65 | Danach - Part I

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Annies Atem streicht erstaunlich regelmäßig und leicht wie eine Feder über sein Schlüsselbein

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Annies Atem streicht erstaunlich regelmäßig und leicht wie eine Feder über sein Schlüsselbein.
Ein und aus.
Ein und aus.
Ein und aus.
Finnick horcht nach der Panik in ihrem Inneren, doch ihm antwortet nur Frieden. Da lauern keine wilden Schreie, nicht einmal hektisches Luftschnappen oder ein tränenschwerer Kloß in ihrer Kehle. Egal wie angespannt er auf die kleinste Veränderung lauscht, Annies leise Geräusche bleiben beständig wie das Meer. Ein beruhigendes Flüstern in seinen Ohren nach dem Sturm kurz zuvor.

Vor allem Amber hat geflucht und getobt wie ein Orkan. Mindestens eine Kristallvase ist in Floogs' Wohnzimmer zu Bruch gegangen, während sie gewütet hat. Auch seine Kehle fühlt sich Stunden später noch ganz rau an, als hätte er seit Tagen nichts außer Salzwasser getrunken. Dabei hat er nur versucht, Amber Mut zuzureden. Irgendwie hat er eine gute Miene zum bösen Spiel gemacht, obwohl in seiner Brust nur ein großes, schwarzes Loch klafft. Es frisst ihn von innen auf – aber dann streicht Annies Atem erneut über seinen Hals und er vergisst. Alles. Mit jedem Luftstoß schickt sie ein Kribbeln durch seinen Körper. Von den Haarspitzen bis in seine Zehen zieht es sämtliche Zellen zusammen. Und verdammt, er genießt es.

Eine schier unendlich lange Zeit konzentriert Finnick sich auf nichts außer das Heben und Senken von Annies Brustkorb. Er wagt es nicht einmal, den kleinen Finger zu bewegen. Wenn er das tut, verliert er. Dann fallen die hässlichen Gedanken endgültig über ihn her. Wie wütende Mutationen. Sie warten bereits darauf, ihre Krallen in sein Herz und Hirn zu schlagen; beides in kleine Stücke zu reißen. Hungernd ziehen sie ihre Kreise enger, das spürt er. Angst trieft wie der Geifer von ihren Lefzen. Aber er lässt die Monster nicht heran. Er atmet im Gleichklang mit Annie und lässt los, anstatt festzuhalten. Obwohl er nichts lieber tun würde, als sich verzweifelt festzuklammern, gibt er all die Anspannung Atemzug für Atemzug auf. Seine schlimmsten Gedanken werden nicht siegen. Genauso wenig wie Snow dieses Spiel gewinnen wird.

Finnick ist bewusst, dass Annie trotz ihres sanften Atems ebenso wach ist wie er. Dennoch will er die Illusion, dass sie in seinen Armen Ruhe gefunden hat, so lange wie möglich aufrechterhalten. Er redet sich viel zu gerne ein, ihr echten Frieden schenken zu können. Dabei weiß er, dass seine Liebe niemals alle Probleme fortwischen kann. Aber genau jetzt, im Halbdunkel ihres Schlafzimmers, existieren weder die Welt noch die Wahrheit da draußen. Hier gibt es nur sie beide unter einer dünnen Decke, Arme und Beine mindestens ebenso sehr ineinander verschlungen wie ihre Schicksale.

Auch wenn er schon viele Male auf Emerald Isle neben Annie eingeschlafen ist – so nah war sie ihm dabei nie zuvor. Da ist immer ein letzter Rest Abstand zwischen ihren Körpern geblieben. Nur ein winziger Spalt, kaum ein Fingerbreit. Eine vertraute Distanz, die sie unausgesprochen gewahrt haben. Ein Arm, der niemals zu schwer auf ihr lag. Falls die Albträume gekommen wären. Oder alles zu viel geworden wäre. Nicht ihr, sondern ihm, der schon ganz andere Situationen im Kapitol erlebt hat, mit unzähligen Menschen an seiner Seite und doch nie freiwillig.
Manchmal fürchtet er sich davor, den Unterschied zwischen gekauften Körperlichkeiten und liebevoller Geborgenheit nicht mehr zu erkennen. Solange sie gemeinsam in einem Bett liegen zumindest. Am Tag, in einer unverfänglichen Umgebung, ist es anders. Da kann er die Gedanken hinter seine Mauern verbannen und Annie so fest an sich drücken, dass es ihr die Luft raubt. Oder wenn sie eine Panikattacke hat und ihn braucht. Dann verschwinden seine Sorgen. Dann funktioniert er.

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt