Nervös wickle ich eine Haarsträhne um meinen Finger. Den gesamten gestrigen Abend habe ich zusammen mit Cece damit verbracht, Formulierungen für das letzte Interview einzustudieren. Vorbereitet fühle ich mich dennoch nicht.
Wieder einmal stehen wir im Wartebereich vor Caesar Flickermans Studio, dieses Mal alle Mentoren gemeinsam. Roan hat uns in vergleichsweise schlichte schwarze Entwürfe gehüllt, die trotzdem kein Vergleich zu unserer herkömmlichen Trauerkleidung sind. Weder Arme noch Reiche in Distrikt vier würden derart pompöse Outfits zu einer Beerdigung anziehen.
Ich glaube sogar, dass niemand daheim überhaupt Kleidung besitzt, die ähnlich hochwertig ist. Zu Trauerfeiern tragen wir einfach die besten Stücke, die unsere Garderobe hergibt. Manche Familien aus der Stadt färben ihre Sachen extra für den Anlass schwarz ein, aber das ist selten. Färbemittel sind teuer.
Unser Aufzug steht in großem Kontrast dazu. Amber und ich haben sogar jede einen Hut mit kleinem Schleier in den Haaren festgesteckt bekommen, der laut Cece vornehm wirken soll. Mich stört er nur. Dahinter verstecken kann man sich nicht, denn der Stoff reicht kaum bis zur Nasenspitze. Er teilt bloß mein Sichtfeld in irritierende kleine Karos und ich muss dem Drang widerstehen, ihn fortzuwischen. Niemand in Distrikt vier würde sowas tragen wollen.
Cece aber schlägt dem Fass den Boden aus. Zu ihrem überdimensionierten Hut, dessen Krempe so breit ist wie ein Rettungsring, trägt sie ein dramatisches bodenlanges Kleid, das dank unzähliger dunkler Glitzersteinchen bei jeder Bewegung funkelt. Mit einem riesigen Fächer versucht sie, sich eine Abkühlung zu verschaffen.
Die Luft im Fernsehstudio ist zum Schneiden dick – und das liegt nicht nur daran, dass draußen Hochsommer herrscht. Seit Cece eine der Sendeleiterinnen zur Schnecke gemacht hat, weil wir auf unseren Auftritt warten müssen, treffen sie böse Blicke der Angestellten.
„Das ist doch nicht zu fassen", murmelt Cece schon wieder. „Das sind jetzt zwanzig Minuten. So lange hab ich mein ganzes Leben noch nicht warten müssen. Das bringt den ganzen Terminplan durcheinander!"
Mindestens ebenso genervt rollt Amber mit den Augen. „Was für ein Terminplan, Cece? Falls du es vergessen hast, wir sind nur hier, weil wir keine Termine mehr haben. Für uns sind die Spiele vorbei."Unsere Betreuerin lässt ein entrüstetes Keuchen hören. „Es gibt genug zu organisieren! Nur weil wir dieses Jahr ausgeschieden sind, heißt das nicht, dass wir jetzt auf der faulen Haut liegen können. Nächstes Jahr ist ein Jubeljubiläum! Da kann man nie früh genug mit den Vorbereitungen anfangen. Gerade, wenn man es nächstes Jahr besser machen will."
Amber entgegnet nichts mehr, doch als Cece ihr den Rücken zuwendet, rollt sie noch einmal demonstrativ mit den Augen.
Ich unterdrücke ein kleines Zucken der Mundwinkel. Zum Glück bestreiten wir diesen Auftritt gemeinsam. Wenn die anderen nicht wären, hätte Cece mich wahrscheinlich längst in den Wahnsinn getrieben.Erlöst werden wir kurz darauf von der Sendeleiterin, indem sie uns zum Bühnenaufgang winkt. Die Sendung vor unserer ist mit knapp dreiundzwanzig Minuten Verzug endlich beendet. Das bringt das Lächeln auf Ceces Gesicht zurück. Lange währt ihre gute Laune allerdings nicht.
Aus Richtung des Studios kommt uns ausgerechnet Haymitch Abernathy entgegen, dessen Krawatte schlampig gebunden um seinen Hals baumelt. Abgesehen davon sieht er so gefasst aus wie selten. Sogar seine Haare sind gekämmt. Bei unserem Anblick verdunkelt sich sein Blick.
„Mussten wir etwa wegen ihm warten?", stößt Cece empört hervor.
„Ja, Schätzchen, wegen mir", fährt er ihr genervt über den Mund. „Ich hoffe, dir ist kein Fingernagel abgebrochen während der Wartezeit. Nächstes Mal lasse ich Flickerman wissen, dass er vorher dich um Erlaubnis fragen soll, wenn er die Interviews verschiebt."
Cece schüttelt schon den Kopf und setzt zu einer Erwiderung an, aber Trexler wirft ihr einen warnenden Blick zu, der sie ausnahmsweise verstummen lässt.
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Meeressturm | Annie Cresta
FanfictionDie Hungerspiele zu gewinnen ist erst der Anfang. Das weiß niemand besser als Annie Cresta, in ganz Panem nur ‚die Verrückte' genannt. Geplagt von den Geistern der Vergangenheit versteckt sie sich an der Seite von Finnick Odair vor der Welt, in der...