Kapitel 25

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Issy

Er verschwindet nicht. Er beharrt im Hier und Jetzt. Anscheinend gibt es Geister! Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass  ich mir das hier einbilde. Es fühlt sich so real und so schmerzhaft an. Gibt es Geister? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Alles deutet darauf hin, doch in meinem Unterbewusstsein, ist mir klar, welch Schwachsinn ich mir gerade zusammentexte. Kann ein Mensch, seine Klarheit und seinen Verstand so schnell verlieren? Es ist erschütternd. Ich will nur fünf Minuten, in denen ich klar sehe. In denen ich die so nah wirkende vorgespielte Fantasiewelt, in ihre eigene Unterwelt verbannen kann. Fünf Minuten, in denen ich klar denken kann? Ich muss mir eingestehen, dass das ein vergeblicher Wunsch bleiben wird. Obwohl ich das Gefühl habe, dass ich mein Gedächtnis verliere und keine weiteren Informationen abspeichern kann, wirken meine Gedanken so real und vollkommen normal. Nur das können sie schlicht weg nicht sein, da ich wie schon genannt, meinen toten Bruder sehen kann. Ich klopfe mir mit meiner Handballen auf meine Stirn. Im Rhythmus, zu irgendwelchen Geräuschen, die ich mir auch einbilde. Ich halluziniere. Ich bin verrückt geworden. Die Einsicht ist ärgerlich. Es läuft wohlmöglich genau nach Katrins Nase. Das macht mich noch wütender…
>> Denk nicht an solch banalen Dinge. Glaubst du allen Ernstes, dass du mich so los wirst. Ich begleite dich, bis du auf meiner Seite bist. In der sogenannten Hölle. Dort wird es dir gefallen. Das sage ich dir. Tausende Menschen kannst du dort quälen. Weißt du, dass man als Mörder dort Privilegien hat? Erstaunt? War ich auch. Wieso habe ich nur niemanden umgebracht, so wie du mich… Mhm, tja zu spät ist zu spät. << Ich schaue ihn böse an. Er ist hier. Er redet mit mir und beleidigt mich.
>> Wieso bist du nur so blind, was die Wahrheit angeht. << gebe ich enttäuscht von mir.
>> Wenn du wüsstest, dass dieser Spruch deine Situation beschreibt, vielleicht kannst du dann deine Augen öffnen? << Was soll das denn schon wieder?!
>> Wie oft? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du ein asoziales Arschloch warst! Du hast mich geschlagen, weil ich dir zu spät den Alkohol gebracht habe. Du hast Katrin willig gemacht, wenn sie nicht wollte. Du bist der Inbegriff des Abscheus. Weißt du was? Ich schäme mich jeden Tag, dass ich mit sowas verwandt bin. << ich spucke diese Worte mit Ekel und Hass aus. Einen kleinen Moment habe ich das Gefühl, diese Worte treffen ihn. Ich irre mich, er schmunzelt und schüttelt den Kopf.
>> Wie oft soll ich dir noch sagen, Schwesterchen, dass du eine kaltblütige Mörderin bist, die ihren eigenen Bruder die Treppe hinuntergeschubst hat. Ohne triftigen Grund! <<
>> Ohne Grund? Liegt es daran, dass nach dem Tod das Gehirn verwest, oder bist du von Grund auf so ein dummer Mensch? Soll ich dir alle Untaten aufzählen? Das Buch würde dicker werden als die Bibel, und verdammt die hat scheiß viel Seiten, dünn bedruckt. << ich brülle all diese Worte. Sie klingen nicht nur wütend sondern auch hässlich, meine Stimme wird schief, wenn ich mich aufrege.
>> Gut gehen wir sie durch. Erzähl mir ins Detail, was an dem einem Abend passiert ist, als ich dich das erste Mal geschlagen haben soll. Das ist dir doch angeblich so in Erinnerung geblieben. << er lacht verschmitzt.
>> Natürlich erinnere ich mich. Du hast mich umgehauen und mir einen Tritt versetzt. << sage ich verstört. Zu was soll das alles führen?
>> Genauer. Wo war es, aus welchen Grund habe ich dich geschlagen, was ist danach passiert? <<

Ic- Ich habe keine Ahnung! Ich schließe hastig die Augen und durchforste mein Gedächtnis, dass ja so super in letzter Zeit arbeitet. Ich konzentriere mich auf die Erinnerung. Nichts. Kann das sein? Ich werde unruhig. Wo steckt diese verfluchte Erinnerung!? Sie muss doch irgendwo sein. Ich war 11 Jahre, das habe ich mir gemerkt. Ich hatte da noch meine blau- gelbe Schultasche. Wieso hat mein Bruder mich geschlagen!? Wieso nur? Die Frage habe ich mir schon so oft gestellt, aber nie eine Antwort gesucht. Es war meisten der Alkohol, er hat ihn zum Auszucken gebracht. Das habe ich mir aber immer bis jetzt gemerkt. Ich habe mir gemerkt, wieviel er zirka getrunken hat. Damit ich die Angelegenheit besser einschätzen konnte. Nur wo verdammt noch mal ist dieses wichtige Detail. Das kann doch nicht wahr sein?! Gut durchatmen. Ich finde noch alles heraus. Ich muss nur dran bleiben… Hoffentlich. Ich überlege noch ein paar Minuten. Doch es geschieht rein gar nichts. Ich habe es vergessen. Ich habe keine Ahnung und dieses Gefühl ist schrecklich.
>> Ich kann mich nicht erinnern ich war zu jung. <<
>> Wenn du das glaubst, dann beweise ich dir das Gegenteil, gehen wir 4 Jahre in die Zukunft. Da warst du 15. Da ist deine Narbe auf deinem rechtem Oberschenkel passiert. Die Wunde musste mit 8 Stichen genäht werden. Erinnerst du dich daran? << Aber sicher doch. Das war …

NEIN. Nein, nicht schonwieder. Nein! Bitte nicht.  Immer habe ich mir gewünscht, dass ich die ganzen Taten von Manuel vergesse, nie habe ich es geschafft. Mein Bruder hat gut dafür gesorgt. Jetzt, wo ich sie zum ersten Mal in meinem Leben brauche, verschwinden sie. Sie zerplatzen wie Seifenblasen im Wind. Gerade wo man denkt, man kann sie noch erwischen, zerplatzt sie vor den Augen und mit ihr die Hoffnung auf Klarheit. Ich brauche Klarheit! Ich brauche sie dringend. Ich muss wissen, was hier mit mir passiert. Es bleibt immer eine Gedächtnislücke, nach dem Essen mit Chris. Was geschieht da? Es werden immer mehr Gedächtnislücken. Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern. Vor ein paar Sekunden hätte ich sie beantworten können. Wie ist das alles nur möglich? Wie können Erinnerungen, so schmerzhaft sie sind, gehen. Ich verstehe es nicht. Ich will  es aber verstehen. Ich muss einfach. Ich kann nicht anders. Das ist mein Rettungsanker vor dem Abgrund in die vollkommene Psychiatrie. Ich seufze. Ich komme nicht darauf. Ich habe sie verloren. Meine Vergangenheit, sie bricht Stück für Stück ab, und ich kann sie nicht daran hindern. Sie rinnt mir wie Sand durch die Finger. Ich verzweifle.
>> Möchtest du wissen wieso du dich nicht erinnern kannst? << er rückt erst jetzt mit den erlösenden Worten heraus? Ich verdrehe meine Augen. Ja.
>> Ja. << antworte ich rasch. Klär mich endlich auf! Wieso schwindet alles aus meinen Kopf.
>> Weil du dir das alles eingebildet hast. Nichts davon ist je geschehen, wenn du Verletzungen hattest, warst du daran schuld. Niemand anderes. Erinnerst du dich endlich? <<

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