Die Zuschauer bekommen, wonach sie sich verzehren. Auf eine Art wusste ich schon immer, dass es so geschehen wird, seit Titania Creed die Worte verlesen hat. Und doch habe ich gefürchtet, dass Snow es verhindern würde, diese unmöglicheste aller Regeländerungen, die Änderung von der Essenz dessen, wofür die Hungerspiele immerhin schon 74 Jahre lang stehen. Diesen Wink einer Hoffnung, die nicht sein darf.
Wir sitzen allesamt im großen Festsaal, Mentoren, Betreuerinnen und Sponsoren, als es so weit ist. Jeder Distrikt für sich und doch gemeinsam, nur die Kapitoler sind ein störender Fremdkörper in unserer Mitte. Die Hymne Panems hallt durch die Arena und lässt sämtliche Tribute in Schockstarre verfallen. Ich halte Ambers Hand, aber es ist schwer zu sagen, wer von uns fester drückt. Ihre Aufregung ist mindestens so groß wie meine, auch wenn ihr Gesicht grimmig wie eh und je bleibt; eine Maske der Gleichgültigkeit.
Zwei Tribute aus demselben Distrikt dürfen gemeinsam siegen. Claudius Templesmith verkündet es pünktlich auf die Sekunde nach Ablauf der Abstimmungszeit. Zum ersten Mal, seit wir im Kapitol sind, breiten sich Ambers Lippen zu einem ehrlichen Lächeln aus. Eine Woge aus Freude brandet durch den Saal, zufriedenes Nicken, vereinzeltes Klatschen oder gar ein begeistertes Pfeifen.
Überschwänglich zieht Amber mich in ihre kräftigen Arme und ergriffen von der plötzlichen Fröhlichkeit zucken auch meine Mundwinkel wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen in die Höhe. Was hier geschieht, ist besonders, das ist klar. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass die Vorstellung in mir aufsteigt, wie es wäre, wenn Edy und Cordelia noch leben würden. Wenn sie doch nur ein wenig mehr Glück gehabt hätten ...
Leute drängen nach vorne, zu den Plätzen von Distrikt Zwei und Zwölf und bedrängen die Mentoren mit Glückwünschen, die Sponsoren zücken bereits ihre kleinen Plastikkarten, mit denen sie hier alles bezahlen. Haymitch wird von Titania Creed mit einer schwer beringten Hand auf die Schulter geklopft und es scheint ganz, als wenn sie diese Chance alleine für ihren Verdienst hält.
Es dauert keine fünf Minuten und unter den Anwesenden haben sich zwei harte Fronten gebildet. Distrikt Zwei gegen Zwölf. Karrieros gegen Außenseiter. Verbissene Einzelkämpfer gegen tragisches Liebespaar.Die anderen Tribute allerdings, die alleine kämpfen, scheinen nun vollends abgeschrieben. Eine Mentorin aus Distrikt Fünf stürmt mit klappernden Absätzen aus dem Raum, ihre Hände zu Fäusten geballt. Ihr Partner hingegen, ein älterer Sieger mit schütterem Haar, hat es irgendwie geschafft, sich an Haymitchs Seite zu drängen und versucht dort, Aufmerksamkeit zu erringen – mit mäßigem Erfolg.
Die kommenden Stunden und Tage wird Caesar Flickerman nicht müde, die Symbolik des Ganzen zu betonen. In der gesamten Stadt gibt es bloß dieses eine Thema, wie auch Cece verkniffen berichtet. Sie hat Katniss den Tod von Cordelia immer noch nicht verziehen. Überhaupt scheint sie die Einzige zu sein, die für das Liebesdrama nur ein Achselzucken übrig hat.
„Irgendwann findet auch ein blindes Huhn ein Korn", sagt sie schlicht. „Netter Plan, das muss man Abernathy lassen. Möchte nur wissen, wie er die Spielmacher überzeugen konnte, da mitzumachen. Aber es zeigt vor allem eins: Nächstes Jahr müssen wir etwas Besseres in petto haben!"
Und damit stürmt sie davon, fest entschlossen, einen Plan zu erarbeiten, der dieses Drama noch in den Schatten stellen wird. Wenn ich nur an das Jubeljubiläum denke, ziehen sich all meine Innereien schmerzhaft zusammen.
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Meeressturm | Annie Cresta
FanfictionDie Hungerspiele zu gewinnen ist erst der Anfang. Das weiß niemand besser als Annie Cresta, in ganz Panem nur ‚die Verrückte' genannt. Geplagt von den Geistern der Vergangenheit versteckt sie sich an der Seite von Finnick Odair vor der Welt, in der...