Kapitel 6 - Dr. Fischer

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Besorgt stehe ich am Bett und schaue auf den schlafenden Mann hinunter. In diesem Augenblick sieht er noch schmächtiger und kränker aus.

Wieso um Himmels willen ist der Assistenzarzt vorhin bewusstlos umgefallen? Das Blutbild und alle anderen üblichen Tests zeigen keinerlei Auffälligkeiten. Ein bisschen Schuldgefühle habe ich ja schon, weil ich ihn zunächst auf dem Boden habe liegen lassen. Aber die Beruhigungsspritze hatte sich die Verwirrte jetzt definitiv verdient. Meiner Meinung nach hatte das Vorrang. Die verwirrte Frau hatte sogar zugegeben ihn gebissen zu haben, und war auch noch stolz darauf! Die ist definitiv krank! Ich muss mir unbedingt noch die Akte anschauen. Wenn jemand in die Psychiatrie gehört, dann sie! Ich musste an ihr Gelächter denken. Noch gruseliger war aber ihre Aussage: „Das ist Nummer eins“ Was meinte sie damit? Konnte man überhaupt einen Cent darauf geben, was sie sagte? Bestimmt nicht! Oder?

Eigentlich ist es nicht unüblich, dass die jungen Ärzte während der Arbeit umkippen. Viele gehen über ihre körperlichen Grenzen hinaus. Sie verzichten auf Trinken und Essen, um sich einen Vorsprung zu erarbeiten, während ihre Mitstreiter in der Cafeteria sitzen. Dubiose Pillen tragen dann das Ihre bei. Eigentlich sollten es die angehenden Ärzte besser wissen. Paradox, ich weiß. Leider muss ich zugeben, dass ich auch zu den Strebern gehört habe, die so manches Essen versäumt haben. Bei mir war es aber kein Vorsatz, um mir einen Vorteil zu verschaffen. Ich bin einfach zu vertieft in dem gewesen, was ich tat.

Es war keine böse Absicht den angehenden Arzt auf dem Boden liegen zu lassen. Aber die Rothaarige hatte sich ja um ihn gekümmert und ich stand immerhin daneben. So schlimm wird es schon nicht sein! Mach dich nicht verrückt!, versuchte ich mir einzureden. Mich ließ aber das nagende Gefühl nicht los, dass ich etwas sofort hätte machen müssen. Komischerweise ist er bis jetzt auch noch nicht aufgewacht. Normalerweise dauert dieser Kreislaufzusammenbruch nicht lang. Die Assistenzärzte werden dann kurz an den Tropf gehängt, um den Körper die fehlende Flüssigkeit zu geben. Eine Pause und noch etwas kleines Essen und das ganze hat sich wieder erledigt. Meistens drängen sie nach 5 Minuten schon wieder aufzustehen, um den mühevoll erarbeiteten Vorsprung nicht zu verlieren. Aber nicht in diesem Fall. Er liegt da wie ein Stein. In meinem Kopf ratterte es derweilen heftig. Was könnte die Ursache sein? Habe ich irgendetwas übersehen? Mein Kopf fing wieder stark an zu schmerzen. Wahrscheinlich eher zu rauchen. Zu viel Belastung- Error Error! Während ich so dastand und immer wieder die Symptome durchging, öffnete sich die Tür. Doch ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich es nicht hörte. Ich zuckte leicht zusammen als ich die Stimme von Dr. Fischer vernahm: „Ach hier sind Sie also! Sie wurden schon von einer Schwester als vermisst gemeldet“ Als ich bemerkte, dass es nur der Stationsarzt war, lächelte ich ihn an. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, welche Schwester das gewesen war. Langsam ging mir diese Person echt auf den Wecker! „Tut mir Leid! Ich habe gerade nachgedacht… ob ich-“, fing ich an, doch Dr. Fischer viel mir ins Wort: „Ob sie etwas übersehen haben? Machen Sie sich etwa dafür verantwortlich, dass der junge Mann neben Ihnen umgefallen ist?“ Ich schüttelte langsam den Kopf und rieb mir die Schläfen. Meine Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. „Ja- nein. Na ja… vielleicht ein bisschen.“ Mitfühlend legte er mir eine Hand auf den Arm. „Das müssen Sie wirklich nicht. Es ist nichts besonderes, das so etwas passiert! Wir erleben so etwas mehr als einmal in zwei Monaten. Die älteren Jahrgänge warten sogar nur auf diese Vorfälle! Es ist eine beliebte Wette geworden, wer wie oft umklappt! Auch ich habe dadurch schon so manches hübsches Sümmchen gewonnen“ der Arzt zwinkerte er mich zu. Verwirrt schaute ich ihn an. Ich war nicht verdattert über die abgeschlossenen Wetten. Das war wirklich durchaus normal. Auch dass die Auszubildenden Ärzte ihre körperlichen Grenzen nicht kennen ist schon fast alltäglich.  Es war die mitfühlende Hand, die sich auf meinen Arm gelegt hatte. Bisher hatte ich den alten Mann als grimmig und unnahbar eingeschätzt. Dr. Fischer lächelte, als er meinen Blick bemerkte. „Nein, ich bin nicht der griesgrämige Alte, für den mich alle halten. Tatsächlich kann ich auch recht mitfühlend sein. Ich pflege mit fast allen Ärzten in diesem Krankenhaus gute Freundschaften. Es sind nur die Assistenzärzte die ein bisschen Strenge nötig haben. Sonst würden sie mir doch keinerlei Respekt entgegenbringen und mich als den greisen Mann abstempeln, der ich nun mal schon bin…“ „Nein, Dr. Fischer! Sagen Sie doch so etwas nicht! Ich habe Ihr Buch gelesen! Es ist wirklich sehr aufschlussreich und interessant. Niemand würde sie hier als einen griesgrämigen Mann bezeichnen!“ „Doch das ist so und wir beide wissen, dass es stimmt.“ Wir schwiegen beide und schauten auf den Assistenzarzt. „So, nun haben wir aber genug Zeit vertan! Was ist mit dem Patienten, der heute früh eingeliefert wurde? Der mit den schrecklichen Bisswunden am ganzen Körper? Herr…?“ „Stein.“, antwortete ich viel zu schnell. Dr. Fischer schaute mich überrascht an. „Er… ist mein erster Patient hier…“, stammelte ich wenig überzeugend. Doch anscheinend hatte mein Gegenüber die lahme Entschuldigung geschluckt. „Ja, den erste Patienten vergisst man sein ein Leben lang nicht.“, der erfahrene Arzt schien in Gedanken zu schwelgen und schaute träumerisch aus dem Fenster. „Doktor?“ Seine Augen richteten sich wieder auf mich. „Ich habe da etwas Merkwürdiges in einer Wunde entdeckt! Ein Fremdkörper. Ich muss unbedingt noch ein MRT machen, um zu sehen, wie tief er drin steckt!“ „Ja tun sie das…“ Noch immer wirkte der Arzt gedankenverloren. Ich wollte mich gerade aus dem Zimmer entfernen, als er aufhorchte. „Ein Fremdkörper sagen Sie?“ Ich nickte. „Ich weiß es ist ihr erster Patient dieser Art… darf ich mir Herr… Stein mal anschauen?“ „Natürlich, gern. Ich würde mich sehr über ihren Ratschlag freuen. Wissen Sie, alle Verletzungen heilen schnell- sogar zu schnell wie ich meinen würde. Nur diese eine mit dem Fremdkörper nicht.“ „Verströmt diese einen ungewöhnlichen Geruch?“, fragte er mich. „Ja. So ist es, woher wissen Sie das?“ „Nur eine Vermutung. Beeilen wir uns besser.“, sagte er und lief schnellen Schrittes über den Gang. Ich lotste ihn zu dem Patientenzimmer. Nummer 323. Auch diese Zahl hatte sich unweigerlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich ignorierte das Bauchkribbeln als ich in das Zimmer trat. Jetzt sei endlich eine professionelle Ärztin! ordnete ich mich zurecht. Aber…fing meine Libido an mir zu wiedersprechen. Nichts da! Ich warf ihr erneut einen Blick-a la Miss Perfekt zu und sie verstummte. Haha, Triumph! Meine Mundwinkel zogen sich ob des Siegs etwas nach oben. Als wir das Zimmer betraten, verflog dieses aber schnell von meinen Lippen.

Kaum angekommen, schlug mir der Geruch der Wunde intensiv in die Nase. Meine Augen fingen leicht an zu Tränen. Oh, oh das ist nicht gut! Wenn mir der scharfe Geruch mir schon beim Eintreten so in den Augen brennt, was ist dann mit…? Schnell legte ich die letzten paar Schritte in die Mitte des Zimmers zurück und schaute auf den gutaussehenden Patienten. Mein Herz hüpfte, als ich ihn sah. Gleich darauf schlug mein anfangs freudiges Erwarten in Entsetzen um.

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