Kapitel 16 - Dr. Glanz

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Wie ferngesteuert lief ich den Gang entlang und ging meiner Arbeit nach. Schließlich konnte ich mir nicht schon wieder frei nehmen. Seit drei Stunden schon erledigte ich meine Arbeit. Hätte mich jemand gefragt, welche Fälle ich heute behandelt hatte, ich könnte keine Antwort geben. Den emotionalen Teil meines Kopfes hatte ich ausgeschaltet und war nur noch auf Autopilot.

Ich hatte keine Ahnung wie lang ich dort in dem Zimmer saß und mir die Augen ausgeheult hatte. Aus meinen krampfhaften Schluchzen wurde mit der Zeit ein Schniefen. Aus dem Schniefen wurden tiefe, erschöpfte Atemzüge. Und irgendwann saß ich nur noch da und starrte auf die mir gegenüberliegende Wand. In diesem Moment beschloss ich, dass das endlich aufhören musste. Das weinen um die Unverständlichkeit der Welt und um die Vergangenheit.

Als hätte mein Körper diese Entscheidung gebilligt, normalisierte sich meine Atmung und mein Puls. Gedanklich sperrte ich alle Dinge weg, die mir für die Arbeit im Weg standen. Ich war nur noch Ärztin. An diesem Tag sollte es nichts mehr geben als die Patienten und deren Behandlung. Nichts anderes würde ich heute zulassen.

Kurz ging ich das kleine Bad des Zimmers. Ein kurzer Blick im Spiegel zeigte mir, dass ich verdammt scheiße aussah. Meine Haare standen mal wieder in alle Richtungen ab, als hätte ich sie gerauft, woran ich mich allerdings nicht erinnern kann. Meine Augen und die Partie rund herum sind gerötet und etwas geschwollen. Die Haut hat einen noch helleren Ton angenommen, als es ohnehin schon der Fall war. Ohne viel federlesen klatschte ich mir ein Schwung kalten Wassers ins Gesicht, richtete halbwegs meine Haare und ging, ohne noch einen Blick auf den Körper im Bett zu richten, auf den Gang hinaus.

Die rothaarige Assistenzärztin kam gleich auf mich zugelaufen. Anscheinend hatte sie auf mich gewartet und das Zimmer im Auge behalten. Wieder ging mir durch den Sinn wie lang ich wohl darin gewesen war, nachdem Dr. Fischer gegangen war. Mit einer besorgten Mine blieb sie vor mir stehen. Ich starrte nur gerade aus. Keineswegs konnte ich sie jetzt anschauen. Ich hatte in meinem Leben schon zu viele Menschen gesehen, die mich bemitleideten. Klar, sie meinen es alle nur gut. Aber das konnte ich jetzt nicht über mich bringen. Ihre Minen sagten: „Oooh, du tust mir sooo Leid, du hast so ein scheiß Leben…“ Ja danke, das weiß ich selbst.

Ich erwartete schon wieder auf die typische Ansprache: „Es wird schon alles wieder besser Keira, du wirst schon sehen.“ „Mit der Zeit wird alles wieder gut. Keine Sorge.“ Woher wollen die denn wissen, ob es mir je wieder gut gehen wird? Oder fragt einer jemals wirklich danach wie einem geht? Natürlich fragen das alle. Aber nur aus reiner Höflichkeit. Und nur, weil sie ein: „Es geht mir gut, danke der Nachfrage.“ erwarten. Sollte man dann doch einmal anfangen über seinen Zustand zu sprechen, werden die Gesprächspartner nervös und zappeln herum. Manchmal kommen die tollsten Ausreden. Und wenn sich doch einer erbarmen würde, mir kurz zuzuhören- tja, ich sag es mal so: diese Blicke sind noch viel schlimmer als die mitleidigen. Denn die sagen: „Oh Gott, was mache ich da nur? Ich rede mit einer Irren!“ Die Lektion hatte ich schon früh nach der Entlassung aus der Psychiatrischen Klinik machen müssen. Aber ich hatte sie gelernt.

Eine warme Welle der Geborgenheit überflutete mich. „Ich bin da. Ich frage dich, wie du dich wirklich fühlst! Du kannst mir alles erzählen.“, flüsterte mir die männliche Präsenz zu. Gerade als ich das Gefühl rabiat beiseite schieben wollte, war es auch schon verschwunden. „Gut für dich, dass du schnell wieder abhaust. Halt die aus meinem Kopf heraus!“, knurrte ich gedanklich und baute eine dicke Mauer um mich herum auf. Die Stimme hatte keine Chance zu antworten. Ich merkte zwar, dass sie kurz und leicht meine Mauer berührte, sich aber sofort wieder zurück zog. Leise Befriedigung aber auch Enttäuschung strömte durch meinen Körper. Erleichterung, in Ruhe gelassen zu werden, aber gleichzeitig auch Enttäuschung, dass nicht einmal er mich trösten wollte und sich abwandte. Siehst du, es ist wohl doch besser, niemanden an dich heran zu lassen. Das bringt dir nur Schmerz und Qual ein. Wann kapierst du das endlich?, dachte ich und versteifte mich bei dem Gedanken.

The HospitalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt