Kapitel 64 - Abschied

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Ich springe auf. Die schnelle Bewegung tut meinem Kreislauf alles andere als gut und sofort sehe ich wieder dunkle Punkte vor meinen Augen tanzen.

Mein Herz rast. Das kann nicht sein. Aurora ist weg? Ich habe die doch kaum eine halbe Stunde allein gelassen. Wo kann sie nur sein?

Sebastian ist ebenfalls schnell aufgestanden. Er hält mich fest, sodass ich nicht umkippe. „Lass mich los. Such nach ihr.“, wispere ich, während ich gegen das Schwindelgefühl in meinem Kopf ankämpfe. Ich spüre Sebastians Zögern. Schließlich findet er einen Mittelweg: Kurzerhand hebt er mich auf seine Arme und marschiert schnurstracks mit mir ins Haus.

Gerade, als wir die Tür öffnen hören wir Eric schreien: „Scheiße! Bring sofort Keira hier weg!“ Aber es ist schon zu spät. Wir stehen an der Türschwelle und ich atme ein, um zu fragen: Warum sollst du mich wegbringen?, als ich den Grund für Erics Geschrei rieche: Blut.

Sofort werde ich vollkommen vom Blutrausch eingenommen. Ich kann nur nach an reißendes, nachgebendes Fleisch unter meinen Zähnen und an all die anderen Dinge denken, die mir unter anderen Umständen heftige Übelkeit verursacht hätten. Jetzt aber bin ich ein Vampir. Zwar noch kein vollständig entwickelter, aber dennoch mit allen dazugehörenden Sinnen und Fähigkeiten ausgestattet.

Und mein innerer Vampir hat höllischen Durst. Seit dem Biss von Apurva vor 7 Tagen habe ich nichts mehr zu mir genommen als ein paar Schlucke Marve. Wäre ich ein Mensch, hätte es mich schon längst umgebracht. Als zukünftiger Vampir gehört es jedoch zu meinem Verwandlungsprozess, nichts zu mir zu nehmen. Menschliches Essen hat keine Bedeutung mehr für mich. Blut ist das Einzige, dass ich haben will. Dummerweise ist es auch genau das, was mich umbringt, wenn ich es trinke.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf renne ich wie ferngesteuert den Weg zu der Quelle des Blutes. Nur ist es mir egal, dass ich sterbe, wenn ich Blut trinke. Der Blutdurst hat jeden Überlebensinstinkt ausgeschaltet. Meinetwegen sterbe ich, aber erst nachdem ich das köstliche Blut getrunken habe. Ich bemerke, wie mein Oberkiefer sich schmerzhaft verschiebt. Die verlängerten Eckzähne schieben sich durch meinen Kiefer und verdrängen meine menschlichen Zähne, die für das Blutsaugen vollkommen nutzlos sind.

Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bestehe nur noch aus Verlangen zu Blut. Mein gesamter Körper ist angespannt, aus meiner Kehle kommen knurrende Laute. Eine Warnung an jeden, der sich zwischen mich und meine Beute stellt.

Meine Beine bewegen sich immer schneller, als ich durch das Haus stürze. Hinter mir höre ich Schritte. Eine Stimme, die meinen Namen ruft. Ich ignoriere die Stimme, aber die mich verfolgenden Schritte reizen mich. Will dieser jemand mich aufhalten, oder will er mir die Beute streitig machen? So oder so, er ist mir in der Quere. Ich knurre noch lauter als Warnung an meinen Verfolger. Doch entweder ist sie lebensmüde oder taub. Ich tippe auf das Erste, denn ich spüre, wie eine Hand nach mir greift und mich zurück ziehen will.

Keine Chance. Ich fühle mich unbesiegbar, weil der Drang, dieses Blut zu trinken, übermächtig ist. Ich weiß, dass mich kaum etwas aufhalten kann. Lässig schüttele ich die Hand ab. Die Wohnung verschwimmt vor meinen Augen, während ich durch sie hindurchrase wie ein Schnellzug.

Der Geruch des Blutes wird immer stärker. Endlich sehe ich meine Beute: ein blonder, gutaussehender Mann. Das köstliche, rote, dickfließende Blut verteilt sich kontrastreich auf den weißen Küchenfliesen. Ich knurre und fauche laut. Da ist schon ein anderer, der mir die Beute streitig machen will. Ein verdammt großer und bulliger Vampir. Er beugt sich über den leblosen Körper.

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