Kapitel 46

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Flucht 1

Jamie

Das kalte Metall kühlt mich ab, ich bin zu nervös um einen klaren Gedanken zu fassen. Es geht hier um unser Leben. Wenn wir es schaffen, retten wir nicht nur uns sondern auch Issy und Gabriel. Eine Niederlage bedeutet den Tod, für einen geliebten Menschen. Und die Sache ist die, ich will ganz einfach nicht diesen riesigen Preis in Kauf nehmen. Ich will nicht schuld sein, dass andere Menschen sterben. Ich muss wehmütig an die Frau denken. Die Frau mit dem knallroten Pullover, sodass man ihr Blut nur dann erkannte, wenn man direkt vor ihr stand. Sie war von ihrem eigenem Blut überzogen. In ihren Haarspitzen klebte es und an ihren Schuhen genauso. Ich erinnere mich, wie verstört ich sie ansah, sie hatte gerade einem Mann die Kehle durchgeschlitzt und ich hatte es gesehen. Ich hasse diese Erinnerung. Sie überdeckt alles andere, was ich hier bis jetzt erlebt habe. Sie sah mich konzentriert an und lächelte, ja sie lächelte! Sie kam auf mich zu gerannt. Aus Reflex hielt ich mein Messer hoch, den Griff zu mir zeigend und die Spitze zu ihr. Sie lief direkt hinein. Ihre Augen weiteten sich, sie blickte mich mit ihren riesigen Reh Augen an die glasig wurden. Sie wechselte den Blick zwischen dem Messer, dass in ihrem Bauch steckte und meinen Augen. Ich war wie hypnotisiert. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht reden. Es war einfach nur schrecklich. Ich habe eine Frau umgebracht, natürlich nicht willentlich, dennoch zählt es und ich habe keinen blassen Schimmer, wieso ich jetzt gerade, wo wir am Fliehen sind auf diese Erinnerung zurückgreife. Doch ich tue es und es war ein Fehler. Ich brauche eine Pause. Die Luft ist stickig und staubig, ich kann habe das Gefühl das mit jedem Atemzug mein Hals trockener wird und ich immer mehr das Verlangen habe zu husten. Doch die Akustik ist hier nicht gerade perfekt für einen Hustenanfall. Ich krabble weiter, bei einer Gabelung, biege ich links ab. Es kommt ein Luftstrom, zwar kein starker aber genug, dass ich zu husten anfange, wie ein alter Mann. Daniel versucht mich zu beruhigen, doch ich muss einfach husten. Ich unterdrücke es schon eine lange Zeit. Mein Hals kratzt, es ist furchtbar. Ich höre wie das Husten immer lauter wird und ich bin mir sicher, es gelangt an die Luft, dort wo Katrin ist und sich fragt wo wir sind. Dann fliegen wir auf, dann ist es vorbei. Nur weil ich unbedingt husten muss, das Schicksal ist schon lange nicht mehr auf meiner Seite. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Stahlwand, ich liege auf meiner rechten Seite. Daniel hat gerade noch Platz um neben mir in derselben Lage nur spiegelverkehrt, er sieht mich besorgt an. Doch ich sehe in seinen Augen die Angst, gefunden zu werden. Natürlich ist sie berechtigt, die Angst. Dennoch beunruhigt es mich. Wir haben es weit geschafft, wir mussten töten dafür ich habe meine Schwester verloren und wiedergefunden um sie letztendlich wieder zu verlieren? Nein. Ich sehe es nicht ein. Ich bin nicht so weit gegangen um jetzt einen Rückzieher zu machen. Ich werde alles dafür tun, um hier lebendig raus zu kommen um Issy und Gabriel zu retten. Sie sind unsere neue Familie geworden und ich will sie beschützen. Ich hole meinen Rucksack hervor und krame darin herum, da war doch noch irgendwo eine Wasserflasche oder? Ich finde sie endlich und schraube sie auf, der Deckel fliegt auf das Metall, es ertönt ein flaches Geräusch, aber mich kümmert es nicht, ich trinke hastig aus und merke wie wohltuend es ist. Mein Husten hört auf und wir krabbeln weiter. Ich habe keine Ahnung wohin wir müssen, was auch der Hauptgrund ist weshalb Daniel vor mir kriecht. Ich merke, dass er auch überlegen muss, ich hoffe mal das er sich richtig entscheidet. Wir biegen links ab und wir merken sofort das Lüftungssystem, ein Ventilator bläst uns ins Gesicht, ich verliere die Taschenlampe und sie kracht in den Ventilator hinter uns. Das Geräusch ist atemberaubend laut und mir wird schlagartig bewusst, dass wir hier so schnell es geht hinaus müssen. Wenn Katrin nicht mein Husten oder diesen blöden Flaschenverschluss gehört hat, dann garantiert das hier. Wir krabbeln schnell weiter nur mit dem Unterschied, dass uns nun die Geräusche egal sind, die wir fabrizieren. Es geht um unser Leben. Wir sehen kein Ende und hoffen, dass es bald eines geben wird. Langsam packt mich die Klaustrophobie, ich hatte sie noch nie, aber der Schacht kommt mir immer enger vor und ich frage mich wie ich anfangs überhaupt hinein gepasst habe. Das einzige was mich beruhigt ist, dass solange Daniel nicht stecken bleibt, ich mir keine Sorgen machen muss. Auch wenn es leicht gemein klingt. Wir beeilen uns, aber es bringt reichlich wenig, wenn man nicht weiß wo ein Ausgang sein könnte. Doch in dem Moment bekommen wir andere Sorgen. Die krächzende und schrille Stimme von  Katrin durchflutet den Schacht.

>> Habt ihr wirklich geglaubt, dass ihr flüchten könnt?! Ihr seid ein Häufchen Elend, ich werde euch noch zeigen, wer hier das Sagen hat. Nämlich ich und wenn ihr auch nur  ein kleines bisschen glaubt, dass ich erbarmen haben werden, dann täuscht ihr euch erneut! << ihre Stimme überschlägt sich mehrmals, ihr ist der Zorn anzumerken. Wir müssen uns beeilen. Wir kommentieren ihre Meldung nicht und tun so als hätten wir sie nicht gehört. Als wir um die nächste Ecke biegen, sehen wir es Licht. Ich kann unser Glück nicht fassen. Ich würde am liebsten herumschreien so freue ich mich. Wir krabbeln weiter, es sind vielleicht noch fünf Meter, maximal sieben. Plötzlich spüre ich etwas kaltes an meinen Beinen. Ich drehe mich um und sehe gar nichts. Doch ich spüre etwas auf meinen Bein, als würde ein Luftzug oder so sein. Ich krieche etwas zurück und sehe eine Spalte im Schacht wo eindeutig, Luft hinauskommt. Zu spät merke ich, dass es sich nicht um Luft handelt. Meine Sinne werden beeinträchtigt. Mir wird schwindelig. Was ist das nur für ein Gas. Mir fallen die Augen zu. Ich reiße sie mir immer wieder auf. Mein Körper ist müde und schwer. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich nehme Daniel verschwommen wahr, wie er zu mir kommt. Er schaut mich irritiert an. Ich krächze das Wort „Gas“. Anscheinend reicht es, damit er versteht um was es hier geht. Ich muss zugeben, dass Katrin klug ist, sie hat alles ins Detail geplant. Daniel schiebt sich sein T-Shirt über den Mund, ob das was bringt? Ich weiß es nicht. Ich kann dem Drang nicht mehr widerstehen, ich muss einfach nur kurz schlafen. Ich lasse meine Augen zufallen. Soviel ich weiß träume ich nichts. Doch wir haben wahrscheinlich gerade unsere einzige Fluchtmöglichkeit verloren.

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