Kapitel 6

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Daniel

Sie stürmt an mir vorbei, ich kann sie gar nicht aufhalten. Sie düst an uns beiden vorbei, schnappt sich einen Rucksack, schmeißt das ganze Zeug fürs Verarzten hinein. Dann nimmt sie zwei Messer in die Hand und stürmt aus dem Zimmer. Gabriel wirft so schnell es geht unser Proviant in eine Tasche und dann folgen wir ihr. Sie geht in einem schnellen Schritttempo, gerade so schnell, das es anstrengend wird. Ich stehe neben ihr und blicke sie verwirrt an. Was soll das alles? Wieso redet sie nicht? Was haben wir ihr getan? Ich wechsle meine Blicke mit Gabriel, der genauso ahnungslos ist wie ich. Ich verstehe die Welt einfach nicht mehr. Ich schnappe sie bei den Schultern und drücke sie sanft an die Wand, so dass sie dort bleiben muss, aber nicht zu fest, dass ich sie verletzte.
>> Was ist los mit dir? << frage ich lautstark. Sie beginnt zu lachen.
>> Verschwindet, sofort. Sucht euch einen Unterschlupf und betet, dass ich überlebe und die Polizei euch findet.  << spricht sie sehr langsam und ruhig. Mir stehen 100 Fragezeichen im Gesicht.
>> Was redest du? <<
>> Ok, hör mir zu! Ich kann sie umbringen die anderen. Für Jamie und euch. Ok? Ich schaffe das, ich werde die andere Gruppe umbringen, wir kommen hier frei. << erklärt sie sehr von sich überzeugend.
>> Wie kommst du bitte auf die Idee, hier eine Minute zu überleben? << geht Gabriel sie an.
>> Ich hab schon getötet, ich hab meine Prinzipien schon abgestellt. <<
>> Du denkst, dass der Mann von gestern zählt? Schon vergessen? Er hat dich verletzt. << sie blickt mich irritiert an.
>> Ich rede nicht von dem Mann. Zwei Menschen habe ich schon auf dem Gewissen, beide nur für Jamie. Ich werde auch weitere schaffen. <<
Ich muss mich kurz beruhigen. Sie hat schon mal jemanden umgebracht? Mir bleibt die Luft weg, denn ich weiß, dass sie das hier eindeutig nicht gemacht hat, das bedeutet ich habe mich in eine Killerin verliebt.  Ich wende mich von ihr ab. Atme die stickige Luft ein und huste sie wieder hinaus.
>> Du bleibst bei uns, wir schaffen das zu dritt auch. Wieso solltest du alleine psychisch geschädigt werden? << wirft Gabriel zu meinen Erstaunen ein. Er hat Recht. Sie beginnt zu lachen. Langsam macht sie mir wirklich Angst.
>> Gut, dann kommt. <<
>> Nein, wir gehen zurück ins Zimmer, eine Nacht noch, davor reden wir. Über Alles. Wir müssen uns vertrauen können. << schlage ich Gabriel vor. Er nickt und führt Issy zurück ins Zimmer, welche erstaunlicherweise keinen Widerstand leistet. Ich schaue mich in der Nähe um, ob hier jemand ist. Ich betrete das Zimmer und sehe eine total fertige Issy.
>> Es liegt an den Medikamenten, sie hat Nebenwirkungen von denen. << flüstere ich Gabriel zu.
>> Lass sie uns ausfragen, jetzt wird sie singen wie ein Vogel. << meint er. Auch wenn es nicht gerade nett, geschweige denn, richtig ist, sehe ich es als Chance, dass zu erfahren was mich seit gestern so verstört. Ihr Rücken. Ich muss es wissen. Ich will sie verstehen. Ihr helfen.

>> Also, Issy wen hast du, außer den Mann gestern, noch umgebracht. << Das Verhör beginnt.
>> Ich habe die Person die Treppe hinuntergeschupst. << nuschelt sie während sie mit ihren Haaren spielt. Sie sieht mitgenommen und traurig aus.
>> Wen? << bohren wir nach.
>> Der Person die mir, dass angetan hat. <<
>> Was angetan? << sie lacht erneut auf, bei meiner Frage.
>> Als hättet ihr meinen Rücken nicht gesehen! << lallt sie. Mir fällt nicht nur ein Stein vom Herzen, eher ein Container. Sie hat sich damit selbst gerettet und ihren Bruder auch. Es war Notwehr. Dieses perverse Arschloch hat es verdient zu sterben. Einen schmerzhafteren Tod, als ein Genickbruch.
>> Wieso hat die Person das getan? <<

Sie wirkt auf einmal wach und klar. Sie blickt sich um und überlegt gerade, dann fällt ihr etwas ein.
>> Ihr habt mich unter Drogen, gestellt, damit ich rede? << fragt sie schockiert. Sie weicht zurück.
>> Nein, das waren die Nebenwirkungen der Medikamente, wir schwören. Wo sollten wir hier Drogen herbekommen? << das scheint einleuchtend bei ihr zu sein, und sie beruhigt sich ein bisschen. Gabriel starrt sie an, als wäre sie ein Zombie.
>> Was machen wir jetzt? << fragt er deprimiert, er wollte die Frage beantwortet haben.
>> Leute aus unserer Gruppe finden und Jamie. << meint Issy. Leichter gesagt als getan.

Issy schluckt ihre Tabletten und wechselt den Verband, dann gehen wir los. Wir wollen in Bewegung bleiben. Also, los. Wir gehen und gehen und biegen mal rechts und mal links ab. Dann fährt Issy auf einmal hoch.
>> Wir müssen in den dritten Stock! << ruft sie. Ich deute ihr, leise zu sein. Sie nickt und zeigt uns eine drei mit der Hand. So steigen wir die Treppen im Treppenhaus, ohne ersichtlichen Grund, in den dritten Stock. Sie wirkt so konzentriert, als würde sie jede Treppe zählen. Oben angekommen huscht ein Schatten vor der Tür vorbei. Er hat uns nicht gesehen. Issy will schauen, sie deutet uns an noch drinnen zu bleiben. Was wir eigentlich nicht einsehen. Wir folgen ihr und betreten das dritte Stockwerk. Issy redet mit jemanden. Wir atmen beide, Gabriel und ich erleichtert auf. Es ist jemand aus unserer Gruppe. Ich gehe nach vorne. Es ist ein Mann Ende 20. Er trägt eine Anzughose und ein weißes Hemd. Er sieht relativ gut, angesichts der kritischen Lage hier. Er sagt, dass es noch andere gibt fünf weitere Überlebende von unserer Gruppe. Ich bin schockiert, das wären dann 9 Lebende von anfangs 25. Ich reibe mir die Stirn. Die andere Gruppe führt mit ihren Morden. Das darf nicht so weitergehen. In einer Gruppe wie dieser sind wir jetzt sicherer. Wir folgen dem Mann, zu einem Zimmer wo die fünf Leute dort angespannt warten. Eine Frau, wird panisch, beim Öffnen der Tür. Sie beruhigt sich aber, als sie den Mann erblickt. Ich erkenne keinen wieder. Wir sollen uns setzten. Wir werden gefragt, woher wir kommen, wen wir getötet haben und so weiter. Sie sind sehr nett zu uns wir überreichen ihnen unser Proviant, dass wir es auf alle verteilen können, nur von den Medikamenten geben wir nichts ab, und sagen es auch nicht. Zu Issy´ s Sicherheit. Man kann ja nie wissen, wie die Leute hier auf eine Verletzte reagieren. Es gibt eine Frau namens Linda, ihr Sohn ist in der anderen Gruppe, zwei Männer haben ihn gestern tot gefunden. Ein glatter Schnitt durch die Kehle. Sie ist mit den Nerven am Ende. Ich bemerke wie Issy sie anstarrt, sie überlegt sich wohl, wie schrecklich dieses Gefühl sein muss, wenn man weiß dass man sein eigenes Fleisch und Blut nicht beschützen konnte. Das man niemals auf seiner Hochzeit, Freudentränen vergießen kann, und niemals den Abschluss der Schule miterleben kann. Das alles wurde dieser armen Frau genommen, sie hat nicht nur ihr Kind sondern auch ein Teil ihres Lebens verloren. Sie weint nicht, sie schreit nicht. Dennoch strahlen ihre Augen eine so intensive Trauer und Angst aus, dass ich das Bedürfnis habe sie zu umarmen und sie zu beruhigen. Ich denke aber, dass sie jeglichen Kontakt vermeiden wird, also lasse ich sie trauern. Die Matratze gibt nach, auf der ich sitze. Wir haben einen Art Kreis mit Matratzen gebildet. Issy verlässt das Zimmer. Verdammt, was hat sie sich jetzt schon wieder einfallen lassen. Ich stehe ächzend auf und gebe Gabriel ein Zeichen, dass ich es alleine schaffe.

Sie lehnt an der Wand und hat ihre Beine angewinkelt ihr Blick geht in die Ferne ohne ersichtlichem Ziel. Ich lasse mich neben sie nieder. Sie beachtet mich nicht. Sie starrt diesen einen Punkt auf der gegenüber liegenden Wand an. Ich blicke sie direkt an. Lange. Dann plötzlich, sehen mich ihre braunen Augen an.

>> Was ist los ? << flüstere ich.
>> Weißt du, ich sehe diese Frau, wie sie um ihren Sohn trauert und denke genau, gar nichts. Ich sollte mir überlegen, ob ich auch so aussehe, falls Jamie stirbt, wie ich reagieren würde. Aber das habe ich nicht und ich finde diesen Gedanken so schrecklich. <<  murmelt sie.
>> Und woran hast du denn gedacht? << erkundige ich mich.
>> An dich. << antwortet sie mit feuchten Augen.
>> Ich habe an dich gedacht, nicht an meinen sterbenden Bruder sondern an dich.  << fährt sie fort.
Es mag falsch sein, so zu denken, aber das sind die schönsten Nachrichten des Tages. Sie hat an mich gedacht.
>> Es ist doch ok. Du kannst doch nicht die ganze Zeit an ihn denken, sonst würdest du verrückt werden. << erkläre ich ihr. Sie soll sich doch nicht schämen. Sie nickt.
>> Woran hast du gedacht? << bohre ich nach.
>> Daran wie es, wäre dich zu küssen. << sie lacht bitter auf. Ich drehe ihren Kopf zu mir, dass sie mich ansieht. Ich könnte mich in ihren Augen verlieren, sie stundenlang beobachten.
>> Dann lass es uns doch ausprobieren.  << ich schmunzle bei diesen Wörtern. Nie hätte ich gedacht, dass sich das hier so entwickelt.

So sitzen wir in einem Flur, eines Hotels, wo wir gefangen genommen wurden, und wir blenden unsere Umgebung aus. Wir kümmern uns nicht darum, ob die anderen warten. Wir sind im Hier und Jetzt und das einzige, was in diesem Moment zählt ist unser Kuss. Der mit jeder Sekunde inniger wird, ich schmecke eine Träne von ihr und es ist egal, denn dieser Kuss, dieser Moment ist einfach perfekt und wird für die Ewigkeit festgehalten.

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