems verblasst das Geheul der Wölfe langsam zu einem monotonen Hintergrundgeräusch. Zitternd presse ich die Hand ans Schlüsselbein, in Gedanken dabei, dass ich längst überlebt habe. Doch egal was ich auch versuche, da stellt sich kein Gefühl von Sicherheit ein. Nicht nach allem, was das Kapitol uns angetan hat – antut.So verharre ich in selbstgewählter Dunkelheit, konzentriert auf jeden einzelnen Atemzug. Um mich herum ist lauter Geflüster, die dröhnende Tonübertragung aus der Arena und irgendwo, ganz entfernt, höre ich sogar das Klirren von Eiswürfeln in Gläsern, hier und da ein Lachen.
In Distrikt Vier hingegen wäre es an diesem Punkt totenstill, erinnere ich mich. Alle würden stumm dastehen und darauf warten, dass es vorbei ist, während der Sommerwind durch die engen Gassen fährt. Hand in Hand mit Isla würde ich es durchstehen. Die Erinnerung an meine liebe Freundin beruhigt mich etwas. Ich sehe ihr wettergegerbtes Gesicht vor mir; die feinen Falten, von ihrem sanftmütigen Lächeln für immer auf die Haut gezeichnet. Bald schon werde ich sie wiedersehen. An diese Hoffnung klammere ich mich. Dann werden wir wirklich in Sicherheit sein. Zuhause.
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Meeressturm | Annie Cresta
FanfictionDie Hungerspiele zu gewinnen ist erst der Anfang. Das weiß niemand besser als Annie Cresta, in ganz Panem nur ‚die Verrückte' genannt. Geplagt von den Geistern der Vergangenheit versteckt sie sich an der Seite von Finnick Odair vor der Welt, in der...