Kapitel 5 - "Das ist Nummer eins"

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Auf dem Weg zum Umkleideraum wurde ich schräg angeschielt. Ich sollte den Leuten keinen Vorwurf machen was gebe ich schon für ein Bild ab? Die neue Ärztin läuft mit blutbefleckten Kittel und einer schönen Verletzung mitten auf der Stirn durch die Gänge. Wenn dann noch bekannt wurde, wie die Wunde entstand, war ich für die nächsten Tage das Gesprächsthema Nummer eins. Meine Chance gleich zu Beginn neue Freunde zu finden, sank beträchtlich. Mit jedem tratschenden Mund und schockierten Augenpaar mehr. Ich seufzte und senkte den Blick. Das hier wurde zum Spießrutenlauf. Dieser scheiß Gang nimmt kein Ende!! Erleichtert öffnete ich die Tür und schlüpfte hinein. Wenn ich erwartet hatte, dass es jetzt besser wird, hatte ich mich mal wieder getäuscht. Ich hatte gerade die Tür hinter mir geschlossen und wollte zu meinem Fach gehen, als mich eine ganze Horde Assistenzärzte fragend anschaute. Schweigend standen wir da und taxierten uns. Ihre Blicke wanderten über meine geklebte Stirn und dem blutverschmierten Kittel. Ich konnte sogar die Fragezeichen über ihren Köpfen aufsteigen sehen. „Was ist, braucht ihr noch ein Foto?“, knurrte ich sie an. Niemand sagte etwas, aber der Blick in ihren Gesichtern hatte sich verändert. Als wäre ich ein Bär in einem Tütü, der auf einem Ball balanciert. Und dann noch anfängt zu sprechen. OMG es kann sprechen! Ich wollte mich gerade umdrehen und in den nächsten Gang schlüpfen, als ich ein Blitz aufleuchten sah. Verwirrt schaute ich in die Richtung, aus der es gekommen ist. Da stand doch tatsächlich einer und hatte mich fotografiert! Sind die neuen Assistenzärzte wirklich so dumm, dass sie nicht einmal Sarkasmus verstehen? Ich schaute ihn vernichtend an. Der junge Arzt hatte hellblonde kurze Haare und war ziemlich klein und schmächtig. „A-a-ber sie sagten doch…?“, stotterte er. Mein Blick wurde noch vernichtender. Die Augen der anderen Assistenzärzte schwankten zwischen uns hin und her. Wie ein Hund, der einen Ball verfolgt, der ihm vor der Nase hin und her gespielt wird. Nur dass der „Ball“, den mir der fotografierende Arzt mir zuwarf reines Gestotter war und ich mit grausigen Blicken antwortete. Ich schüttelte den Kopf. „S-s-sie sagten nicht…?“ Ich verneinte wieder. „S-s-s-soll ich e-es…?“er zeigte mit seiner freien Hand auf das Handy. Ich nickte. „O-o-kay. K-kein Problem Frau D-d-doktor!“ Noch einmal warf ich ihm und seiner Meute  einen letzten niederschmetternden Blick zu und drehte mich dann um. Na, wenn ich den kleinen Kerl nicht eingeschüchtert habe!, dachte ich jetzt etwas schadenfroh und erreichte die Reihe mit meinem Fach. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und der Kleine hätte sich eingepinkelt. Ich musste leise kichern. Eigentlich hätte ich auch aus vollem Halse lachen können, der Nachwuchs hätte mich so oder so nicht gehört. Sie werteten gerade lautstark meine Erscheinung und der Foto-Vorfall aus. Wobei die Sätze nur unvollständig in den Raum geworfen worden. „War das die Neue…?, „Hast du ihren Blick…?“, „Die will ich nicht als…“ „Du bist aber auch…“. Als das Geschrei beinahe unerträglich wurde, erlöste mich einer Reihe von Piepsgeräuschen. Anscheinend ist ein Notfall reingekommen und die Assistenzärzte wurden aufgefordert zu kommen. Befriedigend hörte ich das sich entfernende Getrappel.

Welcher Schwachmat hatte sich eigentlich diese Raumteilung einfallen lassen? Ärzte und Assistenzärzte ziehen sich in einem Raum um! Unmöglich. Dabei wurde der Raum nur durch die Schränke geteilt, in denen sich die Fächer für die privaten Gegenstände und die Arbeitskleidung befanden. Insgesamt hatte ich 3 Gänge gezählt. In der ersten Reihe waren, wie ich gerade lebhaft mitbekommen hatte, die Frischlinge untergebracht. In der zweiten Reihe die Schwestern und in der letzten Reihe die Ärzte dieser Station. In der Mitte jedes Ganges befanden sich jeweils 2 Bänke und Kleiderhaken für die Jacken. Ich öffnete das Fach mit der Aufschrift „T. Guhl“. Ja, ich weiß das ist nicht mein Name. Aber das war eben der alte Arzt der Unfallchirurgie. Wie ich hörte, ist er in den wohlverdienten Ruhestand getreten- mit 72 Jahren! Ich hoffe, dass die das von mir nicht erwarteten! Das können sie sich echt abschminken!

Ich hatte mich gerade ausgezogen und hatte mir ein Handtuch geschnappt, als mein Pieper ebenfalls losging. Och menno. Jetzt musste ich mich wohl oder übel wieder anziehen, ohne geduscht zu haben. Wie ich den Krankenhausalltag kannte, würde ich es wohl den ganzen Tag nicht schaffen, mich zu duschen. Erst bei Schichtende. Was erst in etwa 5 Stunden sein wird. Schnell zog ich wenigstens frische Sachen an und stopfte die Dreckigen in eine Ecke des Faches. Ich musste erst noch in Erfahrung bringen wie das mit der Schmutzwäsche in diesem Krankenhaus gehandhabt wird.

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