44 | Aufopferung - Part II

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Gähnend blicke ich auf die unzähligen Bildschirme um mich herum. Es nähert sich langsam vier Uhr morgens und mir fallen des Öfteren die Augen zu. Nur Amber und ich sitzen noch in der Mentorenzentrale. Bisher ist unsere Nachtwache ruhig. Wir haben Cato und Clove dabei beobachtet, wie sie Messer auf am Boden huschende Eidechsen geworfen haben, oder Marvel und Glimmer zugehört, die leise vom Kapitol geschwärmt haben. Alles in allem sehr bedeutungslos.

Oben im Geäst herrscht ebenfalls Ruhe. Katniss hat sich mit ihrem Schlafsack in einer Astgabel arrangiert und auf dem Nachbarsbaum schläft Rue, zusammengerollt wie ein Kätzchen, zwischen den Ästen.
Die ganze Zeit über hält mich einzig die Furcht vor dem Unbekannten wach. In meinem Magen ruht ein eisiger Knoten und bei jedem Geräusch schrecke ich auf, die Gedanken voller Horrorszenarien.

Solange Finnick da war, hat er mich festgehalten, mir gut zugeredet, doch nachdem sein Kopf zum fünften Mal gefährlich nah in Richtung Tischplatte gesunken ist, habe ich ihm befohlen, sich auszuruhen. Das gab einigen Protest, bis Amber vielsagend mit den Knöcheln geknackt hat. Dafür hat er versprochen, nicht länger als eine Stunde weg zu sein. Mittlerweile sind es zwei. Den Schlaf hat er sich verdient und ich habe nicht vor, ihn zu wecken. So oder so opfert er zu viel für mich.

Amber hält sich mit Kaffee wach, eine Tasse rabenschwarzer und übelriechender Flüssigkeit nach der anderen. Auch jetzt hat sie sich einen frischen Becher des dampfenden Getränks bei einem Avox geordert und nippt daran. Der Duft erfüllt die ganze Zentrale und dreht mir den Magen um.
Mit einem Seufzen reibe ich meine Augen und klicke mich zum hundertsten Mal in dieser Nacht durch die verschiedenen Kameraperspektiven. Wohin ich sehe, überall schlafen die Tribute. Die meisten haben notdürftige Unterkünfte gefunden, eine Höhle am Bach oder eine flache Erdkuhle. Am Füllhorn schläft ganz alleine der kleine Junge aus Distrikt drei, ein Schwert, halb so groß wie er, umklammert.

Ich sollte mich freuen, dass die Nacht ereignislos ist. Wenn der Morgen naht, werden wieder Trexler und Floogs übernehmen. Aber sobald es zu dem Kampf zwischen den Karrieros und Distrikt zwölf kommt, kann ich nicht einfach wegsehen. Dass es so kommen wird, ist unvermeidbar. Wenn nicht vorher das Jägerwespennest herabstürzt und alles auf den Kopf stellt. Solange Katniss sich nicht weiter daran zu schaffen macht, scheint es wenigstens stabil zu sein.

Marvel, der im Moment Wache hält, stupst Cordelia an die Schulter. Ihre Wachzeit ist gekommen. Müde reckt sich der Tribut aus Eins und lässt sich auf den Waldboden fallen. Glimmer ist schon länger eingeschlafen, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt, den Kopf auf die Brust gesunken.
Cordelia dehnt sich einmal, ehe sie zu Peeta geht, der etwas abseits von den übrigen Karrieros mit dem Rücken zum Lager liegt. Bevor sie ihn wecken kann, setzt er sich bereits auf. Seine Augen funkeln im schwachen Mondlicht. Augenscheinlich hat er nicht geschlafen.

Überrascht mustert Cordelia ihn, wendet sich dann aber schweigend ab und lässt sich ein paar Handbreit neben ihm auf die trockene Erde fallen. Unter leisem Rascheln zieht sie zwei Konserven aus ihrem Rucksack und wirft eine davon Peeta zu.
Während sie ihr kaltes Mahl zu sich nehmen, schläft Marvel langsam ein. Cordelia wirft hin und wieder ein Auge auf ihre schlafenden Verbündeten, dann schaut sie hoch in die Baumkronen.

Peeta folgt ihrem Blick und schüttelt knapp den Kopf, als wolle er ihr sagen, dass sie abwarten sollen. Darauf reagiert Cordelia bloß mit Achselzucken und schiebt sich noch einen Löffel Bohnen mit Soße in den Mund. Schließlich nickt sie in Richtung der schlafenden Karrieros und hält fragend drei Finger in die Höhe.
Wieder schüttelt Peeta den Kopf und weist auf ihre Waffen, dann hoch zu Katniss und zeigt seine leeren Hände.

Eine Weile überlegt Cordelia, ehe sie mit ihrem Finger ein Fragezeichen auf den Waldboden malt und wieder zu Katniss und den Waffen deutet. Die Erde ist hart, aber man erkennt es gerade so.
Dieses Mal weist Peeta auf die im Sitzen eingeschlafene Glimmer, die den schimmernden Bogen neben sich abgelegt hat.

Meeressturm | Annie CrestaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt