Kapitel 54 - Der Dritte Teil von Brutus' Geschichte

520 45 7
                                    

Brutus, in der Vergangenheit

Meine Finger zittern. Sie sind noch immer befleckt mit dem Blut von Linda und anderem Schmutz. Ich weiß nicht, was passiert ist. Kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mein ganzer Körper wird von einem heftigen Zittern erfasst. Tränen, die auf meinen Wangen brennen. Was ist nur passiert? Was habe ich getan? Habe ich meine einzig wahre Liebe verloren? Habe ich mein Mädchen durch meine eigene Dummheit hingerichtet? Die Schuld drück mich schier zu Boden.

Ein lauter Schlag lenkt meine Gedanken für kurze Zeit auf die Welt um mich herum. Der Gefängniswärter sagt irgendetwas. Den Sinn seiner Worte verstehe ich erst, nachdem sich die eiserne Tür öffnet. Jemand ist gekommen, um mich über den Vorfall zu befragen. Zum wiederholten Male. Mit tonloser Stimme erzähle ich es. Dann stellen sie mir fragen und schlagen mich. Schreien mich an, dass ich ihnen sagen soll, wer der Anführer der Ganoven sei, für den ich arbeite. Ich verneine und frage stattdessen nach meiner Linda. Sie schlagen mich erneut, weil ich nicht auf ihre Frage geantwortet habe. Es ist mir gleichgültig. In meiner Brust schmerzt es so stark. Das kann kein körperlicher Schmerz überbieten. Vielleicht ist es auch die Strafe für meine Anmaßung. Eine Anmaßung, dass ich das Recht auf ein eigenes Leben hätte.

Ich erzähle dem Mann wieder die Pläne von meiner Familie. Er holt mit seiner Faust aus und ich falle vom Stuhl. Ich solle der reichste und ehrenwehrteste Familie dieser Stadt nicht die Schuld geben. Soll nicht ihren Namen in meinen dreckigen Mund nehmen. Ich sei ganz sicher nicht der begabte Jüngste der Familie. Denn der sei laut Angaben der Familie gerade in Übersee, um sich selbst zu finden. Die Ironie entgeht mir nicht. Leider schaffe ich es nicht, darüber herzhaft zu lachen. Vielleicht später einmal, wenn meine Brust aufhört, so sehr zu schmerzen, dass mein Körper krampft. Vielleicht wenn es aufhört zu schlagen. Oder, wenn meine Familie unter der Erde liegt. Oder beides.

Warum ich meine Freundin so zugerichtet habe, fragen sie mich immer wieder. In meinem Kopf steigt ihr Bild auf. Blutüberströmt. Der Hauch des Todes, der an ihr haftet. So sehr ich mich anstrenge, ich kann mich nicht mehr an die lachende, glückliche Linda erinnern. Und sei es die weinende Linda. Ich sehe nur Blut. So viel Blut. Ihr Blut.

In einem animalischen Aufschrei versuche ich die Überreste davon von meinen Händen zu kratzen. In meiner Panik und Verzweiflung zerkratze ich meine Haut, sodass neues Blut fließt und über meine Hände rinnt.

Ich bekomme das Bild nicht aus meinem Kopf. Selbst dann nicht, als ich meinen Schädel gegen die Gefängniswand schlage. Ich brülle immer wieder diesselben Wörter heraus: „Es ist meine Schuld"

„Linda?", krächze ich, als ich mal wieder eine Bewegung an meiner Gefängnistür ausmache. „Ist nicht mehr hier.", höre ich barsch und es bestätigt meine innere Gewissheit. Ich habe mein Mädchen auf dem Gewissen. Ich habe die bestätigenden Worte nicht von jemand anderen hören müssen. Ich habe es schon längst gewusst.

Nach einigen Tagen, Wochen, oder Monaten komme ich raus. Wer weiß schon, wie viel Zeit vergangen ist. Zeit spielt keine Rolle mehr. Die Außenwelt existiert nicht mehr für mich. Satzfetzen dringen an mein Hirn: „...können raus... auf Unzurechnungsfähigkeit...bewegen... Arsch hier raus!" Ich kann den Sinn nicht erfassen. Als es Schläge hagelt, setze ich mich in Bewegung. Als sie aufhören, bleibe ich stehen.

Als mir etwas Kaltes, Nasses entgegen schlägt, komme ich seit Monaten wieder ein wenig zu Besinnung. Es regnet. Ich bin draußen. Ich laufe durch die Straßen. Ohne Ziel. Tage, Wochen, Monate, wer weiß das schon.

Irgendwann sehe ich ein bekanntes Gesicht. James. Er redet beruhigend auf mich ein und führt mich die Straßen entlang. Die, die ich unbewusst bisher gemieden habe. Er führt mich direkt auf das Anwesen meiner Eltern. Dort legt er eine warme Decke um mich, gibt mir etwas zu essen. Ich schlafe ein.

The HospitalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt