19 | Flammen in der Dunkelheit - Part I

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 „Gleich zwei Freiwillige für Distrikt vier, das sind wunderbare Neuigkeiten. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, was wir von Edy erwarten können, er sieht recht schmächtig aus. Aber wenn es eines gibt, was wir alle gelernt haben, dann, dass man einen Tribut niemals nach seinem Äußeren beurteilen sollte, nicht wahr Claudius?"
Absolut Caesar! Wir alle erinnern uns an Johanna Mason, die uns mit ihren Tränen täuschte, bis sie plötzlich ihre Axt zückte. Wer weiß also, welche Überraschungen Edy für uns bereit hält. Seine Partnerin Cordelia hingegen, bei ihr sind die Talente wohl etwas offensichtlicher. Ich wette, sie kann ausgezeichnet mit dem Speer umgehen."
Und dazu ist sie noch eine klassische Distrikt Vier Schönheit! Wirklich vielversprechend. Aber nicht nur Distrikt vier hat seine Freiwilligen, in diesem Jahr hat auch Distrikt zwölf uns eine ungewohnte Überraschung beschert ..."

Im Fernsehen läuft, mal wieder, eine Zusammenfassung der Ernte, gewürzt mit Interviews der Mentoren. Anscheinend reicht es nicht, dass wir uns das Drama bereits im Zug hierher angesehen haben. Die Gesichter der Kinder haben sich schon beim ersten Mal in meine Gedanken gebrannt. Es ist alles dabei – von mageren Kindern mit ohnmächtigem Blick zu großgewachsenen Karrieretributen. Von zwölf bis achtzehn, jede Altersstufe ist vertreten.

Gegenwärtig befinden diese Tribute sich im Erneuerungscenter, nur eine Etage unter uns. Ich erinnere mich nur zu gut an den Raum aus blankem Metall, in dem ich für meinen Auftritt bei der Wagenparade vorbereitet wurde.
Im Aufenthaltssaal der Mentoren ist davon nicht viel zu merken. Anstatt kalter Metallwände und skrupelloser Stylisten sind wir von Gemütlichkeit umgeben. Ausladende Sofas stehen für uns bereit, Köstlichkeiten warten an einem Buffet auf uns und durch ein bodentiefes Panoramafenster haben wir einen spektakulären Ausblick auf den Korso im Kapitol, über den sich langsam die Sonne senkt. Die Annehmlichkeiten eines Lebens als Siegerin. Und trotzdem fühle ich mich ein Stück weit, als wäre ich wieder ein Tribut in den Spielen.

Ich starre aus dem Fenster hinab auf die breite Straße, entlang derer Avoxe die letzten Vorbereitungen treffen. Zumindest vermute ich, dass es Avoxe sind, dem bewaffneten Trupp Friedenswächter nach zu urteilen, die über sie wachen.
Riesige Leinwände sind zu beiden Seiten des Wegs aufgestellt, damit auch ja niemand den ersten Auftritt der Tribute verpasst. Am Ende dieser Straße werden wir Mentoren später am Abend auf unsere Tribute warten. Bis dahin sind wir allerdings dazu verdammt uns im Erneuerungscenter zu „vergnügen" wie es Cece ausgedrückt hat.
Nach der allgegenwärtigen Meinung des Kapitols scheint das Vergnügen aus Essen und Drinks zu bestehen. Zumindest bei Letzterem langen einige Mentoren ordentlich zu. Allen voraus Chaff, ein Berg von Mann mit nur einem Unterarm. Er scheint ebenso ein Außenseiter zu sein, wie Haymitch Abernathy. Beide sitzen mit düsteren Mienen nebeneinander auf einem Sofa, bunte Drinks in der Hand. 

„Sie schaffen es nicht mal, für ihre Tribute einen klaren Kopf zu behalten. Eine echte Schande", murmelt eine dunkelhaarige Frau, die nicht weit von mir entfernt steht, ihrem Begleiter zu. „Ich würde mir echt Sorgen um Zwölf machen, wenn nicht Abernathy ihr Mentor wäre. Der schafft es noch seinen größten Triumph zu verspielen. Wann hatte sein armseliges Loch von Heimat je eine Freiwillige?" Sie lacht freudlos auf. „Das arme Mädchen, sie kann einem beinahe leidtun. Aber umso besser für uns, wenn wir die Spiele gewinnen wollen."

Sie wendet sich vom Fenster ab und unsere Blicke kreuzen sich flüchtig. Mit einem Grinsen zieht sie die Lippen zurück, eine Reihe spitz zulaufender Zähne enthüllend. Als sie bemerkt, wie ich einen Schritt zurück weiche wirft sie lachend den Kopf in den Nacken.
Das muss Enobaria aus Distrikt zwei sein. Die meisten Mentoren sehen in der Realität unerwartet anders aus, doch ihre Zähne sind legendär. Unwohl reibe ich mir die Arme. An der Oberfläche wirken wir wie eine Gemeinschaft, aber der Schein trügt. Nicht nur unsere Tribute, nein auch wir, sind Feinde. Immer noch. 

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt