Daniel
Gabriel boxt mich in die Seite. Ich werfe ihm einen Blick zu, der jede weiteren Attacken unterbinden wird. Ich habe meine Orientierung verloren. Was meinem Ego gewaltig schadet. Ich war immer stolz auf mich, mich gut auszukennen. Genau zu wissen, wo welche Straße beginnt und wo sie aufhört. Gabriel beugt sich nach vorne, damit er mich sehen kann, er schaut mich schief an. Dann breitet sich ein verschmitztes Grinsen auf seinem kantigen Gesicht aus.
>> Nein. Nein oder? Dass ich das einmal erlebe, dass Daniel keinen Plan hat, wo wir hingehen. Ich will dich ja, so vollkommen überhaupt nicht unter Druck setzen, aber es ist nicht gerade ideal für uns, deine Orientierung abzulegen. Wie kommt es? Du hast doch den Titel ‘Menschliches Navigationsgerät‘, immer mit Stolz und Würde herumgetragen. Gib nicht auf. <<
>> Gabriel? <<
>> Ja? <<
>> Ich klatsch dir gleich eine. << antworte ich schroff.
>> Was ist los mit dir? Was bist du nur so unfassbar zickig? <<
Bis vor ein paar Tagen, wäre es mir unvorstellbar gewesen, Gabriel eine zu scheuern, mir wäre nicht einmal ein Grund eingefallen. Nun ja, ein wesentlicher und sehr überzeugender Grund, wären genau diese Worte. Ich bleibe stehen und versperre ihm den Weg. Ich habe keine Zeit meine Wut zu zügeln, sie bricht aus mir heraus.
>> Wieso? Weshalb ich zickig bin?! Das ist eine ernste Frage? << keife ich ihn an. Er nickt überrascht. Ich stoße ihn von mir weg. Er taumelt ein Stück nach hinten.
>> Weil meine Issy, tot ist! Geht das nicht in deinen verpeilten, abnormal kleinen Kopf hinein? Ich habe sie verloren, sie wurde mir weggenommen. Ich konnte sie nicht beschützen. Ich habe sie sterben lassen. Ich trage Schuld daran. Wieso, verstehst du das nicht? << meine Stimmlage schwankt zwischen schrill und schief. Einmal stoße ich ihn noch von mir. Darauf reagiert er gereizt.
>> Was denkst du bitte? Dass ich nicht weiß wie du dich fühlst? Zur Info, ich kannte Issy auch. <<
>> Was soll das denn bedeuten? Du hast keinerlei Ahnung. Es ist ein klaffendes Loch im Herzen. Du kannst es nicht verstehen, weil du niemanden je so geliebt hast! << schreie ich ihn mitten ins Gesicht. Er spannt seinen Kiefer an, kurz denke ich, er schlägt mich, doch dann füllen sich seine Augen mit Tränen. Was? Was soll das denn werden. Wieso flennt er jetzt?
>> Ich habe noch nie jemanden geliebt? Kannst du dich an das Mädchen erinnern, dass bei dem Autounfall gestorben ist? Als sie bei mir im Auto saß? << quetscht er hervor. Ich nicke verwirrt.
>> Sie war nicht mein One-Night-Stand. Ich war mit ihr zusammen. Seit ein paar Wochen. Ich habe sie über alles geliebt. Dann stritten wir uns, ich verlor den Überblick, was auf der Straße geschah. Wir krachten in einen Baum, sie war nicht angeschnallt und flog durch die Windschutzscheibe. Ich habe sie umgebracht! Daniel, hätte ich auf den Verkehr geachtet würde sie noch leben! Also erzähle mir niemals, dass ich keine Ahnung hätte, wie es sich anfühlt jemanden zu lieben. Geschweige denn, wie es sich anfühlt, seine Liebe zu verlieren. Issy hat sich dazu entschieden ihr Leben zu nehmen. << mich treffen all diese Worte so überraschend. Die letzten Monate trug er, diesen Schmerz mit sich herum. Wieso hat er mir nicht erzählt, dass sie seine Freundin war. Was wäre so schrecklich gewesen, es seinem besten Freund zu erzählen? Ich hätte ihn unterstützt. Ich wäre für ihm da gewesen. Spätestens jetzt, weiß ich wie erbarmungslos die Trauer um einen geliebten Menschen ist. Es kommt mir so egoistisch vor, dass ich die ganze Zeit nur an meine Gefühle denke. Gabriel ist auch ein Mensch, er hat auch Gefühle und er empfindet auch Trauer. Umso schrecklicher, dass mir das in der Zeit unserer Freundschaft entgangen sein soll. Ich umarme ihm freundschaftlich und klopfe ihm unbeholfen auf den Rücken. Er nickt und nickt. Nun verstehe ich es. Ich weiß, dass er auch Leid erfahren hat und zusammen mit mir gerade erfährt. Er wischt sich die Tränen weg und wir entscheiden uns in den siebten Stock zu gehen, wie vereinbart. Hoffentlich hat es Jamie geschafft. Hoffentlich suchen sie uns nicht. Wir gehen schweigend nebeneinander, während ich darüber nachdenke, was für ein beschissener Freund ich war, und wie das je wieder gut machen kann, denkt Gabriel offenbar an gar nichts. Ein kleiner Teil von mir, beneidet ihn dafür, dass er seine Gedanken einfach abstellen kann. Nach Wunsch und nach Belieben. Aber es ändert nun mal nicht die tiefe Traurigkeit, die sich bei ihm verankert hat. Es ergibt jetzt Sinn. Das ganze witzige Getue, ist seine persönliche Art, mit dieser Situation zurechtzukommen. Gewissermaßen, bin ich auch froh, dass er genau so ist, denn wenn wir einen zweiten Daniel hier hätten. Könnte man vorlauter Mitleid und Schmerz keinen Morgen mehr sehen. Die Stimmung war, nein sie ist, durch ihn angenehmer. Es macht alles erträglicher. Wir steigen Stufe für Stufe, Absatz für Absatz und Stockwerk für Stockwerk hoch. Man sollte meinen, dass man seine Kondition ein wenig, aufbaut in dieser Zeit hier, es fühlt sich leider wie das komplette Gegenteil an. Ich bin außer Puste und muss mich am Geländer abstützen. Kaum erreichen wir endlich den siebten Stock, bin ich am hyperventilieren. Niederschmetternd ist das hier, meine nicht gerade hart trainierte Ausdauer verschwindet einfach. Gabriel stoßt die Tür auf und wir erreichen unser Ziel. Das siebte Stockwerk, gleicht den anderen, gelblich-weiße Wände, abnormal hässliche Topfpflanzen, die in einem viel zu klein wirkenden Topf niedergelassen sind und der miefende Teppichboden. Die Leichen und die blutverschmierten Wände und die Verrückten muss man von diesem Stock abziehen. Gott sei Dank. Dennoch lässt mich das nagende und beunruhigende Gefühl nicht los. Hier wartet etwas auf uns. Mein Bauchgefühl enttäuscht mich nicht, Gabriel und ich biegen nach links ab und erkennen wehmütig unsere erste Überraschung. Das Ganze ist so absurd, dass ich zu lachen beginne. Wie konnte das passieren?! Während ich meinen Schock mit aufgesetzten Lachen verarbeite, geht der blutüberströmte Jamie in die Knie. Seinen Blick stets auf mich gerichtet. Gabriel eilt ihm zu ihm. Ich kann nur daran denken, ich habe versagt. Ich habe die wichtigste Priorität von Issy nicht eingehalten. Ich habe sie enttäuscht und damit auch mich selbst.
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Stockwerk 5
TerrorEs sind 50 Entführungsopfer, zwei Gruppen, eine sadistische Psychopatin und ein Wettlauf ums Überleben. Die zwei Gruppen werden auf die Probe gestellt. Wer kann seine Menschlichkeit abschalten und helfen eine geliebte Person zu töten? Wer ist dazu i...