Kapitel 20 - "Ist es etwa er?"

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Missmutig stochere ich in meinen Nudeln herum. Aurora neben mir löffelt glücklich ihren Schokoladenpudding und scheint schon gar nicht mehr an die Geschehnisse von gerade eben zu denken. Wäre Apurva nicht dagewesen und hätte den Kampf gestoppt, was wäre dann wohl noch passiert. Oder welche Frage vielleicht besser geeignet wäre: Was wäre nicht passiert!?

Wäre das kleine Mädchen neben mir dann immer noch am Leben? Bei dem Gedanken zieht sich bei mir alles zusammen. Schnell schaue ich auf den braunen Lockenschopf, um mich selbst zu beruhigen. Es ist ja nicht geschehen. Gott sei Dank.

Obwohl, kann man überhaupt „Gott sei Dank sagen“? Irgendwie bezweifle ich stark, dass diese Mächte, von denen ich solange nichts wusste (oder verdrängt hatte?), etwas mit Gott zu tun haben. Nachdem was ich bisher davon mitbekommen habe, sind diese Mächte eindeutig etwas Dunkleres und weltlicheres.

Und ich bin mitten hinein gestolpert. Ich könnte ja jetzt sagen, typisch ich, aber das ist es nicht. Überhaupt nicht. Mein Leben lang habe ich immer versucht, mich aus den meisten Dingen herauszuhalten. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich wäre doch immer der Außenseiter gewesen. Meine Geschichte verbreitete sich stets wie ein Lauffeuer, überall wohin ich ging. Keine Ahnung woher die Leute es immer schon wussten, aber so war es nun einmal. Und das machte es mir unheimlich schwer, irgendwo Anschluss zu finden. Irgendwann gab ich auf, und blieb für mich allein.

Wie auch die Jahre vorher frage ich mich, wie das alles so hätte schief gehen können. Und noch immer weiß ich keine Antwort. Gähnende Leere.

Ich redete mir ein, dass es so besser so wäre, wenn ich keine Freunde hatte. Wenn man niemanden an sich heran ließ, konnte auch niemand einen verletzen. Doch irgendwie, hatte ich seit ich dieses Krankenhaus betrat, meine Prinzipien gebrochen. Und was hat es mir gebracht? Tjaha… dummerweise nichts Gutes. Ein einziges großes Gefühlchaos sowie Probleme und Schwierigkeiten, so weit das Auge reicht.

Eine warme Hand legt sich auf meine, welche die Gabel hält und unentwegt die Nudeln hin und her schiebt. „Hey, alles in Ordnung? Wenn du so weiter machst, entsteht bald ein Spaghetti-Tornado!“, sagt Dr. Klaus, der Herzchirurg. Gegen meinen Willen muss ich Lachen und ich merke, wie eine kleine Last von meinen Schultern abfällt. „So gefällst du mir schon besser. Warum schaust du immer so böse? Dein Morgenmuffel-Gen, kann es ja nicht mehr sein, es ist schon…halb eins.“

„Tja, nein, du hast Recht. Es ist wirklich keine Morgenmuffel-Zeit mehr.“, antworte ich und schaue den gut aussehenden und erfolgreichen Doktor an. Seine Augen schauen zurück und strahlen Besorgtheit und Fürsorge aus. Schnell wende ich meinen Blick wieder ab und beobachte stattdessen Aurora, wie sie ihre Schüssel auskratzt, obwohl eigentlich gar nichts mehr darin war. Außerdem versuche ich zu ignorieren, dass seine warme Hand noch immer auf der meinen lag und eine wohltuende Wärme durch meinen Körper fließen lässt.

Siehst du, das hat man davon, wenn man sich mit anderen einlässt, flüstert eine böse Stimme in meinem Kopf. Ich seufze und schließe kurz die Augen. Dann ziehe ich meine Hand unauffällig aus seiner.  Die Wärme verschwindet sofort. Ich nehme Aurora die Schüssel sanft aus der Hand. „Aurora Schatz, es ist kein Pudding mehr in deiner Schüssel. Du kannst noch so sehr kratzen, es wird nichts mehr aus der Glasschüssel zu holen sein.“ Sie verzieht enttäuscht das Gesicht und seufzt ganz ähnlich, wie ich es vor ein paar Sekunden getan hatte. „Ja, aber ich habe noch solchen Hunger!“

„Wenn du Hunger hast, dann kannst du gern noch meine Spaghetti essen“, sage ich und schiebe meinen Teller zu ihr rüber. Sie beäugt ihn aber nur kritisch. „Was ist das gleich noch mal?“ „Spaghetti mit Tomatensoße.“ Noch immer starrt sie auf die Nudeln, als würden sie gleich aufstehen und einen Cha-Cha-Cha auf dem Tellern tanzen. „Ich habe so etwas noch nie gegessen. Schmeckt das denn gut?“ „Ich kann dir leider nicht sagen, ob es dir schmeckt. Um das heraus zu finden, musst du sie schon kosten. Aber mir schmecken sie gut!“ Aurora rümpft kurz die Nase und nimmt dann ganz vorsichtig die Gabel in ihre Hand. Sie piekst die kleinste Nudel auf, die sie finden kann und führt sie langsam zum Mund. Vorsichtig kaut sie und ich kann förmlich sehen, wie sich der Geschmack auf ihrer Zunge ausbreitet. Simultan hebt sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht.

The HospitalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt