Kapitel 62 - Wieder Ärztin

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Keira

„Oh Gott, leben sie noch? Sebastian, überprüfe sofort den Puls. Wenn du nur das geringste Anzeichen erkennst, dass sie noch leben, bin ich sofort da.“, sage ich zu Sebastian. Dieser geht sofort zu den regungslosen Körpern. „Nein, Keira. Das lasse ich nicht zu. Du bringst nicht nur sie in Gefahr, sondern auch dich. Bleib wo du bist.“ „Sebastian, das geht doch nicht! Ich bin Ärztin, ich kann ihnen helfen. So unterschiedlich wird unsere Anatomie nicht sein. Da lasse ich absolut nicht mit mir verhandeln.“, sage ich resolut. Durch meine Adern fließt schnell das Adrenalin und dennoch bin ich vollkommen ruhig. Eine Fähigkeit, die ich mir während meiner Ausbildung antrainiert habe. Panik und Unruhe führt nur zu Fehlern.

Sebastian muss gar nichts sagen. Ich spüre seine Erleichterung durch das Band. Sie leben noch, beantworte ich mir selbst seine Reaktion. „Ich bin sofort da.“, hauche ich und trenne bewusst die Verbindung, damit ich Sebastians Widerworte nicht hören kann. Er kann sowieso sagen was er will. Ich werde kommen und alles tun, um Apurva und Schwester Glanz zu retten. Bei Apurva tue ich es, weil sie mir selbst schon geholfen hat. Bei Schwester Glanz... nun ja, es gibt immer Patienten, die man nicht mag. Aber sie hat genau das gleiche Recht wie alle andere auf eine Behandlung. Ich würde nicht einmal auf den Gedanken kommen, sie nicht zu behandeln, nur weil ich sie nicht leiden kann.

Ich hauche Aurora einen Kuss auf die Stirn und erkläre ihr, dass die beiden Männer meine Hilfe brauchen. „Sind sie verletzt? Geht es ihnen gut?“, fragt das kleine Mädchen viel zu scharfsinnig für ihr Alter. Ich versichere ihr schnell, dass das nicht der Fall ist und gebe ihr Anweisungen, nicht an die Tür zu gehen falls es klingeln sollte. „Bleib einfach wo du bist. Ich bin so schnell wie möglich wieder da. Okay?“ Sämtliche Angst von vorhin verschwindet aus ihren Augen und sie wird vor meinen Augen geschätze 5 Jahre älter.

Ich drücke sie noch einmal ganz fest und renne dann aus dem Haus. Mit Verspätung wird mir klar, dass ich zur falschen Tür raus gerannt bin. Statt aus der Hintertür zu gehen, komme ich auf der Straße heraus und renne prompt in jemanden hinein.

Ich weiß wer es ist, bevor ich den Kopf heben kann. Dr. Klaus, der Herzchirurg. „Was machen Sie denn hier?“ Sein vorher ernstes Gesicht verwandelt sich in ein sympathisches Lächeln. Doch ganz anders wie damals im Krankenhaus, berührt es mich nicht. Natürlich ist es noch immer ein auffallend attraktiver Mann und dennoch kommt er mir verändert vor. Als ich vor einer gefühlten Ewigkeit meinen ersten Arbeitstag hatte und von ihm die Tür des Männerklos an den Kopf geknallt bekommen hatte, wäre ich am liebsten in Ohnmacht gefallen. Meine Sinne hatten damals ähnlich stark auf ihn reagiert, wie auf Sebastian. Und jetzt: nichts. Ob das wohl mit meiner Entscheidung zu tun hat, der übernatürlichen Welt beizutreten? Beziehungsweise ein fester Bestandteil dieser bisher unbekannten Welt zu werden?

„Das kann ich auch Sie fragen. Wo waren Sie denn die ganze Zeit? Alle haben sich Sorgen um Sie gemacht!“, fragt er lächelnd, mit keiner Spur Vorwurf in seiner Stimme. „Ich war... bin krank. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich muss dringend weiter. Ihre Verlobte, Schwester Glanz wurde verletzt. Bitte bleiben Sie ruhig. Ich werde mich darum kümmern. Bleiben Sie am Besten hier, oder noch besser, gehen sie in das Haus zu Aurora. Sie kennen Sie bereits. Warten Sie dort auf mich.“, gebe ich schnell aber sachlich Befehle. Ich könnte jetzt keinesfalls einen Sterblichen in dem Gruselhaus gebrauchen. Was noch erschwerend hinzu kommt: er ist der Verlobte von einer der Verletzten. Selbst der beste Arzt kann bei solch einer persönlichen Belastung nicht arbeiten und stört letztendlich nur. Das Gesicht von dem Herzchirurg erblasst gefährlich. „Sie ist verletzt? Wer hat sie gefunden?“, Entsetzen missstaltet seine Stimme. „Dafür ist jetzt keine Zeit. Gehen Sie zu Aurora und warten Sie dort. Ich werde Sie so schnell es geht benachrichtigen.“, sage ich im routinierten Tonfall. Wie oft habe ich das wohl schon in meinem Leben zu wartenden Angehörigen gesagt? Nur bei einem kann ich mir sicher sein. Ich habe es zu lange zu niemanden mehr gesagt.

The HospitalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt