Kapitel 17 - Aurora

1.1K 56 2
                                    

Missmutig schmiss ich die Akte auf den Tisch und schaute zu meiner Begleitung alias Babysitterin alias Assistenzärztin Glanz alias Schwester von dem Giftdrachen Nummer eins. Grrrrr! Ich hätte heute morgen doch liegen bleiben sollen.

4 Patienten hatten wir schon schweigend abgearbeitet und waren nun auf dem Weg zum Nächsten. Das ich irgendwann an diesem Tag noch zu Zimmer 232 musste, ignorierte ich gekonnt. Während der Behandlungen hatte mich Dr. Glanz immer wieder schweigend von der Seite gemustert. Mir war so, als spüre sie genau, dass ich sie in diesem Moment nicht ertragen konnte. Ich kann ja auch nichts dafür, dass ich in diesem Moment so reagiere. Aber ich kann meinen Missmut über diese Situation einfach nicht herunter schlucken. Wie zum Teufel habe ich es nur geschafft innerhalb von ein paar Tagen mein Leben so auf den Kopf zu stellen? Der erste Arbeitstag war ja die Hölle schlechthin gewesen. Krampfhaft versuchte ich die Gedanken wieder aus meinem Kopf auszusperren. Ich wollte meinem Aufpasser keinen Grund geben, mich nach Hause zu schicken. Dort würde mir erst recht die Decke auf den Kopf fallen.

Und wie zur Hölle habe ich es geschafft in den ersten Arbeitstagen ausgerechnet den Verwandten und Freunden von Schwester Glanz zu begegnen? Missmutig seufzend lugte ich beim Gehen auf die nächste Krankenakte. Wer bitteschön hatte dieses Krankenblatt ausgefüllt? Das sind ja nur Hieroglyphen. Wer kann das denn entziffern? Abrupt bleibe ich auf dem Gang stehen, um das Blatt besser lesen zu können.

„Umpfff“, machte ich, als mir jemand in den Rücken lief. Oder besser gesagt in meine Beine. Es war kein besonders heftiger Zusammenstoß. Aber es hat dennoch ausgereicht, um heiße Wut aufflackern zu lassen. Schnell streckte ich meinen heißen Kaffeebecher von mir, um die brühend heiße Flüssigkeit nicht abzubekommen. Der Kaffee schwappt durch die ruckartigen Bewegungen hoch, bleibt aber innerhalb des pappigen Gefäßes. „Entschuldigung.“, piepst eine Stimme hinter mir. Wut strömt weiter in mir hoch. Kann man nicht einmal die Augen aufmachen und schauen wohin man läuft? Ich drehte mich um, und wollte meinen Ärger gerade freien Lauf lassen. Als ich dann aber diese großen, braunen Rehaugen sah, konnte ich nicht anders. Meine Wut schmolz dahin wie der Schnee in der heißen Augustsonne. Die kleinen braunen Löckchen standen wirr von dem kleinen Kopf ab. Das Gesicht sieht ziemlich blass aus, befand ich im Stillen. Noch immer schaute das kleine Mädchen, meine Reaktion ängstlich abwartend, zu mir hoch. Als mein Blick auf einen kleinen blutigen Verband an ihrem rechten kleinen Finger fällt, hocke ich mich sofort hin und nehme die Verletzung in Augenschein.

„Guten Morgen! Ich bin Dr. Emmrich und wie heißt du?“ Prüfend musterte sie mich, als befürchtete sie noch immer, ich würde sie ausschimpfen. „Keine Sorge, es ist nichts passiert. Schau.“ Langsam hebe ich meinen Kaffeebecher hoch und halte ihn ihr vor die Augen. „Nichts ist verschüttet. Es ist nichts passiert.“ Ihre Augen wandern an dem Pappbecher entlang, als suchen sie Kaffeetropfen, die daran herunter laufen. Ich drehte und wendete das Gefäß hin und her, um meine Aussage zu unterstützen. Irgendetwas an diesem Anblick scheint sie wieder aufzuheitern, und ein Lächeln zieht sich über ihr kleines Gesichtchen. Dabei werden Grübchen auf ihren Wangen sichtbar.

Der letzte Funke Wut schmolz dahin. Wie kann man von einem so kleinen Geschöpf nicht fasziniert und gerührt sein? Die Kleine ist purer Zucker. „Wie heißt du?“, frage ich sie noch einmal. „Aurora“, sagt sie und schien dabei ganz stolz zu sein. „Das heißt Morgenrö- Morgenrö…“, überlegte sie. „Morgenröte?“, helf ich ihr nach. Fröhlich nickt sie und ihre braunen Löckchen wippen hin und her.

„Das ist aber ein hübscher Name. Aurora, die Morgenröte“, sage ich und sehe befriedigend wieder die zwei kleinen Grübchen, die sich in ihre Wange graben. „So sag mal, was hast du denn an deinem Finger gemacht?“ Das Lächeln verschwindet und kleine Sorgenfalten erscheinen auf ihrer Stirn. „Ich war ungeschickt.“, sagt sie leise und ich muss mir das Lächeln verkneifen, da es so erwachsen klingt, wie sie es sagt. „Du warst ungeschickt? Mmh, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, das passiert jedem Mal. Ich bin auch oft ungeschickt.“ „Wirklich?“ Ich nicke und schiebe meinen Pony zur Seite, sodass die kleine Wunde an meiner Stirn sichtbar wird. „Oh. Das hat sicher weh getan“, flüstert sie leise und streicht mit ihrem unverletzten Zeigefinger neben der Wunde entlang. „Ja schon. Aber das verheilt wieder. Wie alle Dinge.“ Ein seltsames Gefühl durchstreift mich, als ich dies sagte. Mit Bestimmtheit konnte ich sagen, dass es stimmt. Auch die schrecklichen Erlebnisse in den letzten Tagen vergehen. Zumindest nach einer bestimmten Zeit.

The HospitalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt