Kapitel 35 - Enttäuscht

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Sebastian packt seinen Vater grüßend am Unterarm. Dann wendet sich sein Vater mir zu. „Nicht Gott. Schwertmeister reicht. Auch wenn Gott gar nicht so weit davon entfernt ist.“, sagt er und reicht mir die Hand. Unsicher, wie ich ihn begrüßen soll, zögere ich. Die Luft um uns herum füllt sich mit knisternder Spannung. Schnell packe ich mir seine Hand und schüttele sie. „Ich bin Keira Emmrich. Sebastian hat mich gerade vor der Folterkammer der Asperitas gerettet.“, sage ich um mein Verhalten von vorhin irgendwie zu rechtfertigen. Eine ziemlich lahme Ausrede. Der Schwermeister wäre nicht der Schwertmeister, wenn er nicht die Lücken in der Verteidigung seines Gegners sieht und unerbittlich zustößt: „Sie meinen die Befreiung rechtfertigt das Geschlabber und obszöne Verhalten von vorhin? Nicht im Geringsten! Sie haben sich ihm hingegeben wie eine Hure!“, sagt der Schwertmeister zwar in einem ruhigem Ton, doch seine Augen blitzen vor Zorn, während er mit mir spricht. Meine Nackenhaare stellen sich auf und schreien: „Lauf weg!“ Aber ich bleibe wie stehen.

Keine Ahnung welcher Umstand mich mehr schockiert: dass er mich eine Hure genannt hat oder dass er in diesem Ton mit mir spricht, sodass es mir Angst und Bange wird. Noch während ich überlege fährt er fort: „Wagen Sie es sich nicht noch einmal meine Hand auch nur anzusehen. Dreckiges Gesindel wie Sie, will ich nicht einmal mit meinen Hosenansatz berühren!“ Panisch weiche ich ein paar Schritte zurück. Dieser Mann beschimpft  mich aufs übelste. Er hasst mich! Oh Gott, Sebastians Vater hasst mich!

„Vater! Es ist jetzt genug! Komm wieder von deinem arroganten Gehabe herunter. Das ist nicht auszuhalten! Du hast kein Recht, dich jetzt so zu verhalten! Nicht ein kleines bisschen!“, schreitet Sebastian wütend ein. Die Hände zu Fäusten geballt steht er vor seinem Vater. Seine Sehnen am Hals treten deutlich hervor, während er wütend mit seinem Vater spricht. Er bleibt dabei nicht annähernd so leise wie sein Erzeuger, steht aber in dessen Aggressivität in nichts nach. Na ja, wie sagt man? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

 „Sie ist völlig neu in unserer Welt. Woher soll sie von den dämlichen altvampirischen Traditionen und Verhaltensregeln wissen? Nicht einmal unsere Jüngsten sind mit allen vertraut. Geschweige denn, dass sie sie befolgen.“ „Es geht nicht darum ob sie neu in unserer Welt ist. Sie muss Respekt zeigen. Doch nicht nur sie hat einige Lektionen in diesem Gebiet nötig. Wie kannst du es wagen, mich so zu brüskieren? Mein eigener Sohn fällt über eine Frau in der Öffentlichkeit her. Und das sogar noch im und neben dem Gebäude der Asperitas! Glaubst du etwa, nur weil du das Gebäude verlassen hast, stehst du und deine Freundin nicht mehr unter Beobachtung?“ Dass er das Wort Freundin wie fauliges Wasser ausspuckt, entgeht mir nicht. Dennoch werde ich von einem Gedanken beherrscht, (alles andere kann warten!):

Ach du Scheiße! Wir werden immer noch beobachtet??

Der Schreck fährt mir in die Glieder und ich sacke ängstlich in mich zusammen. Panisch schaue ich zu dem Durchgang ob ich einen verdächtig aussehenden Mann erblicken kann, der uns beobachtet. Oder sogar einen Asperita, der mich zurück in die Folterkammer schleppen will.

Ich kauere mich noch näher an die Mauer in der Hoffnung, mit ihr verschmelzen zu können. „Natürlich werden wir noch beobachtet! Was denkst du, warum ich das hier überhaupt mache! Einer der Schoßhunde hat einen Köder direkt vor unserer Nase fallen lassen. Ich habe versucht die Situation zu retten und sie von dem Blutdurst abgelenkt, damit sie nicht über das kleine Mädchen herfällt und uns somit gleich eine Tarnung verpasst, die du mit deinem Gehabe zerstört hast!“, presst Sebastian zwischen seinen Zähnen hervor. Seine Hände zittern vor Anstrengung, als müsste er sich davon abhalten seinen Vater wild zu schütteln, damit er endlich unsere Situation versteht. Nämlich, dass es ganz anders ist als er denkt… Moment mal, was hat er gerade gesagt?

Erst mit Verspätung wird mir der Sinn seiner Worte bewusst. Wie ein Eiszapfen bohrt sich der Schmerz in mein Herz. Er hat mich also nur geküsst, um mich abzulenken? Er empfand nichts dabei, außer vielleicht Mitleid, weil ich sonst drauf gegangen wäre? Sebastian scheint meinen Schmerz ebenfalls am Rande seiner Diskussion mit seinem Vater zu bemerken. Wütend reibt er sich über die Stelle an seiner Brust, die uns einst vereint hatte, als ich ihm das Leben rettete. Doch der Streit mit seinem Vater lenkt ihn zu sehr ab. Er achtet nicht auf mich und auf die Gefühle, die durch das Band zwischen uns übertragen werden. Was ja wohl ein weiterer Beweis dafür ist, wie ernst es ihm ist.

Ich fühle den Schmerz und heiße ihn willkommen. Wie kann man auch nur so dumm sein und glauben, dass ein so attraktiver Mann eine Frau wie mich mögen könnte. Ich bin selbst dran schuld, dass ich jetzt verletzt bin. Ich hätte meinem ersten Gefühl trauen und mich von ihm fern halten sollen. Doch ich tat es trotzdem. Jetzt muss ich die Rechnung dafür bezahlen. Verletzt stolpert mein Herz in der Brust und versucht seinen Takt wieder zu finden. Ich bin aber davon überzeugt, dass es wohl noch ein Stück dauern wird, bis es diesen wieder gefunden hat.

Ächzend stehe ich auf und bleibe zunächst gebeugt an der Wand stehen. Ich brauche den Halt. Ich wage es nicht, zu Sebastian und seinem Vater hinüber zu schauen. Zu groß ist die Angst, dass ich dann bleiben werde und nicht gehen kann, obwohl ich nicht erwünscht bin. Was hätte es denn dann überhaupt für einen Sinn, wenn ich bei ihm bliebe? Keinen. Also werde ich meinen eigenen Weg gehen und das tun… was auch immer ein Vampir den ganzen Tag tut. Was auch immer das sein mag. Mit schleppenden Schritten entferne ich mich von dem verhassten Gebäude. Jeder Meter, der mich von ihm entfernt, tut schrecklich weh. Aber das gequälte pochen des Verrates in meiner Brust ist nichts dagegen.

Mein Verstand gibt mir vollkommen recht. Wozu sollte ich noch bei ihm bleiben. Mein Herz ist anderer Meinung. Doch dieses verräterische Organ hat ab jetzt kein Mitspracherecht mehr. Es hat mich ausgetrickst und mich dazu gebracht das zu tun, wovor mich mein Verstand die ganze Zeit ausdrücklich gewarnt hat. In meinem Kopf suche ich noch mehr Gründe für meinen Entschluss um mich von den Schmerzen in meiner Brust abzulenken. Ich registriere nicht, dass ich wie ein Zombie auf dem Gehweg entlang laufe und Leute mich anrempeln. Mein Körper kommt ebenfalls aus dem Takt. Geschieht ihm ebenfalls recht. Denn dieser vermaledeite Körper hat mich auch verraten. Hat mir vorgeschwärmt, hat sich zu seinem Körper hingezogen gefühlt. Der Verstand war eindeutig in der Unterzahl. Ich sehen ein, dass ich schon von Anfang auf diesen Moment zugesteuert bin. Was mich wieder zu der Frage führt, warum mir das Schicksal diese Erfahrung unbedingt aufdrücken will? Will es mir klar machen, dass ich keine Chance habe ein glückliches Leben zu führen? Also gut, bitte du hast gewonnen.

Die Schmerzen breiten sich aus. Verdammt noch mal, warum habe ich in letzter Zeit immer so starke Schmerzen erleiden müssen, wie sonst in zwanzig Jahren meines vorherigen Lebens nicht…? Ein weiterer Beweis, dass ich wohl vollkommen auf dem falschen Dampfer gewesen war. Keuchend halte ich mich an der nächstbesten Laterne fest. Nur kurz. Nur ganz kurz ausruhen, denke ich und lehne mich mit meiner Wange an das kalte Metall. Ich schließe die Augen, denn durch sie kann ich im Moment sowieso nichts anderes sehen als diesen schrecklich schönen Mann, in den ich mich so getäuscht habe. Was macht man eigentlich in so einer Situation? Ich hatte nie einen Freund gehabt, was machen normale Menschen, wenn sie frisch von ihrem Freund getrennt sind. Wenn wir überhaupt zusammen gewesen waren. Aber egal. Was machen die? Denk nach… Bilder von heulenden Frauen mit tränennassen  Augen und dunkler Wimpertusche, die wie ein schwarzer Bach die Wangen hinunter läuft, kommen mir in den Sinn. Ein riesiger Eimer voll mit Eis steht auf dem Schoß. Wahlweise auch Nutella und oder eine Tafel Schokolade. Reden mit der besten Freundin, die ebenfalls die Seelentröster in sich hinein stopft und sich die endlosen feindlichen Tiraden über den bösen Mann anhört. Vielleicht Dr. Glanz? Nein. Ich habe keine beste Freundin. Eigentlich überhaupt niemanden, der mir nahe ist. Ich bin allein. Was wahrscheinlich auch der Grund war, warum ich auf ihn reingefallen bin. Eine einsame Frau die sich nach Liebe sehnt. Aber was hat er eigentlich von mir gewollt? Wozu das ganze überhaupt? Welchen Preis kann er sich wohl von mir erhoffen?

Wut steigt in mir auf. Geld? Eine schnelle Nummer? Eine Wette? Ach du Scheiße, eine Wette!! Wie kann er mir so etwas Dämliches antun? Was bekommt er dafür, dass er mich rumbekommen hat? Verdammt, ich habe das Recht, egal was auch immer es ist, ebenfalls etwas davon ab zu haben. „Das kannst du vergessen!“, sage ich laut. Es ist mir vollkommen egal, dass sich mehrere Passanten nach mir umdrehen. Mit festen und wütenden Schritte stapfe ich den Weg zurück, den ich eben gerade gekommen bin. Kaum habe ich mich auf den Weg gemacht, da bemerke ich auch schon seine Präsenz in meinem Kopf. „Keira, wo bist du? Bitte, tu nichts Unüberlegtes. Ich bin sofort bei dir.“ Da kommt mir ein Gedanke. Woher soll er überhaupt wissen, wo ich bin? Soll er mich doch suchen. Listig grinsend laufe ich noch ein paar Straßen weiter und dann in eine Gasse, wo ich mich auf eine Tonne setze und warte.

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