59 | Hochverrat - Part I

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Die Monate bis zur Siegertour ziehen unendlich zäh dahin, beinahe so endlos wie die zwei Wochen während der vergangenen Spiele im Kapitol. Cece plant derweil alles für das Jubeljubiläum bis ins kleinste Detail. Sie reist mehrere Male in den Distrikt, obwohl sie das sonst nie getan hat. Sogar das Vorbereitungsteam begleitet sie beim letzten Mal Ende Oktober, damit unsere Outfits für die Ernte perfekt aufeinander abgestimmt sind. Wir sollen eine Einheit verkörpern, vom ersten Augenblick an.

Das Einzige, worüber Cece nicht begeistert ist, sind die mangelnden Tribute. Sie hat bereits ein ganzes Notizbuch voller Ideen, angefangen von Kleiderentwürfen für die Ernte bis hin zu ausgefeilten Strategien. Nur warten keine aussichtsreichen Kandidaten, wie sowohl Amber als auch Finnick ihr immer wieder erklären. Es gibt magere Sechzehnjährige, die bloß hoffen, durch die Spiele der Armut entkommen zu können, sonst niemanden. Und egal, was Cece verlangt, wir werden keine Wunder aus dem Nichts zaubern.

Nach jedem Besuch aus dem Kapitol streiten sich die anderen Sieger. Amber, Riven und Trexler sind der Ansicht, dass wir trotz allem zwei Kinder aus der Akademie für die Spiele auswählen sollten – die, mit den größten Chancen, nicht im Blutbad zu sterben. Finnick, Floogs und Mags sind dagegen, denn sie halten daran fest, dass wir nicht das Schicksal zweier Kinder entscheiden dürfen. Obwohl wir letztes Jahr das Gleiche mit Cordelia getan haben, wie ich sanft einwerfe.

Ich verstehe beide Seiten. Gerade das macht es schwer, einen Entschluss zu fällen. Wenn wir niemanden bestimmen, dann trifft es vielleicht Zwölfjährige wie Pon, die keine Chance haben. Kinder wie mich, die schon mehr Glück als Verstand brauchen, um irgendwie zu überleben. Andererseits würde ich mit einer Entscheidung mindestens einem Tribut in die Augen sehen und ihn zum Tod verdammen, nur weil dieser sich für die Sicherheit des Trainings in der Akademie entschieden hat. Da es noch Zeit hat, schiebe ich den Entschluss vor mir her.

So verlässt uns Cece auch im Oktober wieder mit der eindringlichen Bitte, endlich Tribute aufzutreiben, damit wir den Weg zum Sieg fortsetzen können. Nach diesem letzten Besuch hören wir fast einen ganzen Monat lang gar nichts mehr von unserer übereifrigen Betreuerin. Dafür bemerken wir andere Veränderungen im Distrikt. An den Zugängen zu den Pieren im Hafen stehen plötzlich Friedenswächter, die alle Personalien kontrollieren. Niemand kommt mehr zu seinem Schiff, ohne sich vorher einer eingehenden Untersuchung der Soldaten zu unterziehen.

Ich habe zwar die Ausflugserlaubnis, den Bootsführerschein und sogar die Besitzerurkunde für mein Schiff und trotzdem schlägt mir das Herz bis hoch in den Hals, als ich das erste Mal die Kontrollen passiere. Wie bei der Ernte wird den Wartenden in die Fingerkuppe gestochen und ein Friedenswächter analysiert den Tropfen Blut mit seinem Handgerät, um die Identität zu bestätigen. Danach muss ich durch einen Körperscanner laufen, der zum Glück nicht anschlägt. Ich habe keine Ahnung, wonach Snows Schergen suchen, aber es sorgt dafür, dass die Abläufe am Hafen sich zusehends verlangsamen. Wer frühmorgens auslaufen will, muss sich auf lange Schlangen einstellen und noch härtere Kontrollen bei Rückkehr.

Zum Glück fange ich bei den gemeinsamen Nachmittagsausflügen mit meiner einstigen Klassenkameradin Survy keine Fische, sodass wir dem Schlimmsten entgehen. Die lange Reihe an Schiffen, die von den Friedenswächtern bis unters Deck inspiziert werden, entgeht aber auch mir nicht. Genauso wenig wie der Mann, den zwei Soldaten am Pier zusammenschlagen, nachdem sie eine Kiste mit Beifang gefunden haben, die er unter einem zweiten Boden in der Kajüte versteckt hat.

Die Fischer zeigen zusehends ihren Unmut angesichts dieser Behandlung durch das Kapitol. Auch Survy wettert bei unseren Fahrten regelmäßig über die neuen Bestimmungen. Draußen auf dem Meer gibt es nur den Wind, der uns zuhört, und sie nutzt die Gelegenheit, Snows gesamte Regierung mit den deftigsten Schimpfwörtern zu überziehen, die Distrikt Vier kennt. Worte, wegen denen man sonst Bestrafungen von den Friedenswächtern kassieren würde.

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt