„Äh ja … Herr…“,begann ich. „Stein“, ergänzte die Schwester schnell. Ich richtete mich noch weiter auf, um so schnell, so viel wie möglich Abstand zwischen mir und ihm zu bringen. Was war das wohl für ein Bild als er aufwachte! Eine Ärztin und eine Schwester beugen sich über seinen Körper, so nah, dass als würde wir an ihm riechen. ‚Ich bin Erwachsen! Außerdem Ärztin! Ich muss das machen.‘, schalt ich mich selbst. Trotzdem hatte ich irgendwie immer noch das Gefühl bei einer Gaunerei erwischt worden zu sein. Ich wunderte mich über diese Gefühlregung. Hatte ich doch bei anderen Patienten auch nicht so ein Anstand gemacht. Ich schüttelte den Kopf und schob dieses Vorkommnis beiseite. Das kann schon mal passieren an seinem ersten Tag. Man ist doppelt nervös und macht leicht Fehler, die einem sonst nie passieren.
Ich straffte den Rücken und legte meine professionelle Ärzte-Mine auf. Diesen Blick hab ich früher oft geübt und beherrsche ihn nun zur Perfektion. „Herr Stein…“, begann ich erneut, nachdem ich mich geräuspert hatte. „Sie wurden heute Nachmittag mit schweren Verletzungen eingeliefert. Man hat sie schlimm verwundet gefunden. Wissen sie noch was passiert ist?“ Sein Blick war starr auf mich gerichtet. Ich hatte das Gefühl, noch mehr zur Salzsäule zu erstarren und ein flatterndes Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit. Noch immer waren seine Augen unverwandt auf mich gerichtet. ‚Schwester Glanz hat er bis jetzt noch keines Blickes gewürdigt‘ bemerkte ich mit Genugtuung. Dann versank ich wieder in seinen Augen. Ich wurde wie von ihnen angezogen. Wie die Motte zum Licht. Wie ein Magnet zum Kühlschrank. Wie ein Süchtiger zu seinem Rauschmittel. Okay der letzte Vergleich war nun wirklich nicht passend. Aber in mir hatte sich so ein warmes, berauschendes Gefühl ausgebreitet, dass ich nicht umhinkam diesen Vergleich anzustellen.
Ich habe keine Ahnung wie lange wir uns so anstarrten. Es könnten Stunden gewesen sein. Oder auch nur 10 Sekunden. Meine Zeiteinschätzung hatte unter diesem Blick wahrscheinlich seine Funktion verloren. Schwester Glanz riss uns mit einem extrem lauten, und gekünstelten Räuspern aus dieser Trance. Verwirrt schaute ich zu ihr. Was war los?
Doch wie auch schon vorher verriet ihre Mine ihre Missbilligung. Ich straffte meine Rücken und riss mir die Krankenakte aus den perfekt manikürten Fingern von Miss Perfekt. Bloß nicht in diese Augen schauen. Die Akte gab mir einen Vorwand ihn nicht ansehen zu müssen. ich blätterte in den Seiten hin und her und begann dann von vorn. „Herr…“,ich tat so als müsste ich seinen Namen erneut nachschlagen um zu verbergen, dass er sich schon längst in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. „Stein.“ „Verstehen Sie was ich sage?“ „Ja natürlich. Jedes Wort.“, erklang seine Stimme. Mir kroch eine Gänsehaut den Rücken rauf und runter, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Gut, dann beantworten Sie doch bitte meine Frage.“ „Ich weiß was passiert ist.“, sagte er schlicht. Machte aber keine Andeutungen weiter zu sprechen. Gut wie und warum es passiert ist, muss ich ja jetzt nicht wissen. Das können die anderen machen und dann die Krankenakte vervollständigen.
„Wenn es ein Hund gewesen war, der sie angefallen hat, dann müssen sie das sagen Herr Stein. Nur so können sie verhindern, dass es anderen ebenfalls geschieht!“, schaltete sich Viktoria Glanz ein. Sie hatte einen besorgten Gesichtsausdruck aufgesetzt und mir wurde schlecht. Sie ist echt gut, dachte ich. Gegen diese Frau hat man keine Chance. Wie sie ihn ansieht weiß man doch ganz genau was und wen sie will. Besser wenn man sich daraus hält. Ganz sicher scheut sie nicht davor zurück, härtere Mittel einzusetzen. Ich hob kurz meinen Blick und schaute zu den Patienten in seinem Krankenbett. Dieser schüttelte nur den Kopf und sagte: „Es war kein Hund der mich angefallen hat, wenn dann waren es wohl eher mehrere so wie ich aussehe. Ich möchte nichts weiter dazu sagen.“ Er dreht den Kopf in meine Richtung und ich verschanzte mich wieder hinter meiner Akte. Tolles Schutzschild muss ich schon sagen. Ja ich wusste auch, dass ich mich affig benahm. Aber ich wollte nicht schon wieder halb sabbernd dastehen und dabei erwischt werden ihn einfach nur anzuschauen. „So weit ich es gesehen habe, verheilen ihre Wunde recht gut-sogar sehr gut. Sie scheinen über eine schnelle Wundheilung zu verfügen. Nur die Verletzung an ihrem Brustkorb, macht mir etwas sorgen. Wir haben eben gerade noch einen Fremdkörper darin entdeckt, der unbedingt entfernt werden sollte.“, ich kritzelte etwas auf seinem Krankenblatt herum. Viieel zu beschäftigt um ihn anzusehen. „Das habe ich schon öfter gehört. Wie sieht es aus, wann kann ich wieder hier raus“ „Das kommt ganz darauf an, wie schnell ihre Wunden verheilen. Doch wie es aussieht dauert das ja nicht allzu lang“, antwortete die Schwester und machte dabei ein Gesicht, aus dem man sehr gut schließen konnte, wie wenig ihr das gefällt. „Stimmt das Doktor?“ „Jaja ganz richtig“, ich blätterte weiter in den Unterlagen. „Schwester Glanz, entweder sie verbinden den Herr noch ganz oder sie holen einen Assistenten her. Ich muss zu meinem nächsten Patienten.“ Ich drehte mich um und ging aus dem Zimmer ohne auch nur einen weiteren Blick auf ihn zu werfen. Als ich die Tür hinter mir schloss bedauerte ich schon fast dies nicht getan zu haben. ‚Ach jetzt stell dich nicht so an. Er ist ein Patient!‘, wies ich mich erneut zurecht und löste die Hand von der Türklinke. Ich hatte sie anscheinend immer noch festgehalten. Es war schwerer als ich dachte. Also nahm ich meine linke Hand um die widerspenstigerere rechte vor meinen Körper zu ziehen. Oh Gott, hoffentlich hat das niemand gesehen. Als könnte ich Teile meines Körpers nicht kontrollieren. Ich schaute mich aufmerksam um, aber ich sah keine verwunderten oder gar verärgerte Gesichter die schrien: „Bringt die Olle in die Klapsmühle. Die hat ja eine Schraube locker!“ Erleichtert seufzte ich und machte einen Schritt nach vorn. Wieder blieb ich stehen. Sollte ich vielleicht doch noch einmal unter einem Vorwand in das Zimmer gehen und einen Blick auf ihn werfen? Nein, nein, nein, reiß dich zusammen. Was ist nur mit mir los? Anscheinend kann ich mich nicht von ihm lösen. Mir kamen wieder meine drei Vergleiche in den Sinn. Dieses mal schien der Vergleich mit den Magneten der passendste zu sein. Was hat der Kerl nur an sich? Nichts, gar nichts beschloss ich wütend. Der Kerl ist doch gewöhnlich. Höchstens durchschnittlich. Schlag ihn dir aus dem Kopf er ist… schwul. Beschloss ich in Gedanken. Ob dieses tollen Einfalls musste ich lächeln. Einbildung ist auch eine Bildung. Aber es hilft. Schließlich muss ich mich nun wirklich um andere Patienten kümmern. Da muss ich vollkommen anwesend sein und nicht so ein gezausel machen, wie eben. Ich wandte mich gerade um, als die Tür hinter mir aufging. Schwester Glanz kam heraus und schritt mit einem süffisanten Lächeln an mir vorbei. Ärger quoll in mir auf und ich konnte mich gerade zurückhalten sie nicht anzubrüllen: „Lassen Sie ihre dreckigen Finger von ihm!“ Aus meiner Kehle kam dafür ein komisches quiken. Erschrocken schlug ich die Hand vor dem Mund und lief eilig davon, bevor ich mich noch ganz und gar zum Gespött machte. Dabei bemerkte ich den bohrenden Blick von Schwester Glanz in meinem Rücken. Es fühlte sich wie ein Dolchstoß an. Vor der muss ich mich in Acht nehmen, dachte ich und stürmte auf die Toilette.
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The Hospital
FantasíaKaum hat Keira ihre Arbeitsstelle angetreten, passen merkwürdige Dinge. Dinge, die sie schon einmal erlebt und verdrängt hat. Dinge, die sie nie wieder zu erleben gehofft hat. Dazu kommt, dass ihr erster Patient sie wie magisch anzieht und sie nich...