Epilog

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Es war das härteste Jahr meines Lebens. Morgens aufzuwachen und zu wissen, dass dein Bruder fort ist, ist schrecklich. Ich habe eine weitere Therapie angefangen. Sie hilft mir. Auch wenn sie mir nicht bei allem hilft. Mich plagen Ängste und ich habe Paranoia. Ich nehme Tabletten. Das Glück und das glücklich Sein hat mich verlassen. Ich bin nicht glücklich. Ich bin nicht traurig. Ich bin nichts. Ich laufe eintönig in der Welt herum. Ich stehe auf, mache mich fertig, gehe arbeiten, komme nach Hause, esse etwas, mache Hausarbeit und dann gehe ich schlafen. So sieht mein Leben aus. Das letzte Mal habe ich gelacht, als ich Lea kennengelernt habe. Ich träume nicht mehr und habe keinen Spaß mehr. Es kommt mir so vor, als hätte ich nie in meinem Leben Spaß gehabt. Es scheint so surreal. So unwahrscheinlich. Ich komme noch immer nicht mit der neuen Situation klar. Daniel und Gabriel versuchen mich zu unterstützen, doch sie wissen nicht wie es in mir aussieht. Sie können es nicht wissen. Sie habe keine Ahnung wie es ist, leer zu sein. Kein Verlangen nach etwas zu haben, egal ob es ein besonderes Essen ist oder eine Umarmung ist. Ich spüre nichts und ich will nichts. Und all diese Tatsachen machen mich zu einem unbedeutenden Nichts. Ein Niemand, der er es nicht wert ist, erwähnt zu werden. Ein Niemand der den ganzen Tag zu Hause ist. Der das Haus, außer für die Arbeit nicht verlässt. Daniel hat mir schon oft genug gesagt, dass ich kündigen soll oder mich beurlauben lassen soll. Das ich meine Ruhe bräuchte. Doch ich habe Angst, Angst davor in diesem Haus zu vergammeln. Ich fürchte mich davor mit diesen vier Wänden zu verwachsen, ein Teil davon zu werden und nie wieder wo anders hingehen zu können. Mein Leben ist jämmerlich, man kann es kein Leben nennen. Man kann es gerade noch als Existenz betrachten, doch das war es auch schon. Oft höre ich, dass ich mich zusammenreißen soll. Ein Tod eines geliebten Menschen mag schlimm sein, doch es geht weiter, höre ich immer öfter. Ich meine, dass mich der Tod von Jamie nicht so aus der Fassung brachte. Es war lediglich ein Ereignis, was zu meinem Zusammenbruch führte. Katrin ist tot und bekommt nie die Strafe die sie verdient hätte. Sie ist fort und es geht ihr besser als mir! Sie hat mich mehrmals hintergangen und ausgetrickst. Sie hat mir mein Leben genommen. Sie hat es bei sich und oft denke ich darüber nach, ob ich es durch meinen Tod wieder bekomme. Dieses Leben, was mir genommen wurde. Ich habe viel ertragen müssen und bin immer wieder aufgestanden. Doch das hört auf. Die Beinen werden schlapp und nach dem Hundertsten Aufstehen, können dich deine Beine nicht mehr tragen. Dann ist es vorbei und wenn du länger als ein paar Monate dort unten bist, gibt es kein Zurück mehr aus diesem Loch. Dieses sogenannte Loch, was dir deine Lebensträume und Lebenswünsche vernichtet und dich täglich an den brennenden und zerschmetternden Schmerz in dir selbst erinnert, kannst du nie wieder stopfen. DU musst anfangen zu lernen, wie du am besten damit leben kannst. Da ich momentan nicht lebe sondern dahinvegetiere, erscheint mir alles einfach nur sinnlos. Wenn ich Daniel anblicke, sehe ich nicht den Mann in den ich mich verliebt habe, ich sehe eine Erinnerung. Ich sehe wie wir damals im Hotel waren, mit meinem Bruder. Doch er ist nicht mehr da. Das einzige was mir bleibt ist die Erinnerung und die ist kostbar. Wer weiß besser als ich, die mehrmals hypnotisiert wurde, dass Erinnerungen nicht immer mit der Wahrheit übereinstimmen. Was ist wenn das alles nicht passiert ist? Wenn ich mir das alles einbilde? Diese Fragen stelle mir oft. Durch Gabriel und Daniel wird mir bewusst, dass wenigstens diese Erinnerungen wahr sind. Das ich wirklich dort war. Das ich geflohen bin. Auch wenn ich versuche wieder einen aufrechten Gang zu entwickeln, es dauert.

Ich habe versucht, die Erinnerungen zu vergessen, doch sie suchen mich in meinen Träumen wieder heim.

Ich habe versucht, die Erinnerungen auszublenden, doch ich sehe sie, jedes Mal wenn ich Daniel oder Gabriel sehe.

Ich habe versucht, mit den Erinnerungen zu leben, doch sie haben mich übermannt und mich noch verletzlicher gemacht, als das ich es ohnehin schon bin.

Ich versuche, die Erinnerungen, mögen es gute oder schlechte sein, zu akzeptieren. Ich versuche mein Leben wieder lebenswert zu bekommen. Ich möchte mit einem Lächeln aufwachen und meinem Mann erzählen können, was ich Schönes geträumt habe.

Stockwerk 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt