Kapitel 29

4.2K 246 9
                                    

Issy

Sage mir einen Zeitpunkt und ich sage dir  auf einer Skala von  1 – 10 wie groß die Schmerzen waren. Meine Kindheit war beschissen und dieser kurze Augenblick, in dem ich und Jamie endlich unser Glück gefunden hatten, wurde so schnell durch Katrin zerstört! Wenn man es genau betrachtet ist mein ganzes Leben schon verpfuscht. Was habe ich was mich hier hält? Jamie ist tot, und Daniel? Denkt ich sei tot. Es ist alles so unendlich sinnlos. Ich durchlebe meinen persönlichen Höllentrip, während draußen die Welt einfach so weiter geht. Die Menschen leben ihr Leben weiter. Sie erledigen ihren Job gewissenhaft, erwarten eine liebevolle Familie zu Hause. Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, dass die Welt aufhört sich zu drehen, nur weil ich, eingesperrt und psychisch gefoltert werde? Alles Schachsinn. Niemand schert sich um mein Leben. Damit konnte ich auch noch halbwegs klarkommen, aber jetzt wo Jamie tot ist? Ich weiß nicht. Falls ich und Daniel beide lebend hier raus kommen, wäre das schön. Aber niemals könnte man diese Lücke füllen, die Jamie verursacht. Er ist mein Bruder, ein wahrer und liebevoller Bruder. Kein Bruder der jemanden schlägt. Er hat mich immer mit Respekt behandelt und dafür schätze ich ihn sehr. Nichts desto trotz, muss ich positiv denken. Ich muss daran denken hier raus zu kommen. Dennoch beunruhigt mich die Gedächtnislücke nach der täglichen Suppe. Ich habe keine Idee was danach passiert. Gestern nahm ich mir vor, aufzupassen, habe es anscheinend aber vergessen. Heute wird es anders! Da kommt er auch schon. Er reißt die Tür auf und ich benötige mal wieder, eine gewisse Zeit um mich auf das Licht einzustellen. Ich habe das Gefühl, es brennt mir die Auge heraus. Was schlicht weg unmöglich ist. Ich setze mich hin und warte, er serviert mir die Suppe. Ich löffle sie. Es nimmt alles seinen Lauf, aber die alltägliche Gewohnheit, die alltägliche Routine, wird unterbrochen, es kommt zu keinem kurzem Smalltalk und es kommt nicht zu der Passage, wo ich alles vergesse. Wo ich mich nicht mehr erinnern kann. Es wird einfach übersprungen sehr zu meinem Missfallen. Dann knallt die Tür auf. Wer kann es anderes sein, als Katrin? Sie kommt mit einem Lächeln hinein, als wäre heute der schönste Tag ihres ganzen Lebens. Sie geht langsam und gelassen zu den Bildschirmen legt die DVD ein und setzt sich hin. Dieses Mal zeigt sie Jamie´ s Tod in Dauerschleife, sehr zu ihrem Pech, denn ich bemerke in dieser endlos wirkenden und immer langsamer erscheinenden DVD ein wichtiges Detail, kurz bevor der Film von neu beginnt, erkennt man in der rechten Ecke, einen Schuh. Einen Schuh den ich nur zu gut kenne. Er gehört Gabriel, das bedeutet, sie haben ihn gefunden. Auch wenn es keine Besserung ist, es macht es ein wenig erträglicher. Ich darf das Geschehen nicht beachten, doch einmal schaffe ich es nicht. Meine Augen blicken gebannt auf den Bildschirm. Meine Augen werden wässrig. Ich beginne gleich wieder zu weinen. Langsam und wie in Trance stehe ich auf und gehe in Minischritten auf die Bildschirme zu. Mein Finger zeigt genau auf Jamie. Dann der Mann der angelaufen kommt und ihm ersticht. Das Bild wie Jamie in sich zusammensackt, ist niederschmetternd. In meinem Augenwinkel erkenne ich etwas. Ein Mikrofon! Die Lautsprecher im Hotel, man kann von hier aus reden! Oh mein Gott. Das wäre meine Chance Daniel mitzuteilen, dass ich lebe! Das werde ich auch machen, nur muss ich warten bis ich wieder mit Chris alleine bin.

Ich wache wieder im Badezimmer auf. Das darf doch alles nicht wahr sein! Habe ich schon wieder einen Filmriss!? Ich konzentriere mich, aber nichts. Ich kann mich kein Stück erinnern. Zu meinem Glück, aber an das Mikrofon. Nächstes Mal werde ich es in Anspruch nehmen!
>> Schwesterchen, bist du bereit? << spricht Manuel zu mir.
>> Wofür denn? << frage ich nachdenklich.
>> Es wird Zeit, dass ich dir die Wahrheit zeige. Die Wahrheit über dich. Einverstanden? << ich beginne zu lachen. Soll er doch, ich weiß doch, was ich getan und gedacht habe!
>> Wenn du dich danach besser fühlst. Mach. << grunze ich ihn an.
>> Ich bin tot, ich kann mich nicht besser fühlen. Da ist nur das Gefühl von unersättlichen Durst und Hunger und eine starke Begierde nach Katrin. << er veräppelt mich.


>> Dann geh doch zu Katrin! << brülle ich ihn an.
>> Das geht nicht, zuerst musst du deine Wahrheit erfahren. Also lass dich darauf ein, dann geht es schneller. << Ich nicke seufzend. Er kommt zu mir, und legt seine Hand auf meine Stirn. Und?

>> Der nächste Patient bitte! << brüllt eine Stimme. Ich halte mir verstört die Ohren zu. Ich habe schon genug Stimmen in meinem Kopf, ich brauche keine weitere. Auch wenn mein alter Psychologe sagen würde, dass die Stimmen echt sind. Ich kann nun mal keinen Unterschied zwischen Realität und Fiktion erkennen. Da hätten wir die aggressiven Stimmen in meinen Gedanken die mir unaussprechliche Sachen zuflüstern, die ich tun soll. Manchmal kann ich den Drang, der Stimme, die Kontrolle über meinen Körper zu geben, nicht widerstehen. Dann wache ich auf. Als wäre ich in einem Tagtraum gewesen, und langsam dämmert mir dann was ich getan habe. Es ist immer anders und immer unterschiedlich schlimm. Aber anscheinend habe ich es dieses Mal wieder übertrieben. Die Stimmen verschleiern, ihre wahren Absichten, wenn ich merke was sie wirklich vorhaben, bin ich ein Zuschauer, wie mein eigener Körper Dinge anstellt die mir nicht einmal im Traum einfallen würden. Ich brülle die Stimmen an, aber sie unternehmen nichts. Sie ziehen ihr Ding durch und ich bin schuld! Ein Pfleger steht vor mir.
>> Aufstehen! << brüllt er mich an.
>> Ich bin nicht taub nur schizophren! Passen sie auf, sonst überlasse ich meinen Körper der bösen Stimme und glauben Sie mir, sie wollen nicht wissen, was die mit ihnen vorhat. << ich lache bitter und mache ihm sichtlich Angst. Ich zeige mit dem nackten Finger auf ihn.
>> Schizophrener Humor, ist geschmacklos. << antwortet er angewidert.
>> Wissen sie ich haben den Stimmen Zahlen zugeteilt. Insgesamt sind es 13. Glauben sie, dass ich 13 Stimmen unterdrücken kann? Provozieren sie mich nicht. Sonst wird es bitter enden. Das sage ich ihnen! << kreische ich und runde es mit einem kranken Lacher auf.  Das waren dann, meine letzten Worte in denen ich mich frei bewegen konnte. Eine Zwangsweste zwickt und drückt mich nun. Nur kann sie die Stimmen nicht wegschicken. Sie bleiben und wollen, dass ich ihnen Zutritt zu meinen Körper erteile. Lange habe ich sie unterdrückt doch, dass machte mich noch verrückter. Ab und zu lasse ich sie frei. Die harmloseste. Zumindest dachte ich das letztes Mal, ich bin dann im Chemiesaal zu mir gekommen, meine Partnerin mit brennenden Haaren. Sie hatte Verbrennungen dritten Grades und trägt jetzt eine Perücke. Aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich ihr doch einen Gefallen getan! Die Perücke ist tausendmal besser als ihre zuvor zottigen und ungepflegten Haare. Ich sehe die Szene vor mir. Die kreischende Melanie, mit brennendem Kopf, wie ich emotionslos auf sie hinabblicke. Der Lehrer löscht den Brand, während sich Melanie voller Schmerzen auf den Boden krümmt. Die Stimmen lachen. Damals und jetzt auch, bei der Erinnerung daran.
>> Das war nicht witzig. Ich lasse euch nicht mehr hinaus, wenn ihr solche Sachen anstellt! << nuschle ich beleidigt. Ich fühle mich hintergangen. Sie haben mich zu Dingen getrieben die ich niemals, im vollem Bewusstsein getan hätte. Deswegen sitze ich hier in meinem Zimmer und warte auf das Abendessen. Meine Hände an den Rücken gedrückt. Mit 13 verschiedenen Stimmen, die mir von Mord bis Schlägerei, jegliche erdenklichen Sachen zuflüstern. Sie versuchen es mir schmackhaft zu machen. Aber ich werde nicht so schnell schwach, nicht nach der Geschichte mit Melanie!
>> Du wirst schwach werden, niemand kann dem Zorn 13 Stimmen aushalten. << keift mich Stimme 5 oder Stimme 8 an. Sie klingen sehr ähnlich. Ich kann sie selten unterscheiden.
>> Spinnst du?! Ich klinge überhaupt nicht wie Stimme 5! << beschwert sich die wahre Stimme 8.
>> Ist ja gut! << brülle ich. Sie sollen mich in Ruhe lassen!

Ich kreische. Mein ganzer Körper bebt. Ich blicke Manuel wutentzerrt an.
>> Was war DAS?! << brülle ich hysterisch.
>> Deine Vergangenheit, da kamst du das erste Mal in eine Psychiatrie. Wusstest du, dass Melanie noch immer keine Haare hat? <<
>> Das sind Lügen. So etwas habe ich nicht getan. Niemals! Das war ich nicht. << verteidige ich mich.
>> Bist du dir da sicher? << fragt er nach.
Nein, muss ich ehrlich zu geben, es fühlte sich so real an. So lebendig, als hätte ich die Qualen wirklich durchstehen müssen. Aber wie, wie kann ich mich nicht daran erinnern?
>> Wie? Ganz einfach, nachdem du mich getötet hast, hast du eine Mauer aufgezogen, keine Stimme ist bis jetzt hindurch gekommen. Du hast dir als Ausrede für dich selbst, die Misshandlungen einfallen lassen. Als Begründung für meinen Mord. Aber es gibt keine Begründung! Ich bin unschuldig gestorben. Ich habe niemals Hand angelegt! << sagt er lautstark. Und zum ersten Mal, seit dem ich hier bin, glaube ich ihm.

Stockwerk 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt