38 | Verbündet - Verfeindet - Part II

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Der Zoo ist an diesem Nachmittag unter der Woche recht leer, wie Finnick befriedigt feststellt. Nur vereinzelte Familien mit jungen Kindern schauen sich die Tiere an und sind zum Glück vollkommen auf sich konzentriert. Selbst die Hungerspiele, die auf großen Leinwänden an jeder Ecke übertragen werden, finden wenig Beachtung.

Trotzdem ist er dankbar für das hellblaue Oberteil mit der Kapuze, die ihn vor allzu neugierigen Blicken abschirmt. Nicht auffällig schlicht, da Roan sich natürlich an den allerneusten Trends orientiert hat, aber gerade richtig, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Für den ersten Eindruck sieht er aus wie ein einfacher Kapitolbewohner.
Titania an seiner Seite trägt ihre dezente Arbeitskleidung, sodass auch sie kaum Augen auf sich zieht.

Es ist schon einige Zeit her, dass er zuletzt das Trainingscenter verlassen hat, abgesehen von den Vorladungen bei Präsident Snow und Nächten in fremden Appartements. Interessiert beobachtet er die Menschen um sich herum, die fröhlich miteinander reden, Eis essen und frei von Sorgen scheinen.
Zwei kleine Jungen jagen den Weg entlang und ihr Lachen wärmt sein Herz. Wenn die Kinder in Distrikt vier doch nur öfter Anlass zum Fröhlichsein hätten. Er erinnert sich an seine Kindheit, in der es nie viel Freude gab.

„Ich kriege dich!", ruft einer der Jungen. Die Wärme in Finnicks Innerem schwindet, als er sieht, dass beide Kinder kleine Plastikwaffen tragen, exakte Miniaturen von denen aus der Arena. Schwert und Speer sehen verkehrt aus in den Händen von knapp Sechsjährigen.
Der hintere Junge schließt zu seinem Bruder auf und stürzt sich unter Gebrüll auf ihn. Sein Plastikschwert bohrt sich in dessen Seite, aber so wie das Kind lacht, ist klar, dass es höchstens etwas kitzelt.

„Du bist tot", ruft der Sieger triumphierend und tanzt ausgelassen in einem Kreis um den am Boden liegenden Jungen herum. „Hahaha, ich bin wie Cato, niemand kann sich mir in den Weg stellen", brüllt er, bis seine Eltern aufschließen und die beiden einsammeln.
Titania folgt Finnicks Blick. „Kinder sind schon etwas Schönes", stellt sie fest. „Manchmal sehe ich Kinder und wünschte, ich hätte eigene."

Überrascht sieht er sie an. Er war ganz auf das traurige Spiel konzentriert, dass er nicht einmal überlegt hat, was andere dabei empfinden.
In Distrikt vier sind Kinder nichts Schönes, eher etwas Nützliches. Manche Leute versuchen regelrecht, es zu vermeiden, sie zu bekommen. Damit sie sich keine Sorgen über die Hungerspiele machen müssen. Aber natürlich ist das nicht immer möglich.

Er zuckt zur Antwort mit den Schultern. „Darüber hab ich ehrlich gesagt nie nachgedacht. Schließlich kann ich keine eigenen Kinder haben."
Dafür hat das Kapitol gesorgt. Nicht, dass man ihn gefragt hätte, bevor er unfruchtbar gemacht wurde. Sie haben schlichtweg beschlossen, dass es das Risiko nicht wert ist, wenn nachher all seine Geliebten schwanger würden.

Und was er will, ist seit jeher nebensächlich. Es ist besser, nicht darüber nachzudenken. Mehr Kinder braucht diese elende Welt ohnehin nicht. Selbst liebende Eltern können ihren Nachwuchs nicht vor der grausamen Wirklichkeit beschützen.
„Oh", erwidert Titania angemessen betreten, „nun, bei mir steht auch der Beruf im Weg."

„Apropos Job – was hat dich heute so Schreckliches geplagt, dass du deinen Urlaub dafür unterbrechen musstest? Hat Ministerin Egeria wieder Probleme mit aufmüpfigen Getreidebauern?", lenkt Finnick stattdessen das Gespräch in interessantere Bahnen.
„Oh, ach, das ...", Titania wedelt mit ihrer Hand, „das hatte nicht wirklich was damit zu tun. Nur ein kleiner Notfall, aber jetzt haben wir alles unter Kontrolle, ja." Zur Bekräftigung nickt sie nochmal. „Ich will jetzt lieber nicht an die Arbeit denken."

Enttäuscht kickt Finnick ein Steinchen vor sich her. Er hat fest darauf gebaut, dass sie ihm, wie sonst, all ihr Leid klagen würde. „Tita, du solltest auf dich achten, du arbeitest immer so hart. Was ist schon so wichtig, dass du dafür deinen Urlaub unterbrechen musst?"
Sie kichert. „Ach, du bist süß. Jetzt entspanne ich mich ja." Glücklich strahlt sie ihn an. „Nichts ist wichtiger, als ein Tag mit dir ganz alleine."

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt