22 | Hoffnung - Part II

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Später am Tag sind die Tribute im Trainingscenter und die Mentoren haben Zeit zur freien Verfügung. Wirklich etwas zu unternehmen gibt es in ihrem abgeriegelten Turm freilich nicht. Entweder man bleibt in seinem zugeteilten Apartment, oder man geht in den Aufenthaltssaal im Keller, um sich mit den übrigen Mentoren zu treffen. Da es dort eine Bar und reichlich Alkohol gibt, beschließt Finnick dem Saal am Nachmittag einen Besuch abzustatten. Am Vormittag sind die Chancen schlecht, Haymitch Abernathy zu treffen, da er meist bis Mittags schläft.
Abgesehen davon freut Finnick sich darauf ein paar andere Sieger wiederzutreffen, die er zuletzt auf der Siegestour gesehen hat.

Die anderen Mentoren begleiten ihn nicht, sondern bleiben lieber für sich. Amber hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, um die perfekte Strategie für Cordelia auszuarbeiten, während Floogs und Trexler das Gleiche für Edy erarbeiten. Morgen werden sie darüber sprechen und dann versuchen die nötigen Allianzen für ihre Tribute zu schmieden.
Trotzdem fühlt Finnick sich schuldig, dass er im Moment keinem von seinen Tributen hilfreich ist. Mit aller Macht muss er sich daran erinnern, dass er all dies tut in der fernen Hoffnung auf ein Panem ohne Hungerspiele, dass es nicht sinnlos ist. 

Annie lässt er vor dem Fernseher zurück, wo sie völlig gebannt eine Sendung über den Zoo des Kapitols verfolgt. Begeistert schaut sie den kleinen Pinguinen zu, die durch ihr Wasserbecken treiben. Solche Tiere gibt es nur hier zu sehen.
Wie gerne würde er ihr die Tiere in echt zeigen, doch niemand darf das Trainingscenter verlassen. Außer wenn Snow höchstpersönlich es gestattet. Immerhin scheint sie glücklich beim Anblick der Tiere.
Neben ihr sitzt Rosetta, oder, wie Annie sie nennt – Kolibrichen. Eifrig zeichnet sie Varianten der Outfits für die Interviews. Hin und wieder fragt sie Annie nach ihrer Meinung, ansonsten schweigen sie.
Finnick beschließt, dass Annie ihn nicht vermissen wird, solange sie so beschäftigt ist. Sie alleine zu lassen macht ihn unruhig, gerade hier im Kapitol. Doch er weiß, dass sie stärker ist, als es den Anschein macht. Er muss lernen, ihr mehr zuzutrauen. 

Im Kellersaal angekommen findet er nur wenige Mentoren vor. Der erste Tag ist ruhig, ehe sich ganz von alleine eine Dynamik entwickelt, je näher die Spiele kommen. Johanna kann er nirgends entdecken. Vermutlich kommt sie später dazu. Ganz wie erwartet, sitzen Haymitch und Chaff bereits an der Bar. Hoffentlich noch nicht betrunken. Sich mit ihnen zu unterhalten, wenn sie bereits blau sind, ist unerträglich.
Lässig lehnt Finnick sich neben ihnen an den Tresen und bestellt sich bei dem Avox hinter der Theke ebenfalls einen Drink. Haymitchs Blick schweift zu ihm herüber. Wie immer riecht er nach Alkohol. Wortlos nickt er ihm zu, ehe er den Blick wieder in die Tiefen seines Whiskeys lenkt. Chaff allerdings ist weniger grimmig drauf.

„Finnick mein Junge", ruft er mit dröhnender Stimme und begrüßt ihn mit einem schweren Schlag auf die Schulter. „Lang nicht gesehen! Was machen die Damen?" Er lacht anzüglich. Seine Art von Betrunkenheit ist anders als die von Haymitch. Eindeutig ist er mehr der laute Typ. Aber Finnick kennt das Spiel und lächelt nur breit zurück.
„Chaff! Ich wusste doch, dass du dich hier rum treibst. Ich bin extra nur für dich hergekommen, weil ich so Sehnsucht nach dir hatte." Das Glas zum Toast erhoben prostet er dem Berg von Mann zu. Dieser lacht laut und erwidert die Geste. In einem Zug leert Chaff sein Glas. Krachend haut er es auf die Theke.
„Also mein Junge, warum hast du Sehnsucht nach dem alten Chaff und nicht nach einem deiner Zuckerhäschen?" 

Etwas angewidert verzieht Finnick den Mund. Chaff schafft es, seine Verbindung zu den Damen des Kapitols in wirklich unangenehme Worte zu verpacken.
„Na was wohl? Wegen deiner charmanten Art? Das Geschäft natürlich", antwortet er nur zwinkernd. „Distrikt elf und zwölf haben ein paar nette Tribute in diesem Jahr. Wer sagt, dass es immer dieselben Verbündeten geben muss? Distrikt vier ist offen für alles." Es ist ein spontaner Einfall, der ihn diesen Weg einschlagen lässt. Wenn alles glatt läuft, kann er sie vielleicht wirklich als Verbündete gewinnen und so doch die Chancen seiner Tribute steigern. Tief in seinem Herzen ahnt er, dass es ein verzweifelter Gedanke ist und will es sich doch nicht eingestehen.

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt