Kapitel 11

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Issy

Wir entfernen uns Schritt für Schritt von dem zerquetschten Auge. Ich will nicht einmal darüber nachdenken wie dieses Auge hierher gelangt ist, geschweige denn, wie das unter „normalen Umständen“ aus einem Kopf gelangt. Und doch überlege ich mir gerade etliche Szenarien. Nein. Nicht weiter daran denken. Tief ein und ausatmen. Ok. Wie schaut unser Plan jetzt eigentlich aus?
>> Überleben Issy. << ich schrecke bei den Worten von Gabriel auf. Hatte ich die Frage laut gestellt? Spreche ich meine Gedanken schon ungewollt aus? Ich weiß es nicht genau. Doch in meinem Hinterkopf schwebt der Gedanke an das, was heute Nacht passieren wird. Mein Tod. Ich denke an die Medikamente in meinem Rucksack. Viele Beruhigungspillen und ein, zwei Schlaftabletten. Das sollte reichen um mich ruhig zu stellen. Wie knapp das heute Früh war. Beinahe hätte mich Daniel beim Medikamenten Stehlen erwischt. Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Hoffentlich hat er mir, dass mit dem Klo abgekauft. Wieso auch nicht? Er wird es mir geglaubt haben und Aus. Wir betreten den fünften Stock. Es ist dunkel. Die Lichter sind ausgeschalten. Wir versuchen verzweifelt den Lichtschalter zu finden. Der ganze Korridor wird nur durch ein paar unerklärlichen Lichtquellen leicht erhellt. Ich taste mit meiner Hand die ganze Wand ab, ich habe keinen blassen Schimmer auf welcher Höhe der zirka ist. Dann endlich finde ich ihn, ich drücke leicht hinauf. Nichts. Es passiert rein gar nichts. Super ein Stockwerk im Dunkeln. Wir sollten verschwinden wir haben keine Taschenlampen.
>> Daniel, lass uns gehen. << zische ich ihm so leise es geht zu, dennoch hört es sich wie eine Explosion in diesem geräuschlosen Raum, an. Er nickt. Er legt die Hand auf die Klinke und drückt sie langsam hinunter. Die Tür bewegt sich keinen Millimeter. Oh Nein! Das darf nicht wahr sein! Nein. Wie konnte die jemand unbemerkt versperren? Ich bekomme Panik. Meine Klaustrophobie meldet sich. Was eigentlich sinnlos erscheint, da wir genug Platz haben, aber wir sind eingesperrt. So richtig. Wir können in kein anderes Stockwerk mehr. Als Kind war ich einmal in einem Fahrstuhl eingesperrt, in dem Gebäude hatte es angefangen zu brennen. Ich habe immer noch, das Geschehen vor Augen, wie  ganz plötzlich ohne Vorwarnung der Lift ruckartig stehen bleibt, und sich der Rauch langsam in dem Lift breitmachte. Ich bekam keine Luft mehr und hatte tierische Angst, ein Mann war schon ohnmächtig geworden und ich hustete mir die Seele aus dem Leib, in der Hoffnung, dass ich dadurch leichter atmen kann. Es half alles nichts, irgendwann bin ich auch ohnmächtig geworden. Das Nächste woran ich mich erinnern kann ist das Aufwachen im Krankenhaus. Wie sich herausstellte, hatte man in dem Gang wo der Lift hinunter und hinauffährt, ein Feuer gelegt, nur aus diesem Grund, konnte der Rauch zu uns gelangen. Das war der Auslöser für meine Klaustrophobie, mit Fahrstühlen konnte ich logischerweise nicht mehr fahren. Einmal hatte mich mein Bruder versucht zu zwingen wieder mit einem zu fahren, ich habe zehn Stockwerke am Spieß herumgeschrien. Wieder im hier und jetzt kommt es mir sehr ähnlich vor.  Meine Atmung beschleunigt sich, ich fuchtle mir mit der Hand etwas stickige Luft zu. Was die Sache noch schlimmer macht. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Lungenflügel zu einer mikroskopischen Größe verkleinert haben. Egal wie viel Luft ich einzuatmen scheine, es kommt nicht einmal ein Viertel von ihr unten an. Meine Hand liegt auf meinen Brustkorb. So eine krasse Reaktion auf so eine Situation hatte ich noch nie. Wahrscheinlich ist es eine Mischung von dem ganzen Stress den wir hier haben. Ich lasse mich langsam auf den Boden nieder. Gabriel und Daniel hantieren weiter an der Tür. Ich bekomme einfach keine Luft mehr! Wieso nicht? Was hatte mir mein Psychologe einmal geraten? Wenn ich Angstzustände bekomme, soll ich langsam von 10 hinunterzählen und mit jeder Zahl einen logischen Grund liefern, wieso meine Angelegenheit nicht gefährlich ist. Ich bekomme schon Kopfweh. 10. Ich kann mich noch frei bewegen. 9. Ich habe Daniel und Gabriel an meiner Seite. 8. Es brennt nirgends. 7. Es gibt keinen Rauch, an dem ich ersticken könnte. Bei Nummer 6, fangen meine Augen an zu tränen. Ich kann es mir nicht erklären. Was geschieht mit mir? Ich brauche eine Nummer 6. Nur was? Mir fällt nur Negatives ein. Ich weine jetzt schon. Verdammt! Dann muss es halt Hoffnung sein! 6. Wir kommen hier alle lebend hinaus. 5. Katrin wird sterben. 4. Sie wird dafür büßen, so viele Menschen auf dem Gewissen zu haben. 3. Sie wird verhaftet. 2. Sie wird mich und Jamie nie wieder belästigen. 1. Sie wird mir vergeben. Nummer 1, liegt mir sehr am Herzen. Sie muss mir irgendwann vergeben können, sie muss einfach. Ich huste weiter. Es hilft. Jeder Atemzug verringert meine Angst. Jeder Atemzug gibt mir Sauerstoff und meine Lungen nehmen ihn dankend an. Mit jedem Atemzug merke ich, wie ich mich wieder beruhige. Alles wird gut. Das ist wirklich die schlimmste Panikattacke meines Lebens gewesen. Der letzte Beweis, von meiner Panik, sind meine Augen. Sie brennen, als hätte ich mir Essig in die Augen geschüttet. Das sind nur Phantomerscheinungen, das ist einfach nicht möglich, dass meine Augen so brennen können. Nur warum hört es nicht auf. Plötzlich trifft mich ein Lichtstrahl. Ich weiche erschrocken zurück. Daniel leuchtet mich mit einer Taschenlampe an. Sein Gesicht erstarrt als er mich sieht.
>> Issy, was.. was ist passiert? << fragt er verzweifelt.
>> Kleine Panikattacke, das mit den Augen ist auch neu für mich. << ich winke es ab.
>> Wenn du meinst. << antwortet Daniel schroff. Habe ich etwas falsch gemacht? Wieso ist er auf einmal so? Ich kann es mir nicht erklären. Er gibt mir eine Taschenlampe. Ich nicke ihm nur schwach zu. Er soll nicht auf beleidigt machen. Ich leuchte auf die Ecke links von uns. Eine Wand führt nach links ich erhelle Schritt für Schritt in der Angst das ich auf einmal etwas sehen könnte was ich nicht sehen will. Bis jetzt Gott sei Dank nichts ungewöhnliches. Ich bin so erleichtert, dass ich wieder normal atmen kann. Daniel kommt zu mir und reicht mir seine Hand. Ich lege zögernd meine Hand in seine. Er drückt sie leicht. Dann zieht er mich zu ihn.
>> Es tut mir leid wegen vorhin, ich mag es nur nicht wenn du mich anlügst. << er entschuldigt sich für die Schroffheit von Vorhin? Mir wird warm ums Herz. Ich drücke leicht seine Hand, dass er versteht, dass ich verstehe. Er zaubert mir immer öfters ein Lächeln auf die Lippen. Schon bizarr, dass er bis jetzt der einzige Junge ist, der mich so glücklich macht. Aber so soll es sein. Ich leuchte mit der Taschenlampe – anscheinend haben wir zwei – an die Wände, da entdecke ich etwas. Ein Schriftzug auf der Wand in Rot geschrieben. Ich kneife die Augen leicht zusammen und kann den Text halbwegs entziffern > Willkommen, in eurer persönlichen … < wenn ich wissen will, wie es weiter geht muss ich weiter nach vorne gehen. Ich will es auch gerade machen, als ein Schrei ertönt. Wir blicken uns alle drei erschrocken um. Keiner von uns schreit sich gerade die Seele aus dem Leib. Wer dann? Ein Mann ist es sicher, wegen der Tiefe. Wir erkunden unser Umfeld. Da sehe ich die Gestalt die auf uns zu galoppiert kommt. Ja ernsthaft galoppiert. Das Wesen, nein es ist ein Mensch, galoppiert zu uns, als wäre er ein Pferd. Ich weiche verwirrt zurück. Wer ist das? Was will er? In welche Gruppe gehört er? Dann bemerke ich, dass es kein Schreien ist sondern ein sehr perverses Lachen, so eines wie es Bösewichte in Filmen immer haben. Das ganze macht mir sehr Angst. Der Mann kommt lachend weiter auf uns zu. Er trägt keine Schuhe und hat so ein Patientenkittel an, den man bekommt wenn man operiert wird. Wie ein Irrer der aus der Psychiatrie entflohen ist, hetzt der Typ haarscharf an uns vorbei. Bevor er um die Ecke biegt, dreht er sich um und blickt mich direkt an. Er ist verstummt. Kein Lachen und kein Schreien. Er grinst mich nur an als wäre ich ein neuer Gegenstand und seine Augen scannen mich. Mir wird mulmig zumute. Daniel stellt sich schützend vor mich. Dann setzt der Mann fort, er galoppiert lachend davon.

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