21 | Hoffnung - Part I

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Brennender Schmerz verzehrt ihn. Seine Lunge steht in Flammen, jeder Atemzug schürt das Feuer in seiner Brust. Trotzdem rennt er weiter, immer weiter. Er spürt nichts, außer dem Brand der ihn schwächt und gleichzeitig antreibt. Hinter sich hört er schwere Schritte. Verzweifelt spornt er sich an schneller zu rennen. Nur noch ein wenig, verspricht er sich, dann wird das Blatt sich wenden.

Atemlos stürzt er auf den See unter dem donnerndem Wasserfall zu. Eisiges Wasser empfängt ihn. Heißes und kaltes Feuer ringen in seiner Brust miteinander, unbeachtet von ihm.
Den goldenen Dreizack in den Händen taucht er ein. Wasser ist sein Element. Flink wie die kleinen Fische um ihn her schwimmt er über den niedrigen Grund, bis dorthin, wo sein Netz verborgen ist. Geschickt überwindet er die Falle, um hinter ihr aufzutauchen. Silbrig glitzernd perlt das Wasser im Mondschein von ihm ab. Seine Verfolger können ihn nicht übersehen. 

Prüfend wiegt er den Dreizack in seiner Hand. Jetzt wird es sich entscheiden. Mit schimmernden Waffen kommen sie aus dem dichten Urwald hervorgeschossen. Ein Pfeil schießt ohne Warnung auf ihn zu. Sein Herz rast, als er sich im letzten Moment duckt. Lachen ertönt.
Seine Gegnerin legt einen neuen Pfeil an ihre Sehne, angefeuert von ihrem Verbündeten. Seinem einstigen Verbündeten. Doch das Gefühl von Freundschaft ist längst erstickt. Er kann es sich nicht leisten, daran zu denken. Was zählt ist einzig das Überleben.

Wieder schießt ein Pfeil knapp an ihm vorbei. Sie spielen mit ihm. Eine Jägerin hätte längst getroffen und sie ist eine Jägerin. Fraglos ist es eine gute Show für die Zuschauer, aber er will es beenden. Jetzt. Aus den Tiefen seines Inneren steigt ein rasselndes Lachen auf und er schüttelt den Kopf. Mit einem Grinsen wird der Bogen fallen gelassen. Diesen letzten Kampf werden sie austragen wie Tiere. Wild und von Angesicht zu Angesicht. 

Ganz wie beabsichtigt kommen sie durch das flache Wasser auf ihn zu. Er weicht ein paar kleine Schritte zurück. Feine Gischt von dem Wasserfall prickelt in seinem Nacken. Bis zur Hüfte steht er im See. Die letzten Sekunden vor ihrem Zusammentreffen scheinen sich bis in die Unendlichkeit zu dehnen.
Dann tritt sie in die Falle. Verwirrung gleitet über ihr Gesicht, aber da reißt er auch schon an der verborgenen Schnur und sie verliert das Gleichgewicht. Ihr spitzer Schrei zerreißt die sommerliche Nacht. Sie strampelt, doch das Netz schließt sich nur enger um sie.

Mit einem Ruck zieht er sein Opfer heran. Knackend durchstößt der Dreizack ihren Brustkorb. Leise pfeifend erstirbt ihr Atem auf den Lippen. Ihre letzten Worte bleiben für immer ungesagt.
Gefühle wirbeln in seinem schmerzenden Inneren auf, dennoch hält er nicht inne, um dem Zweifel keinen Raum zu lassen. Er wendet sich von ihr ab, gerade noch rechtzeitig.
Klirrend schlägt ein Schwert gegen seinen zur Abwehr erhobenen Dreizack. Der Schock des Schlags vibriert durch seine Knochen. Verbissen fangen er und der nächste Gegner an miteinander zu tanzen, einen Tanz auf Leben und Tod. Sie treiben einander im Kreis, Schlag um Schlag. Sein Gegenüber muss sterben, das ist der einzige Weg. Mit dem Netz gelingt es ihm den Schwertarm des Jungen einzufangen. 

Wie ein Scheinwerfer erhellt der Mond die entscheidenden Sekunden ihres Kampfes. Verbissen sieht sein Gegner ihn an und schreckliche Erkenntnis durchflutet ihn, betäubt selbst den stechenden Schmerz in seiner Lunge. Er kann es nicht mehr aufhalten, die Waffe ist längst in Bewegung, um ihre Bestimmung zu vollbringen. Sein Dreizack durchbohrt den Jungen mit dem sommersprossigen Gesicht.
Edy stürzt herab in das rote Wasser, neben die Leiche von Cordelia.
Donnernd hallt ein Kanonenschuss durch die Arena, doch Finnick hört ihn nicht mehr. Schweiß überströmt wacht er auf.

In der Stille der Nacht hört er seinen rasselnden Atem, ansonsten ist alles ruhig. Ein Blick aus dem Fenster zeigt ihm, dass das Kapitol in tiefem Schlaf liegt.
Es dauert einen Moment bis sein Herz wieder im Rhythmus schlägt. Der Albtraum versteckt sich immer noch in seinem Inneren und lässt ihn frösteln. Um die Kontrolle über seine zitternden Gliedmaßen zurückzuerlangen, atmet er tief ein und aus, ehe er an drei Gründe denkt, weshalb der Albtraum nicht real ist.
Eine Technik, die ihm Mags einst beibrachte und die auch jetzt wieder Wirkung zeigt. Lange nicht mehr hat er von seiner Arena geträumt. Heute sind seine schlimmsten Ängste andere als früher. Die Furcht, dass Annie etwas zustoßen könnte, ist schlimmer als die Erinnerung an seine Spiele.

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt